Die Debatte um die Mehrkosten bei dem Schienenprojekt Stuttgart 21 ist voll entbrannt. Und die Bauherrin Bahn gerät gehörig unter Druck.

Stuttgart - Der Bahnvorstand Volker Kefer hatte bereits im Oktober die Gefahr einer Verteuerung von Stuttgart 21 eingeräumt. Inzwischen verdichten sich aber die Hinweise, dass der Kostenrahmen um bis zu eine Milliarde überschritten werden könnte. Der Bahn-Aufsichtsrat wird sich damit am 12. Dezember befassen.

 

Offiziell genehmigt sind bisher 4,088 Milliarden Euro. Allerdings taxiert die Bahn den sogenannten Gesamtwertumfang bereits auf 4,33 Milliarden Euro. Doch schon bei Abschluss der Finanzierungsvereinbarung im Jahr 2009 standen Baukosten von fünf Milliarden Euro im Raum. Durch Einsparpotenziale und Senkung der Planungskosten wurde der Preis theoretisch auf 4,088 Milliarden Euro gedrückt – und ein neuer Risikopuffer von 450 Millionen Euro definiert.

Der Gesamtrahmen von 4,52 Milliarden Euro dürfte nach neuesten Informationen aus Kreisen des Bahnaufsichtsrates nicht ausreichen. Bei der Debatte über Mehrkosten stand zuletzt die Flughafenanbindung im Blickpunkt, wonach die im Filderdialog diskutierte Variante mit einem Flughafenbahnhof Plus nach Bahnangaben 224 Millionen teurerer sein soll als die bestehende Planung. Die Ur-Variante ist aber längst noch nicht genehmigt – und dürfte unter anderem wegen neuer Brandschutzvorschriften nicht zum kalkulierten Preis zu haben sein. Die Filderplanung ist aber nur einer von vielen Kostentreibern. Eine zu optimistische Planung und weitere von der Stuttgarter Zeitung schon 2011 bezifferte und benannte Maßnahmen im Umfang von mehreren hundert Millionen führen dazu, dass der Kostendeckel gesprengt werden könnte.

Die Planungskosten seien nach oben korrigiert worden

Stichwort Planungskosten. Der mit 17 Prozent pauschalierte Aufwand der Bahn für die Planung wurde 2009 im Zuge der Präsentation von Spar- und Optimierungspotenzialen (900 Millionen Euro) entsprechend nach unten korrigiert. Nachdem nun nur wenig gespart worden sei, seien die Planungskosten nach oben korrigiert worden, heißt es in Kreisen des Aufsichtsrats. Auch sei der Ansatz zu gering gewesen, teils lägen die Planungskosten über 20 Prozent. Das räche sich nun. Mehrkosten: mindestens 350 Millionen Euro.

Stichwort Verzögerung. Vorstand Kefer hat die Kosten für jedes Jahr einer verspäteten Inbetriebnahme des neuen Tiefbahnhofs mit 40 Millionen Euro beziffert. Auf den Fildern hinkt die Bahn ihrem Zeitplan von 2009 dreieinhalb Jahre hinterher, in der City – geplante Fertigstellung 2019 – mindestens zwei Jahre. Hinzu kommen gegebenenfalls Zwangszahlung an die Stadt von 20 Millionen Euro jährlich, weil diese von 1. Januar 2021 an von der Bahn Verzugszinsen verlangt, wenn die heutige Gleisfläche bis dahin nicht geräumt ist.

Die Verdopplung der Grundwassermenge führt zu Mehrkosten

Stichwort Streckennetz. Zusatzkosten ergeben sich aus der Bewertung der Entwurfsplanung, wie ein Protokoll der Projektpartner bereits Ende 2009 belegte. Dazu gehört das viel später in der Schlichtung als „unabdingbar“ erachtete zweite Gleis am Flughafen (mindestens 30 Millionen Euro), die zusätzliche Signaltechnik für Regionalzüge und S-Bahnen (17,5 Millionen), eine zusätzliche GSM-R-Funkverbindung zwischen Fahrzeugen und Stellwerk (23,4 Millionen), die Weichenverbindung nördlich von Feuerbach (2,3 Millionen), die Verringerung der Abstände von Querschlägen in den Tunnels (fünf Millionen).

Stichwort Grundwasser: Die Verdoppelung der Menge an Grundwasser, die für den Bau des Tiefbahnhofs umgewälzt werden muss, führt laut bahninterner Papiere zu Mehrkosten von bis zu 80 Millionen Euro. Stichwort Kreuzungsvereinbarung: Bis zu 40 Millionen Euro Mehrkosten entstehen durch die Verwendung veralterter Kostenstände bei der Vereinbarung zur Verlegung des Stadtbahntunnels unter der Heilbronner Straße und der Haltestelle Staatsgalerie wegen Stuttgart 21.

Indes ist hinter den Kulissen der Kampf um die Deutungshoheit in Sachen Mehrkosten längst entbrannt. Als Bahn-Infrastrukturchef Kefer am 21. November intern beklagte, dass „die Kosten- und Terminstabilität insbesondere bei Großprojekten unbefriedigend“ und daher mit einem „höheren Eigenmittelbedarf“ zu rechnen sei (die StZ berichtete), vermuteten die S-21-Gegner bereits das Aus für das Milliardenprojekt. Sie erinnerten an Aufsichtsratsunterlagen von 2009, die belegten, dass S 21 für die Bahn nur bei Kosten von höchstens 4,769 Milliarden wirtschaftlich sei.

Der Bahn-Aufsichtsrat wird über mehrere Optionen beraten

Die Kommunikationsstrategen des Bahn-Vorstands interpretieren die Lage anders: Kefers Brandbrief ist demnach „ein Zeichen der Stärke“. Wenn ein Vorstand kurz vor der Aufsichtsratssitzung unmissverständlich die Probleme im eigenen Laden anprangere, dann mache er klar, dass er nicht gewillt sei, diese Fehlerproduktion auch nur einen Tag länger zu tolerieren.

Der Bahn-Aufsichtsrat wird über mehrere Optionen beraten. Einerseits, heißt es in der Konzernspitze, gäbe es nicht wenige, die einer juristischen Prüfung der im Finanzierungsvertrag enthaltenen Sprechklausel das Wort redeten. Diese besagt nur, dass die Projektpartner miteinander reden müssen, falls Mehrkosten anfallen. Bisher war es gängige Meinung im Aufsichtsrat, dass weitere Mehrkosten so aufgeteilt werden müssten wie der Risikofonds. Dieser enthält laut Bahn noch 450 Millionen Euro. Der Konzern trägt davon 290 Millionen Euro, das Land 110 Millionen und die Stadt 50 Millionen Euro.

Inzwischen arbeitet die Bahn an einem neuen Vorschlag. Demnach könnten Mehrkosten in drei Töpfe aufgeteilt werden. Einer enthielte alle Fehlleistungen und Planungsfehler der Bahn und würde nur von ihr bedient. In einem zweiten befänden sich allgemeine Planungsrisiken, etwa beim Brandschutz. Wenn sich in solch elementaren Bereichen die Vorschriften änderten, müssten alle Partner bezahlen, so die Bahn. Im dritten Topf versammelt die Bahn alle Sonderwünsche, etwa den verbesserten Filderbahnhof, die müsse bezahlen, wer sie bestelle.

„Die Mehrkosten sind Sache der Bahn“, sagen der FDP-Fraktionschef im Gemeinderat, Bernd Klingler, und die SPD-Vorsitzende Roswitha Blind. Und wie Blind verweist auch der CDU-Chef Alexander Kotz auf den Ratsbeschluss für einen Bürgerentscheid, sollte die Stadt an zusätzlichen Kosten beteiligt werden. Für die Grünen ist klar: „Der Kostendeckel ist gerissen“, so Fraktionschef Peter Pätzold. „Nun offenbart sich, was wir seit einem Jahr sagen.“