Laut Bahn sind die geologischen Risiken beim Stuttgart-21-Tunnelbau zu vernachlässigen. Einige Höhlenforscher sind anderer Meinung.

Stuttgart - Die Sache klingt kurios wie so manches im Zusammenhang mit dem umstrittenen Bahnprojekt Stuttgart-Ulm. Noch während der Schlichtungsgespräche im Stuttgarter Rathaus hatte der von der Bahn beauftragte Ingenieur Walter Wittke mit Inbrunst versichert, die geologischen Risiken beim Tunnelbau für Stuttgart 21 und die Neubaustrecke zwischen Wendlingen und Ulm im Albkarst seien dank präziser Voruntersuchungen zu vernachlässigen.

Doch die baden-württembergischen Höhlenforscher trauen Wittkes Versicherungen offenbar nicht so ganz. Sie haben der Deutschen Bahn jedenfalls vorsorglich ihre Kooperation angeboten. Im Bedarfsfall stünden die Forscher bereit, neu entdeckte Hohlräume unter der Erde zu erkunden, hatte die Vorsitzende des Landesverband für Höhlen- und Karstkunde, Petra Boldt, kürzlich stolz verkündet. Und: "Die DB hat konkretes Interesse an einer Zusammenarbeit mit uns gezeigt."

Zwar beteuert die Bahn auch weiterhin, die Risiken im Untergrund seien entweder nicht vorhanden oder zumindest beherrschbar. Doch der Konzern hat vorgebaut: Nach StZ-Informationen hat die Bahn die Kooperation mit den ehrenamtlichen Höhlenforschern davon abhängig gemacht, dass diese zumindest während der Bauzeit "strikte Vertraulichkeit" zu wahren haben. Sollten die Mineure der Bahn also unerwartet auf unbekannte Hohlräume stoßen, dürfe dies der Öffentlichkeit gegenüber zunächst nicht kundgetan werden. Manche Speläologen (so der lateinische Begriff für Höhlenforscher) haben kein Verständnis für den "Maulkorb", der Dachverband aber spielt die Thematik herunter. "Es gibt noch keine festen Abmachungen, das ist alles noch in der Schwebe", sagt die Verbandsvorsitzende der Höhlenforscher, Petra Boldt. Man habe verschiedene Möglichkeiten der Kooperation durchgespielt.

Beim Kommunikationsbüro des Bahnprojekts heißt es, im Februar werde es ein erstes Treffen geben. Zugleich wird versichert, dass solche Schweigeparagrafen nichts Unübliches oder gar Anrüchiges im Geschäftsleben seien. Schließlich sei es wenig hilfreich, wenn unausgegorene Informationen an die Öffentlichkeit gelangten, heißt es. Das entspricht der sogenannten One-Voice-Strategie der Konzernspitze in Sachen Öffentlichkeitsarbeit.

Ausgebremste Höhlenspezialisten


Manche Höhlenspezialisten fürchten dagegen schlicht, in ihrem Forscherdrang ausgebremst zu werden, und erinnern an den Fall der Bleßberghöhle, die im März 2008 beim Bau der Schnellbahntrasse Nürnberg-Erfurt im Thüringer Karst entdeckt worden war. Arbeiter versuchten damals zunächst, die riesige Tropfsteinhöhle mit mehreren Hundert Kubikmeter Beton zu verfüllen. Nachdem dies wirkungslos blieb, schaltete die Bahn zunächst das Eisenbahnbundesamt ein, auch Höhlenforscher wurden hinzugezogen.

Deren Bitten, die Höhle für eine spätere Erforschung zugänglich zu halten, wurde vom Konzern erst einmal ignoriert. Der örtliche Bund für Umwelt und Naturschutz erstattete daraufhin Anzeige wegen Verstoßes gegen das europäische Naturschutzrecht. Wenige Tage später stellte die Bahn auf öffentlichen Druck die Tunnelgrabung vorübergehend ein, um den Forschern zwei Wochen Zeit für eine Erkundung einzuräumen. Bereits nach sieben Tagen jedoch wurde die Höhle verschlossen. Der Chef des Thüringer Höhlenvereins warf der Bahn einen Bruch der Absprachen vor.

Der baden-württembergische Landesverband der Speläologen nimmt offiziell zu Stuttgart 21 eine neutrale Position ein. Dennoch gibt es kritische Mitglieder, die die von der Bahn geforderte Vertraulichkeit als "Diktat" kritisieren. Es stehe im Widerspruch zu der von Bahn-Chef Rüdiger Grube zugesagten transparenten Informationspolitik. Andere argumentieren, das Angebot zur Kooperation könne Konflikte wie in Thüringen verhindern.

Bei der Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen ist die Bahn übrigens weniger rigide, was Auskünfte angeht. So durfte dieser Tage ein Vertreter des Landesdenkmalamts ohne Bahn-Pressesprecher an seiner Seite über archäologische Funde berichten, die bei der Erkundung der ICE-Strecke über die Alb entdeckt worden sind. Sein Fazit: es sei "spannend, wie viel auf dieser Trasse anfällt".