Kultur: Tim Schleider (schl)


Auch die zweite wichtige Schlussfolgerung wird im "Amt" keineswegs erstmals enthüllt, aber nun ein weiteres Mal bewiesen: Keine gesellschaftliche Gruppe kann sich in einem Verbrecherstaat wie der NS-Diktatur sauber- und reinhalten - und erst recht keine Elite. Ob es die Ärzte waren, die Hochschullehrer, die Juristen, die Schauspieler und Regisseure, die Wissenschaftler, die Pädagogen oder jetzt eben die Diplomaten - jede Gruppe, die nach dem Krieg für sich beanspruchte, im großen und ganzen nur ihre Arbeit gemacht und im Zweifelsfall ihre Pflicht erfüllt, in vielen Einzelfällen gar Schlimmeres verhütet zu haben, musste im Lauf der Jahrzehnte mit fortschreitender historischer Forschung einsehen, mehr oder weniger willig, meist aber willig ihren Beitrag geleistet zu haben.

Der wirkliche Widerstand war viel zu selten


Ein Eingeständnis, dass sich von den Eliten herunterzieht bis zum einfachen Volk. Erinnert sei an die heftige Aufregung, die von 1995 an die sogenannte Wehrmachtsausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung hervorrief. Trotz mancher Korrekturen in Details ist die Kernaussage dieser Ausstellung inzwischen Bestandteil allgemeiner Debatte: Ja, auch die Wehrmacht von den Generälen herab über die Offiziere bis zu einfachen Soldaten war nach 1939 wirksam eingebunden in die NS-Strategien von Terror und Völkermord.

Das heißt also, am furchtbarsten und effektivsten ist Staatsterror stets dann, wenn Teilhabe und Verantwortung breit verteilt werden. Und es heißt, jeder Elite ist notorisch zu misstrauen, die behauptet, just ihre ganz besondere Elitenehre habe sie vor übler Verstrickung mit Unheil bewahrt. Dies können wir lernen durch die Arbeit der Historiker - und zwar nicht, auf dass wir sicher sein könnten, damals anders gehandelt zu haben, sondern um uns vor Wiederholungen zu bewahren.

Denn der wirkliche, der mutige, der aufrichtige Widerstand - das ist die dritte Schlussfolgerung aus aller NS-Erforscherei - war viel zu selten, vereinzelt, hoch riskant, stets vom Tod bedroht und also bitter. Zu bewundern und zu ehren sind all jene, die diesen Preis zu zahlen bereit waren. Aber eben auch nur sie. Vom kommenden Jahr an beispielsweise soll auch in Berlin ein Denkmal an Georg Elser erinnern, jenen württembergischen Schreiner, der am 8. November 1939 versuchte, Adolf Hitler in München in die Luft zu jagen und dafür mit jahrelanger KZ-Haft und schließlich seiner Ermordung bezahlte. Seltene Gesinnung, seltener Mut, einsame Tat. Zur selben Zeit im Berliner "Amt": allgemeine Betriebsamkeit. Diese Erkenntnis gilt es auszuhalten. Aus ihr gilt es zu lernen.