Kultur: Stefan Kister (kir)

In Israel trifft das 2011 auf dem internationalen Dokumentarfilmfestival von Tel Aviv gezeigte Elaborat einen Nerv, der in den letzten Jahren immer empfindlicher auf alles reagiert, was geeignet ist, den Alleinvertretungsanspruch der jüdischen Identität durch den Staat Israel in Frage zu stellen. Und wieder einmal war es die amerikanisch-jüdische Philosophin Judith Butler, die diesem kulturzionistischen Syndrom auf den Zahn fühlte, indem sie ebenfalls 2011 in ihrem Aufsatz „Who owns Kafka?“ auf den identitätsprägenden Grundwiderspruch dieses Dichters hinwies: ein „urdeutsches“ Werk hinterlassen zu haben, das gleichzeitig zu den „jüdischsten Dokumenten“ seiner Zeit gehört. Kafka, so Butler, eignet sich nicht als zionistische Galionsfigur, woraus freilich noch nicht notwendig hervorgeht, dass sein Werk unbedingt einem deutschen Archiv zugeschlagen werden müsse.

 

Um die Frage zu klären, wie es denn nun wirklich um Kafkas angebliche Absicht, nach Israel auszuwandern, bestellt war, wie sie aus dem Land nun reklamiert wird, könnte ein so erfahrenes und prestigereiches Archiv wie das Marbacher sicher gute Arbeit leisten. Auch wenn der Großteil von Kafkas schriftlichem Nachlass von Brod an die Nichten des Autors übergeben worden war, die ihn ihrerseits der Bodleian Library in Oxford überließen.

Vor der Textarbeit im Archiv steht die Urteilsexegese. Eva Hoffe, die gerne mit Marbach kooperiert hätte, muss sich noch gedulden. Sie plant in Revision zu gehen. Das nächste Kapitel dieses Prozesses entscheidet sich vor dem Bezirksgericht von Tel Aviv. Laut Brods Testament sollten nach dem Tod seiner begünstigten Sekretärin deren Erben, also Eva Hoffe, veranlassen, dass „die Manuskripte, Briefe, und sonstige Urkunden der Bibliothek der Hebräischen Universität in Jerusalem oder der Staatlichen Bibliothek Tel Aviv oder einem anderen öffentlichen Archiv im Inland oder Ausland zur Aufbewahrung übergeben werden“. Handelt es sich dabei nun um gleichberechtigte Optionen oder um eine eindeutige Rangfolge? Das Gericht hat sich für letzteres entschieden. Der Kafka-Forscher Hans-Gerd Koch interpretiert das Urteil als eine klare Enteignung der rechtmäßigen Erben.

Zwar sind Philologen von Haus aus keine Rechtsexperten, doch haben Kafka-Kenner einen feinen Sinn für die Anfechtungen durch eine den Menschen überwältigende Ordnung.