Die Stuttgarter Kulturgemeinschaft bezog lange Zeit von den Staatstheatern Tickets mit ungewöhnlich hohen Rabatten - ohne rechtliche Grundlage. Der Verwaltungsrat ist aufgeschreckt.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Peter Jakobeit, der Geschäftsführer der Stuttgarter Kulturgemeinschaft, ist in den Editorials seiner Mitgliederzeitung „Kultur“ um deutliche Worte nie verlegen. Der Ton, den er in der aktuellen Ausgabe anschlägt, überrascht dann aber doch. Schließlich verhandelt er darin ein Thema unter Kulturpartnern.

 

Scharf geht Jakobeit mit den Stuttgarter Staatstheatern ins Gericht, insbesondere mit deren Geschäftsführendem Intendanten Marc-Oliver Hendriks. Mit dessen Versuchen, den Verkaufspreis von Staatstheater-Tickets an die Kulturgemeinschaft deutlich anzuheben, zerstöre er eine „jahrzehntelang bewährte, zum Wohle aller Beteiligten ausgeübte Praxis“ und habe letztlich zum Ziel, „auf Umwegen die Kulturgemeinschaft als Konkurrentin auszu-schalten“. Und in einem Brief, den Jakobeit Ende April an die Mitglieder des Staatstheater-Verwaltungsrates verschickt hat und der der StZ vorliegt, heißt es noch schärfer: Die „neue Intendanz“ plane, „sich einen unliebsamen Konkurrenten vom Halse zu schaffen“.

Worum geht es? Die Stuttgarter Staatstheater verkaufen Eintrittskarten für ihre Vorstellungen an die Kulturgemeinschaft, die diese wiederum in diversen Abonnements an ihre Kunden weiterverkauft. Dabei gewährt das Staatstheater der Kulturgemeinschaft einen Rabatt. In der laufenden Saison bekommt die Kulturgemeinschaft ihre Karten um die Hälfte ermäßigt gegenüber dem regulären Kassenpreis. In der kommenden Saison sinkt der Rabatt auf Betreiben der Intendanz bereits auf 42,5 Prozent. Angestrebt werden weitere Absenkungen auf 35 und 25 Prozent in der Zukunft. Das heißt, auch die Abos der Kulturgemeinschaft werden mutmaßlich teurer und deutlich unattraktiver. Jakobeit befürchtet deshalb eine Existenzkrise.

Das System der Mischabos gewährt Planungssicherheit

Die Kulturgemeinschaft ist eine traditionsreiche Besucherorganisation, historisch in der Bildungsarbeit der Gewerkschaften verankert. Laut ihrer eigenen Angaben ist es die größte dieser Art in Deutschland. Den rund 35 000 Mitgliedern – die Kulturgemeinschaft ist laut Rechtsform ein eingetragener Verein – bietet die Geschäftsstelle in der Willi-Bleicher-Straße Karten an pro Saison in 45 verschiedenen Aboreihen für rund 2500 Veranstaltungen aus Theater, Musik und Kunst. Das Besondere an diesem thematisch vielfältigen Programm: in fast allen Aboreihen mischen sich die Veranstalter. Wer also ein Theaterabo kauft, besucht nicht nur Vorstellungen im Staatstheater, sondern auch auf den kleineren Bühnen. Laut einer Selbsteinschätzung der Kulturgemeinschaft kommen rund ein Fünftel aller Menschen, die überhaupt Kulturveranstaltungen in der Region besuchen, über die Abo-reihen der Kulturgemeinschaft dorthin.

Dieses System der Mischabos führt dazu, dass nicht nur die großen Staatstheater sicher sein können, pro Saison rund 15 Prozent ihrer Plätze in jedem Fall durch Mitglieder der Kulturgemeinschaft besetzt zu haben. Vor allem die kleinen, ungleich schwächer finanzierten Bühnen – zum Beispiel das Theater Rampe, die Tri-Bühne, das Studio-Theater oder das Forum-Theater – bekommen durch diese Praxis eine Planungssicherheit, die zweifellos ihre Existenz zum Teil absichert. Und just an dieser Stelle verschärfte Jakobeit im bereits erwähnten Brief an die Mitglieder des Staatstheater-Verwaltungsrates (also die politischen Vertreter von Stadt und Land) die Drohung enorm: Wenn die Staatstheater-Intendanz mit ihren Rabattplänen durchkäme, „wären wir umgehend gezwungen, uns von zahlreichen kleineren Partnern zu trennen. Das würde dort die schiere Existenzfrage aufwerfen und direkt dazu führen, dass Anfragen an Stadt und Land zwecks außerplanmäßiger Zuschusserhöhung gerichtet würden.“

Solche Rabatte sind bundesweit Spitze

Keine Frage: in diesem Thema steckt kulturpolitischer Sprengstoff – aber womöglich noch ganz anderer Natur, als es Peter Jakobeit in seinem Brief skizziert. Über die Hälfte seiner Sitzungszeit verbrachte der Verwaltungsrat am 7. Mai mit diesem Thema. Die Mitglieder mussten dabei zur Kenntnis nehmen, dass es über die Geschäftsbeziehungen zwischen Staatstheater und Kulturgemeinschaft – also letztlich über die stark verbilligte Abgabe öffentlich subventionierter Theaterkarten an einen privat wirtschaftenden Verein, der sie mit Gewinn weiterverkauft – jahrzehntelang keinerlei schriftliche Vereinbarungen gegeben hatte. Offenbar haben sich auch die eigentlich Aufsicht führenden Stellen des Kunstministeriums erst in jüngerer Zeit in diese sensible Materie eingearbeitet. Weder wusste man laut Auskunft von Verwaltungsratsmitgliedern am Eckensee so ganz genau, wie viele Karten pro Saison eigentlich an die Kulturgemeinschaft gingen, noch, zu welchem Gesamtpreis – von einer rechtlichen Vertragsgrundlage mal ganz zu schweigen. Für den Verwaltungsrat eine höchst delikate Lage, denn laut Geschäftsordnung ist allein er für Vereinbarungen mit Besucherorganisationen zuständig.

Der Geschäftsführende Intendant der Staatstheater, Marc-Oliver Hendriks, der seit Herbst 2009 im Amt ist und damals das Thema offenbar derart konturenlos vorfand, hat nachträglich errechnen lassen, um welche Summen es bei den Kulturgemeinschaftskarten geht. So gaben die Staatstheater in der Saison 2008/2009 Eintrittskarten im Gesamtwert von 3,98 Millionen Euro an die Willi-Bleicher-Straße ab, bekamen von dort aber nur 1,48 Millionen Euro bezahlt. Der Rabatt belief sich somit auf 2,5 Millionen Euro oder 63 Prozent. Solche Rabatte sind bundesweit Spitze – den Münchner Besucherorganisationen werden von der Bayerischen Staatsoper gerade einmal 20 Prozent gewährt. Daher das Bestreben der Stuttgarter Staatstheater, die Rabatte schrittweise zurückzuführen.

Jakobeit kooperiert nun auch mit privatem Konzertveranstalter

Verschärft wird das Bild noch dadurch, dass die Kulturgemeinschaft selbst laut Eigenwerbung ihren Kunden nur einen Rabatt von rund 30 Prozent gegenüber dem regulären Theaterkassenpreis gewährt. Mit anderen Worten: die Hälfte des Rabattes behielt die Kulturgemeinschaft jahrelang für sich. Das wären allein in den drei Spielzeiten von 2008 bis 2011, für die jetzt Unterlagen vorliegen, öffentliche Mittel in mehrfacher Millionenhöhe.

Peter Jakobeit sieht darin kein Problem. Er nennt dies in seinem „Kultur“-Editorial die normale „Handelsspanne“: „Das ist wenig sensationell, man könnte, flapsig ausgedrückt sagen, das ist ,the name of the game’.“ Zu Deutsch: so läuft nun mal der Hase. Marc-Oliver Hendriks spricht dagegen von mutmaßlicher „Querfinanzierung“ und warnte in der Sitzung die politisch Verantwortlichen vor „Haushaltsuntreue“. Schließlich trete die Kulturgemeinschaft ja nicht nur als Kartenvermittler, sondern selber als Veranstalter in Stuttgart auf.

Jakobeit soll im Verwaltungsrat der Staatstheater sprechen

Und tatsächlich ist die Kulturgemeinschaft stolz darauf, das Stuttgarter Kulturangebot auch mit eigenen Angeboten zu bereichern. Dazu zählt etwa das mehrtägige Ballettgastspiel im Herbst im Ludwigsburger Forum, dazu zählen Kooperationen mit dem Stuttgarter Theaterpreis oder der Ludwigsburger Antiquariatsmesse. Der Geschäftsführer der Kulturgemeinschaft bezieht einen Gutteil seines Selbstbewusstseins daraus, nicht allein Kartenvermittler, sondern veritabler Mitspieler in der Stuttgarter Kulturszene zu sein, das ist beim jetzigen Chef Peter Jakobeit nicht anders als bei seinem Vorgänger, dem auch kulturpolitisch äußerst agilen Wolfgang Milow.

Seit dieser Saison kooperiert Jakobeit nun auch noch mit dem privaten Konzertveranstalter Michael Russ. Dessen Reihe „Konzertanter Querschnitt“ in der Liederhalle hätte laut Angaben der Konzertdirektion Russ wegen zurückgehender Nachfrage bald eingestellt werden müssen, wenn die Kulturgemeinschaft nicht als Mitveranstalter eingesprungen wäre. Nun heißt die Reihe „Faszination Klassik“.

Nach Angaben von Peter Jakobeit sind alle Eigenveranstaltungen der Kulturgemeinschaft kostendeckend; der Vorwurf der Querfinanzierung sei darum absurd. Seine Bücher hielten jeder Prüfung stand. Vor weiteren Entscheidungen hat er nun Gelegenheit, im Verwaltungsrat der Staatstheater selbst zu sprechen. Das Gremium wünscht von ihm „Auskunft und Offenlegung seiner Preisgestaltung“ sowie Information, „inwieweit die von den Staatstheatern gewährten Rabatte den Mitgliedern der Kulturgemeinschaft zugute kommen.“ Termin der Aussprache: Herbst. Marc-Oliver Hendriks war am Dienstag nur zu einer kurzen Stellungnahme gegenüber der StZ bereit: Er sehe den großen Wert der Arbeit der Kulturgemeinschaft, wünsche sich aber in Zukunft eine Kooperation „auf Augenhöhe“. Das habe mit Gerechtigkeit und Plausibilität zu tun.