Eine SMA-Studie zeigt Vorteile des Alternativkonzepts zu Stuttgart 21 auf. Die Bahn hält den Vergleich mit einer "Ideensammlung" für unstatthaft.

Stuttgart - Stuttgart 21 sei ein Projekt, dass dem Land Baden-Württemberg insgesamt nutze, behaupten die Befürworter des umstrittenen Bahnprojekts. Der Befund mag richtig sein, was etwa Aufträge für die Baubranche angeht. Aber in welchem Ausmaß profitieren die Bahnreisenden von der neuen, milliardenschweren Infrastruktur? Eine Analyse der Reisezeiten, die das Schweizer Verkehrsgutachterbüro SMA für die Schlichtungsgespräche Ende 2010 angefertigt hat, weckt neue Zweifel.

 

Das Gutachten wurde im Oktober 2010 von der Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg (NVBW) bei SMA in Auftrag gegeben und sollte offenbar als Argumentationshilfe für die Vertreter der CDU-geführten Landesregierung während der Schlichtungsgespräche unter Leitung des CDU-Politikers Heiner Geißler dienen. Doch das Papier, dass den Titel "Stuttgart21 und Kopfbahnhof 21 - vergleichende Analyse der Reisezeiten" und das Datum 26. November 2010 trägt, blieb in der Schublade.

Das Kopfbahnhofkonzept reduziert die Fahrzeit

Seit einiger Zeit ist die Expertise auf der Homepage des nun grün geführten Verkehrsministeriums eingestellt. Wer sie liest, kann sich seinen Reim darauf machen, warum die damalige Verkehrsministerin Tanja Gönner (CDU) darauf verzichtet hat, die Analyse in den Schlichtungsgesprächen auf den Tisch zu legen. Sie kommt nämlich zu dem Ergebnis, dass das Kopfbahnhofkonzept auf wichtigen, viel genutzten Strecken die Fahrzeit eher reduziert als Stuttgart 21. Die Bahn, die sich erst kürzlich von den SMA-Fachleuten eine wirtschaftlich optimale Betriebsqualität ihres simulierten Fahrplans bescheinigen ließ, hält den Vergleich zwischen S 21 und der "Ideensammlung K 21" für unstatthaft.

SMA hat in der Studie insgesamt 38.220 mögliche Reiseverbindungen zwischen 196 Bahnhöfen in Baden-Württemberg untersucht - und die Ergebnisse für S21 und K 21 miteinander verglichen. Unterstellt wurden dabei bei beiden Projekten ein Ausbau der Infrastruktur: bei S21 etwa der Bau der ICE-Trasse Wendlingen-Ulm und der Ausbau der Gäubahn, bei K21 die zweigleisige Anbindung der Neckartalroute über die Wendlinger Kurve an die Schnellbahnstrecke nach Ulm und Spuroptimierungen in den Bahnhöfen.

Beide Varianten profitieren von der geplanten ICE-Neubaustrecke

Auf den ersten Blick schneidet das geplante Bahnprojekt in der SMA-Analyse gut ab. Betrachtet man die Verbindungen zwischen Mannheim, Ulm, Karlsruhe, Aalen, Heilbronn und Crailsheim ohne Berücksichtigung der Fahrgastzahlen auf einzelnen Strecken, so verkürzen sich die Fahrzeiten bei S21 gegenüber dem heutigen Zustand im Schnitt um 6,3 Prozent, beim Alternativkonzept Kopfbahnhof21 dagegen nur um 4,7 Prozent. Beide Varianten profitieren dabei vor allem von der geplanten ICE-Neubaustrecke. In absoluten Zahlen ausgedrückt relativiert sich das Ergebnis freilich: Pro Stunde spart der Fahrgast bei Stuttgart21 lediglich 54 Sekunden Reisezeit gegenüber der billigeren K-21-Variante ein - ein knapper Punktsieg für die Verfechter des Tiefbahnhofs.

In einem zweiten Schritt haben die Schweizer dann zwischen viel genutzten und wenig genutzten Verbindungen unterschieden und jede der untersuchten Strecken anhand der Fahrgastzahl gewichtet. Diesmal fällt das Ergebnis zu Gunsten des Alternativmodells aus: Auf Abschnitten mit hohem Passagieraufkommen liegt die durchschnittliche Reisezeitverkürzung bei Stuttgart 21 bei 30 Sekunden pro Stunde. Bei Realisierung des Konzepts K21 würden die Fahrgäste im Schnitt dagegen 90 Sekunden pro Stunde schneller ans Ziel kommen.

13 Prozent der Bahnfahrer sind mit S21 langsamer unterwegs als heute

SMA hat auch ausgewertet, wie viele Reisende von Stuttgart21 bei beiden Konzepten künftig von der Reisezeitverkürzung profitieren. Mit Stuttgart21 kämen 19Prozent der an einem Werktag unterstellten knapp 400.000 Bahnreisenden tatsächlich schneller ins Ziel als heute (nur 13 Prozent bei K 21). Dagegen sind beim Kopfbahnhofmodell 81Prozent der Fahrgäste etwa gleich schnell an ihrem Zielort - bei Stuttgart 21 lediglich 68Prozent. Und: immerhin 13Prozent der Bahnfahrer sind mit S21 künftig sogar langsamer unterwegs als heute; bei K21 wären dies laut SMA-Analyse nur sechs Prozent.

Bei der vertieften Untersuchung der Fahrbeziehungen an den sogenannten Durchmesserlinien wiederum zeigt sich, dass Stuttgart21 gegenüber dem Kopfbahnhof zwar leichte Vorteile aufweist, die allerdings ebenfalls im Minuten- mitunter sogar nur im Sekundenbereich liegen. Kritische Bahnexperten weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Bahn ihren Fahrplan zweieinhalb Jahre optimieren konnte, während die Verkehrsplaner der Gegenseite den K-21-Fahrplan innerhalb von drei Wochen vor der Schlichtung aus dem Boden gestampft hätten.

Kein vernünftiger Gegenwert in Form von Fahrzeitverkürzungen

Angesichts des zeitlichen Vorlaufs der Bahn und Investitionskosten von 4,1 Milliarden Euro für Stuttgart 21 "müssten die Reisezeitverkürzungen viel massiver sein", heißt es in Fachkreisen. Der Landesvorsitzende des Verkehrsclubs Deutschland, Matthias Lieb, formuliert es deutlich: Den Milliardenkosten bei Stuttgart 21 stehe kein vernünftiger Gegenwert in Form von Fahrzeitverkürzungen gegenüber.

Für den S-21-Projektsprecher Wolfgang Dietrich ist die SMA-Untersuchung dagegen ein Muster ohne Wert: Es sei "nicht ersichtlich, welche der vielen Varianten von K21 letztlich die Grundlage für diesen Vergleich war". Es sei deshalb "nur logisch, dass das Thema in der Schlichtung nicht behandelt werden konnte". Dass die Reisezeitenstudie just aus jenem renommierten Schweizer Büro stammt, dessen positives Stresstestzeugnis die Bahn noch vor wenigen Tagen als Beweis für die Qualität ihres vorgelegten Fahrplans gewertet hat, blendet der Projektsprecher aus.

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