Integrationsbeauftragte in Kreisen und Kommunen werden vom Land gefördert – aber nur, wenn sie einen Studienabschluss haben. Seit längerem wird gefordert, diese Vorgabe zu lockern – doch Sozialminister Lucha bleibt hart.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Der Appell der Kanzlerin liegt bereits anderthalb Jahre zurück. „Deutsche Gründlichkeit ist super“, sagte Angela Merkel (CDU) bei ihrer Sommerpressekonferenz 2015 in Berlin. Um die Flüchtlingskrise zu bewältigen, sei nun aber „deutsche Flexibilität“ nötig. Was unbürokratischen Lösungen im Wege stehe, müsse beiseite geräumt werden.

 

In Baden-Württemberg scheint Merkels Mahnung noch nicht überall gehört worden zu sein. Diesen Eindruck erweckt jedenfalls ein Konflikt zwischen den Kommunen und der Landesregierung, der jetzt auch den Landtag beschäftigt. Es geht um die hauptamtlichen Integrationsbeauftragten, die sich bei Kreisen, Städten und Gemeinden um Flüchtlinge kümmern. Seit 2013 werden diese vom Land anteilig mit einem Millionenbetrag mitfinanziert, mehr als 300 Stellen wurden bereits auf der Grundlage der „Verwaltungsvorschrift Integration“ gefördert – von A wie Aalen bis W wie Winterbach.

„Arbeitsmarkt ist leergefegt“

Am Geld fehlt es also nicht, aber zunehmend an geeignetem Personal. Schon vor einer Weile schlug der Gemeindetag daher Alarm. Städten und Gemeinden falle es immer schwerer, die Stellen zu besetzen, schrieb der Präsident Roger Kehle an den zuständigen Sozialminister Manfred Lucha (Grüne). Angesichts der hohen Flüchtlingszahlen sei „der Arbeitsmarkt in diesem Bereich so gut wie leergefegt“. Habe man glücklich doch einen geeigneten Bewerber gefunden, drohe eine formale Hürde: ohne einen Studienabschluss zumindest einer Fach-, Dualen oder Pädagogischen Hochschule gebe es keinen Landeszuschuss. Das sei eine „missliche Lage“, beklagte Kehle und bat darum, die Vorschrift zu flexibilisieren: Man möge das Studium nicht zwingend vorschreiben, sondern den Gemeinden die Entscheidung über die persönliche Eignung und damit die Personalauswahl überlassen.

Doch Lucha ließ sich nicht erweichen. Die Aufgaben der Integrationsbeauftragten – Koordinierung und Steuerung der Arbeit – rechtfertigten es, ein Studium zu verlangen, schrieb er zurück. Fachrichtung und Art des Abschlusses seien ja nicht vorgegeben, von daher bleibe genügend Flexibilität. Im Übrigen hätten die Kommunen noch immer jemanden gefunden. Die Vorschrift werde mithin nicht geändert. „Damit ist selbstverständlich nicht gesagt, dass Personen ohne Studienabschluss keine gute Arbeit leisten“, fügte der Grüne hinzu. Im Rahmen eines landesweiten Programms könne man aber keine „Einzelfallentscheidungen“ treffen. Unerhört blieb auch der Wunsch des Landkreistages, aus der Muss- eine Sollvorschrift zu machen.

Wäre ein Atomexperte geeignet?

Nun bekommen die Kommunalverbände Rückendeckung von der Landtags-FDP. Per Anfrage erkundigte sich die Fraktion, warum „Menschen mit mittlerem Bildungsabschluss“ nicht als Integrationsbeauftragte in Frage kämen. „Im Einzelfall“ sei das natürlich nicht ausgeschlossen, antwortete Lucha, bekräftigte aber ansonsten seine harte Linie. Das Land müsse auf den wirksamen Einsatz der Steuergelder achten, Standards für die Qualifikation zeigten, wie wichtig man das Thema Integration nehme.

Doch der FDP-Abgeordnete Jürgen Keck ließ nicht locker. Lucha behaupte also ernsthaft, dass zum Beispiel ein Kernenergietechniker qua Abschluss geeignet sei? Wie erkläre er zudem, „dass die Bekleidung eines Ministeramtes ohne abgeschlossenes Studium möglich ist“, die der Stelle eines Integrationsbeauftragten hingegen nicht? Die Frage nach dem Atomexperten überging der Ressortchef in seiner jetzt vorliegenden Antwort. Minister und Abgeordnete, erläuterte er, würden „nach anderen Kriterien“ ausgewählt. Nebenbei behauptete er, vom Gemeindetag liege „keine Stellungnahme“ vor – trotz des eindringlichen Schreibens.

FDP beklagt „Formalismus“

Nicht nur das wunderte den Liberalen Keck, ebenso wie das Ausweichen auf seine „provokante Frage“. Es sei für ihn „nicht nachvollziehbar“, warum ein akademischer Abschluss für einen kommunalen Integrationsbeauftragten unverzichtbar sein solle. Da gehe beim grünen Sozialminister „Formalismus vor tatsächlicher Eignung“.

Vielleicht sollte die mitregierende CDU ihn einmal an den Appell der Kanzlerin erinnern.