Wenn nicht bereits der Stresstest Stuttgart 21 den Garaus macht und es - voraussichtlich im Oktober - zu einer Volksabstimmung kommt, geschieht dies über Artikel 60, Absatz 3 der Landesverfassung. In diesem Fall wird die grün-rote Landesregierung ein Ausstiegsgesetz formulieren, in dem die Landeszuschüsse zur Finanzierung von Stuttgart 21 (ohne Neubautrasse Ulm-Wendlingen) zurückgezogen werden. Bei der Abstimmung im Kabinett votiert die Grünen-Seite für das Ausstiegsgesetz, die SPD-Minister enthalten sich oder schnappen während der Beschlussfassung im Garten der Villa Reitzenstein frische Luft. Anschließend lehnt der Landtag mit den Stimmen von CDU, FDP und SPD das Ausstiegsgesetz ab. Die Grünen-Abgeordneten können dafür stimmen. Danach beantragt der Landtag mit den Stimmen eines Drittels der Abgeordneten, das Ausstiegsgesetz zur Volksabstimmung zu bringen.

 

Wird das Ausstiegsgesetz per Volksentscheid abgelehnt, wollen sich die Grünen daran halten. Das gelte auch für den Fall, dass eine Mehrheit für den Ausstieg votiert, das erforderliche Zustimmungsquorum aber nicht erreicht wird, beteuerte der designierte Ministerpräsident Winfried Kretschmann. "Wenn das Quorum nicht erreicht wird, ist das Ausstiegsgesetz nicht angenommen", sagte Kretschmann. Nötig war diese Klarstellung geworden, weil Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer zuvor erklärt hatte, die Grünen würden das Ergebnis des Volksentscheids nicht in jedem Fall akzeptieren. "Für mich ist es unvorstellbar, Stuttgart 21 zu bauen", sagte Palmer am Mittwochabend nach der Pressekonferenz, auf der Kretschmann die Einigung mit der SPD verkündet hatte. Das klang ganz so, als sollte der Konflikt zwischen den angehenden Koalitionären wieder aufbrechen.

Kretschmann sagte zu Palmers Äußerungen: "Es ist gesagt, und ich kann Worte nicht zurückholen." Stattdessen versuchte er, sie mit einem Scherz zu relativieren: "Oberbürgermeister in Baden-Württemberg dürfen immer das sagen, was sie sagen." In der SPD-Spitze wurde Palmers Einwände mit überraschender Duldsamkeit hingenommen. Was auch darin begründet ist, dass Palmer erklärte, dem künftigen Kabinett nicht angehören zu wollen. Dies wurde auch bei den Grünen da und dort mit Erleichterung aufgenommen. Der Schnelldenker Palmer gilt selbst bei den eigenen Leuten als mitunter etwas anstrengend. "Egomonster", nannte ihn einmal ein namhafter Grüner. Die SPD-Leute fühlen da mit. Sie haben mit dem Ulmer OB Ivo Gönner ebenfalls einen eigenwilligen Rathauschef in ihren Reihen. So hatte der Stuttgart-21-Befürworter Gönner vor der Wahl kundgetan, er hoffe auf eine starke CDU.

Aber auch Kretschmann lässt offen, was nach einer nur wegen des Quorums gescheiterten Volksabstimmung passiert. Dann müsse geredet werden, meinte er. Klar sei, dass ein solches Ergebnis Debatten auslöse. "Die Landesregierung muss dann schauen, wie sie verfährt." Auf die Frage, ob die Koalition dann platzt, sagte er: "Dann platzt sie hoffentlich nicht."