Friedlicher Protest oder Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte? Ein Prozess, der in Zusammenhang mit Stuttgart 21 bereits durch mehrere Instanzen ging, wird jetzt erneut verhandelt.

Digital Desk: Sascha Maier (sma)

Stuttgart - Ist es Widerstand gegen die Staatsgewalt, sich mit einem Bügelschloss an ein Fenstergitter anzuketten? Dieser Frage geht seit Dienstag das Stuttgarter Landgericht nach – nicht zum ersten Mal.Denn der Fall, bei dem sich zwei Parkschützerinnen aus Protest gegen Stuttgart 21 Anfang 2012 wiederholt angekettet haben, ging bereits durch mehrere richterliche Instanzen. Nach einem erstinstanzlichen Freispruch ist die Staatsanwaltschaft in Berufung gegangen.

 

In der Nacht auf den 15. Februar 2012 haben sich eine 51 und eine 52 Jahre alte Parkschützerin mit einem Bügelschloss um den Hals an einem Fenstergitter am Südflügel des Hauptbahnhofs angekettet, um ein medienwirksam Zeichen gegen dessen Abriss zu setzen. Etwa 800 weitere Stuttgart-21-Gegner demonstrierten ebenfalls gegen das Bahnprojekt.

An den beiden Damen beißt sich die Polizei die Zähne aus

Die Polizei räumte den Bereich über die Nacht, löste eine Sitzblockade auf – nur an den besonders engagierten beiden Demonstrantinnen biss sie sich zunächst die Zähne aus. Der Einsatz eines Bolzenschneiders war nicht von Erfolg gekrönt. Erst gegen 8 Uhr morgens gelang es der Polizei, die Angeklagten aus ihrer selbst gewählten Situation zu befreien, indem sie das Fenstergitter mit der Flex entfernte.

Wenige Wochen später ein ähnliches Szenario im Schlossgarten: Das Demonstrantinnen-Damenduo setzte erneut im Rahmen einer Demo Bügelschlösser ein, wobei sich die Frauen diesmal mit einer Kette an einen Baum gebunden hatten. Wieder hatte die Polizei Schwierigkeiten, die Angeklagten zu loszumachen.

Die Rechtssprechung ist offenbar nicht eindeutig

Soweit die Fakten. Offenbar ist die Rechtssprechung, ob es sich beim Thema Anketten aus Protest um ein Bagatelldelikt oder eine Straftat handelt, jedoch nicht so eindeutig. Nachdem die Angeklagten vom Amtsgericht Stuttgart wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu hohen Geldstrafen verurteilt wurden, korrigierte das Landgericht die Strafe nach der ersten Revision auf ein deutlich niedrigeres Bußgeld für eine Ordnungswidrigkeit herunter. Dann ging die Staatsanwaltschaft in Revision – und de Fall landete auf Entscheidung des Oberlandesgerichts hin erneut vor dem Landgericht.

Die Staatsanwaltschaft argumentiert so: Auch wenn keine Gewalt im landläufigen Sinne gegen Vollstreckungsbeamte angewendet worden sei, müsse das Anketten im juristischen Sinne dennoch als Gewalt gewertet werden, da die Angeklagten „die Diensthandlungen der Polizei“, nämlich die Demos aufzulösen, erschwert hätten.

Von Herrmann: Wichtiges Signal für zivilen Ungehorsam

Matthias von Herrmann, Sprecher der Parkschützer, wertet den Ausgang der Verhandlung als wichtiges Signal im Umgang mit zivilem Ungehorsam: „Es geht hier über den Fall hinaus darum, wie der Staat mit Demonstranten umspringen darf.“ Darüber wird vermutlich nächsten Montag entschieden, wenn die Verhandlung fortgesetzt wird.