Von wegen Wohnungsnot. Während in Stuttgart Suchende verzweifeln, gibt es laut einer Studie für 150.000 weitere Einwohner Bauland in der Region – doch dieses ist sehr ungleich verteilt.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Derzeit leben in der Region Stuttgart rund 2,7 Millionen Menschen – und es könnten nochmals 150 000 mehr werden, ohne dass man zusätzliche Bauflächen ausweisen und also mit der bisher recht strengen Flächenpolitik brechen müsste. So sieht es zumindest Thomas Kiwitt, der technische Direktor des Verbandes Region Stuttgart (VRS). Er stützt sich auf eine neue Studie, bei der die bestehenden Flächennutzungspläne sowie Luftbilder der Baugebiete ausgewertet wurden. Scharfe Kritik gibt es aber von Seiten der FDP und der Freien Wähler: Die Zahlen stünden auf „tönernen Füßen“, und natürlich sei mancherorts, vor allem in Stuttgart, eine Wohnungsnot zu beobachten.

 

In den vergangenen zehn Jahren ist die Region gewachsen

Der Reihe nach. Die Region ist ein Zuzugsgebiet. So sind zwischen 2002 und 2012 rund 64 000 Menschen mehr in die Region Stuttgart gezogen als weggegangen. Hinzu kommt ein Geburtenüberschuss von 21 000 Menschen im gleichen Zeitraum. Berücksichtigt man weiter, dass jeder Einwohner immer mehr Wohnraum in Anspruch nimmt, so ist klar, dass weiter Häuser und Wohnungen gebaut werden müssen.

Etwa 593 Hektar an bereits ausgewiesenem und noch unbebautem Bauland hat die Studie in jenen Kommunen ausgemacht, die laut geltendem Regionalplan nur für ihren Eigenbedarf Flächen ausweisen dürfen; das sind vor allem kleinere Gemeinden abseits der Fernstraßen. Weitere 1173 Hektar stehen in jenen Städten und Gemeinden zur Verfügung, die entlang der wichtigen Siedlungsachsen beispielsweise in Fils- und Neckartal vorhanden sind. Zwar räumt Thomas Kiwitt ein, dass viele Flächennutzungspläne veraltet seien und manche Gebiete aus Naturschutzgründen nicht mehr bebaut werden dürften. Da umgekehrt die zahlreichen innerörtlichen Brachen hinzugezählt werden müssten, seien „die Zahlen belastbar, trotz mancher Unsicherheit“, so Thomas Kiwitt.

Grafik: So viel Bauland steht rechnerisch noch zur Verfügung

Wohnungen für 184.000 neue Einwohner sind entstanden

In der Region seien im vergangenen Jahrzehnt Wohnungen für 184 000 Einwohner gebaut worden; so reiche der Vorrat an Bauland also mindestens nochmals zehn Jahre – oder eher länger, da die Bevölkerung in der Region laut einer Prognose des Pestel-Instituts künftig stagniere. Kiwitts Fazit jedenfalls: „Es gibt keinen Handlungsbedarf, neue Flächen auszuweisen.“

Kai Buschmann, der Vorsitzende der FDP-Regionalfraktion, hatte das Thema durch einen Antrag der Liberalen auf die Tagesordnung setzen lassen. Mit den Antworten war er nicht zufrieden. Die Studie sei zu gleichmacherisch, sagte Buschmann: Im Zentrum der Region seien die Verhältnisse viel angespannter, aber das werde gar nicht berücksichtigt.

Freie Wähler kritisieren zu restriktive Haltung

Auch Alfred Bachofer von den Freien Wählern schlug in diese Kerbe. Derzeit gehe jedes verkäufliche Grundstück in der Region schnell weg, weil viele Menschen in Sachwerte flüchteten; in Wirklichkeit gebe es deshalb doch einen Baulandmangel, nicht nur im Zentrum. Bachofer machte dafür letztlich den Regionalverband mit verantwortlich, der viel zu restriktiv sei und den Kommunen zu wenig Entwicklung zubillige. „Die Regionen Neckar-Alb und Heilbronn-Franken prosperieren, weil es dort eine viel größere Flexibilität gibt“, so Bachofer. Wenn die Landesregierung ihre Pläne zum Hochwasserschutz umsetze, fielen extrem viele Baugebiete zusätzlich weg.

Manfred List, der frühere OB von Bietigheim-Bissingen und Regionalrat der CDU-Fraktion, mahnte dagegen, das Thema doch etwas unaufgeregter zu behandeln. Angesichts der niedrigen Zinsen sei die starke Nachfrage nach Bauland normal: „Wir sind aber schon flexibel genug und laufen nicht in einen Engpass hinein.“

Vor allem Stuttgart hat sehr wenig Baulandreserven ; hier spricht auch OB Fritz Kuhn von Wohnungsnot. Laut dem VRS gibt es nur noch 39 Hektar an bebaubarer Fläche. Im Vergleich dazu kommt selbst der Landkreis Göppingen, der die wenigsten Reserven unter allen Flächenkreisen in der Region Stuttgart hat, auf das Zweieinhalbfache an Bauland – die unterschiedliche Flächengröße ist dabei berücksichtigt.

Und Stuttgart bleibt attraktiv und damit die Wohnsituation angespannt, wie das Statistische Amt der Stadt jetzt festgestellt hat. Zwar ziehen weiter viele Stuttgarter in die Nachbarkreise, aber der Zuzug aus dem weiteren Umland und aus anderen Bundesländern ist ungebremst. Allein durch innerdeutschen Zuzug wächst Stuttgart im Saldo jährlich um 2000 bis 3000 Personen.

Wie die Baulandentwicklung geregelt wird

Regionalplan
Im Regionalplan ist für jede der 179 Kommunen der Region festgelegt, ob sie als Kommune beschränkt ist auf die Eigenentwicklung oder ob sie stärker wachsen darf, weil sie in den Entwicklungsbereichen liegt. Das hat Folgen für die Obergrenze beim Bauland. So will man sparsam mit den Flächen umgehen.

Eigenentwicklung
In solchen Kommunen darf die Zahl der Wohneinheiten höchstens um ein Prozent pro fünf Jahre wachsen. Damit soll der Eigenbedarf der Einwohner gesichert werden; es gibt aber kaum Bauland für Menschen, die zuziehen wollen. Wohngebiete, die über diesen Rahmen hinausgehen, lehnt der Regionalverband verbindlich ab. In diese Kategorie gehören 94 Kommunen.

Siedlungsachse
Die weiteren 85 Kommunen dürfen um 1,5 Prozent pro fünf Jahre zulegen. Es handelt sich um Kommunen entlang von elf Siedlungsachsen, zum Beispiel an Neckar, Fils oder der A 81.