Der Streit geht in eine neue Runde: NRW hält die Beweise gegen die deutschen Beamten für dünn. Und die SPD sperrt sich gegen das geplante Abkommen.

Stuttgart - Entscheidend war ein einziges Wort: „Fluchtgefahr“. Carlo Bulletti nennt diesen Begriff als wesentlichen Grund für seinen Haftbefehl, bevor er am 15. März seine Unterschrift unter die Dokumente setzt, die wenig später zu erheblichen Verwicklungen zwischen Deutschland und der Schweiz führen werden. Carlo Bulletti ist Leitender Bundesanwalt der Alpenrepublik, er hat an diesem Datum die drei Haftbefehle gegen bundesdeutsche Steuerfahnder unterzeichnet, die seither bei jeder Einreise in die Schweiz fürchten müssen, „unverzüglich“ dem Herrn Bundesanwalt in seine Berner Diensträume „zugeführt“ zu werden. Die in Köln, Düsseldorf und Bochum lebenden Fahnder der nordrhein-westfälischen Steuerverwaltung haben dem Bundesanwalt bisher allerdings die kalte Schulter gezeigt und noch nicht reagiert, sie arbeiten gegenwärtig weiter mit Hochdruck daran, deutsche Steuersünder zu überführen und weitere Millionen in die Staatskasse zu holen.

 

Als Dienstherr hat der Düsseldorfer Finanzminister Norbert Walter Borjans seinen Mitarbeitern jede Unterstützung zugesagt. Für wie unberechenbar man die eidgenössische Justiz inzwischen hält, zeigt ein anderer Vorgang. Als der Staatssekretär des Düsseldorfer Finanzministeriums die 32-seitige Philippika von Carlo Bulletti gegen die deutschen Beamten gelesen hatte, rief er seinen Chef unmittelbar an und versuchte ihn davon abzuhalten, nach Zürich zu fliegen, um dort beim Sender Tele Züri an einer Fernsehdiskussion zur Weißgeldstrategie der Alpenrepublik teilzunehmen. „Natürlich gehe ich dort hin, ich habe gute Argumente und Angst vor einer Festnahme habe ich nicht“, antwortete Borjans.

In der Schweiz vor Gericht gestellt

Die deutsche Justiz hatte unterdessen die Papiere der Schweizer durchleuchtet. Auf 32 Seiten versuchen die dortigen Bundesanwälte um Bulletti die Arbeit der drei deutschen Fahnder zu kriminalisieren. Sie sollen sich, so das Fazit auf Seite 13 der der Stuttgarter Zeitung vorliegenden Verfügung, „strafbar gemacht haben, indem sie aktiv ergänzende Informationen zu den Bankkundendaten aus der Schweiz verlangten“. Sie sollen in der Schweiz vor Gericht gestellt werden, weil sie der Gehilfenschaft zum wirtschaftlichen Nachrichtendienst sowie der Verletzung des Bankgeheimnisses beschuldigt werden. Im Kern versucht Bulletti die bisher bekannten Fakten zum CD-Ankauf mit deutschen Steuersündern neu zu bewerten: Er nimmt nicht in erster Linie die Diebe in den Bankhäusern selbst ins Visier, sondern die deutschen Beamten, denen er nachzuweisen versucht, sie hätten die Datendiebe zu ihren Taten angestiftet.

In diesem Fall bezieht er sich auf einen für die Schweiz besonders schmerzhaften Vorgang. Die deutschen Behörden hatten mit Einverständnis der Bundesregierung im Februar 2010 eine Liste mit Kundendaten der Credit Suisse für 2,5 Millionen Euro gekauft. In der Folge wurden viele Steuersünder ausfindig gemacht, darüber hinaus gab es über 20 000 Selbstanzeigen, außerdem wurde die Bank gezwungen, sich für 150 Millionen freizukaufen, weil man nachweisen konnte, dass Credit Suisse gezielt deutschen Steuerbürgern geholfen hatte, den Fiskus zu betrügen.

Schwache Argumente

Die Argumente der Schweizer gegen die deutschen Fahnder sind an mehreren Stellen schwach. Sie berufen sich weitgehend auf das Geständnis des Datendiebes, der im Rahmen eines Deals ein günstiges Urteil mit einer zur Bewährung ausgesetzten zweijährigen Haftstrafe bekommen hat. Dabei handelt es sich um den 28-jährigen Iraner L., der als Assistent eines Kundenberaters im private Banking tätig war. Er hatte offenbar 2007 begonnen Kundendaten abzuschreiben und aufzulisten; er will das, so erzählt er später vor Gericht in der Schweiz, getan haben, weil er historisch an der Nazi-Zeit interessiert sei und deshalb Recherchen zu Daten deutscher Kunden angestellt habe. Die weitere Geschichte von L. verkommt zur Räuberpistole: die Daten habe ihm ein Bekannter in einem Fitness Center gestohlen. Als dann in Deutschland Postchef Zumwinkel wegen seiner unversteuerten Gelder in Liechtenstein öffentlich an den Pranger gestellt wurde, sei im Februar 2008 die Geschäftsidee entstanden, mit den Daten Geld zu verdienen. L. hat nie Kontakt mit deutschen Fahndern aufgenommen, das hat der Mittelsmann besorgt, ein Österreicher, der sich nach seiner Festnahme in einem schweizerischen Gefängnis das Leben nahm und nicht mehr befragt werden kann. L. selbst will erst spät davon erfahren haben, dass sein Geschäftspartner mit deutschen Behörden verhandelt.In der Tat treffen sich die deutschen Fahnder mit dem österreichischen Mittelsmann, sie prüfen die Daten des Credit- Suisse-Bankers und sind erst nach einiger Zeit davon überzeugt, wirklich werthaltige Informationen zu bekommen. Über diese Zeit wissen die Schweizer nur, was ihnen der Kronzeuge L. erzählt.

Borjans will sich den Ankauf von Daten aus der Schweiz nicht verbieten lassen, wie es das von Finanzminister Wolfgang Schäuble ausgehandelte Abkommen vorsieht. Dass dieses den aktuellen Fall regeln würde, wie Schäuble sagt, hält Borjans nur für die halbe Wahrheit: „Das würde nur um den Preis geschehen, dass wir danach auf dieses Instrument verzichten müssten, und das mache ich nicht mit.“

Sozialdemokraten sperren sich gegen Abkommen

Die SPD sperrt sich unterdessen gegen das geplante Steuerabkommen mit der Schweiz. Baden-Württembergs Finanzminister Nils Schmid (SPD) sagte am Donnerstag, er wolle der Vereinbarung im Bundesrat trotz Korrekturen nicht zustimmen. SPD-Chef Sigmar Gabriel forderte ein härteres Vorgehen gegen Schweizer Banken, bei denen deutsche Steuersünder ihr Geld anlegen. Die stellvertretende FDP-Vorsitzende Birgit Homburger warf den Sozialdemokraten vor, sie schützten mit ihrer Verweigerung die Reichen. Die Gespräche zwischen Deutschland und der Schweiz sollten am Donnerstag abgeschlossen werden.

Schmid sagte der „Welt“, Länder mit SPD-Regierungen sähen die Änderungsvorschläge als unzureichend an. Dem Blatt zufolge sehen die Änderungen eine Reihe von Verschärfungen vor. Unter anderem soll Steuersatz, mit dem Altvermögen von deutschen Staatsbürgern in der Schweiz nachbesteuert werden, von derzeit maximal 34 Prozent auf bis zu 41 Prozent steigen.

Homburger wirft SPD Verlogenheit vor

Gabriel forderte, die Beihilfe ausländischer Banken zur Steuerhinterziehung müsse endlich systematisch untersucht werden. „Es kann nicht angehen, dass die Finanzämter hierzulande bei jedem kleinen Handwerker penibelste Betriebsprüfungen veranstalten, sich aber niemand gründlich um die Steuerhinterziehung mit Hilfe ausländischer Institute kümmert“, sagte der SPD-Chef der „Bild“-Zeitung. Gabriel verlangte die Einrichtung einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft. Vorstellbar sei auch, dass der Generalbundesanwalt mit den Ermittlungen betraut werde. „Kreditinstitute, die sich der Beihilfe zur Steuerhinterziehung schuldig machen, können von uns belangt werden, auch wenn sie im Ausland sitzen und das Delikt dort begangen wurde“, sagte er.

FDP-Vize Homburger warf der SPD Verlogenheit vor. In elf Jahren Regierungszeit habe die SPD Steuerflucht zugelassen und nichts dagegen unternommen. Jetzt gehe Schwarz-Gelb gegen Steuerflucht vor und die SPD versuche dies zu verhindern. „Unter dem Vorwand, es gehe nicht schnell genug, versuchen Gabriel und seine Truppe, eine Regelung zu verhindern“, sagte sie der „Passauer Neuen Presse“ (Donnerstagausgabe) laut Vorabbericht.