Mit Genuss stürzt sich die Satire auf Stuttgart 21. Im Fernsehen und im Netz tobt ein Wettstreit um die besten Gags.

Stuttgart - Worüber haben die eigentlich früher Witze gemacht? Das muss man sich schon fragen, wenn man die heute show », extra 3 », Neues aus der Anstalt » und Harald Schmidt » sieht. Stuttgart 21 » überall. Der abgerissene Nordflügel, so scheint es, war so etwas wie die Abwrackprämie für die Witzeindustrie. Was im Netz als subversives Mittel vor allem auf Projektgegnerseite begonnen hat, beflügelt längst auch die professionellen Gagschreiber des Landes. Stuttgart-21-Witze haben Konjunktur.

Neuen Schub verleihen dem Satire-Boom die Schlichtungsgespräche. Die TAZ schrieb ein Theaterstück ( "Härr Geißler Härr Doktr Geißler" »), das man gerne mal inszeniert sehen würde. Das "Titanic"-Magazin malte sich aus, wie ein "schlichter Morgen mit Heiner Geißler" » aussehen könnte ("07.00 Uhr: Heiner Geißler erwirkt bei seinem Wecker einen Klingelstopp") und Spiegel Online ließ darüber abstimmen », wie der Schlichterspruch am Ende aussehen könnte ("Jetzt fasst euch alle an den Händen und habt euch wieder lieb").



Es hat ein bisschen gedauert, bis Stuttgart-21-Witze im Mainstream angekommen sind. Das Satiremagazin Titanic » sprang schon früh auf den, nun ja, Zug auf, kommentierte den Protest gegen den neuen Bahnhof süffisant ». Inzwischen ist Satire über Stuttgart 21 fast zum eigenen Genre geworden. Und die Gags reichen vom harmlosen Bielefeld 21 » ("extra 3")über das alberne Stuttgart 22 » ("extra 3")bis zum bitterbösen Stuttgart 44 » ("Titanic"). Früher gab's Witze über Helmut Kohl, heute lacht sich die halbe Republik über einen filmreifen Bahnhofsstreit schlapp. Mit Otti Fischer, Jogi Löw und Meister Yoda » in den Hauptrollen in einem Trailer der "heute show" im ZDF.



Von Satire verschont bleibt im Konflikt um Stuttgart 21 niemand. Mal trifft's Projektbefürworter - Politiker sind ja ohnehin klassische Satire-Opfer - mal Projektgegner. Dann wird Stuttgart 21 bei "extra 3" zur "Wahnsinns-Idee von Ötti" ». Und in der "Hobbythek" bastelt Jean Pütz schon mal drauf los: "Einfach dat janze Schienengedöns unter die Erde und jut is."



Auch der Protest gegen das Bahnprojekt ist dankbares Sujet für die Berufskomödianten. Moderator Oliver Welke persiflierte in der "heute show" "einen der gefährlichsten Krisenherde der Welt" und kommentierte den Gegner-Gesang "Wir sind das Volk, wir sind das Geld" nüchtern: "Das ist der Unterschied zu den Ossis. Die Ossis waren nur das Volk."



Jan Böhmermann konstatierte in der "Harald Schmidt Show", die Stimmung in Stuttgart schwanke "zwischen Revolution, Bürgerkrieg und Halbjahreszeugniskonferenz."



Und "extra 3" schickte gleich eine Mitarbeiterin zum Krisenherd, die für "Bahn TV" Stimmung vor Ort machen sollte. Selbstverständlich war auch das Satire.



Satire, erst recht im Massenmedium Fernsehen, ist mehr als nur Spaß. In den USA haben sie Nachrichtensendungen beim Meinungsbildungsprozess längst den Rang abgelaufen ». Kein Wunder also, dass Barack Obama kurz vor der Kongresswahl noch bei Jon Stewart in der "Daily Show" auftrat ». Auch, wenn es den Demokraten am Ende wohl nichts genutzt hat ».

So weit ist man in Deutschland noch nicht. Aber auch hierzulande haben Comedy- und Satiresendungen ein Millionenpublikum. Und das konnte beobachten, wie auch sie nach der Eskalation am 30. September im Schlossgarten klar Stellung bezogen. Da blieb selbst Oliver Welke zunächst ungewöhnlich ironiefrei...



... um eine Woche später den Unterschied zwischen einem Kastanienmännchen und einem Pflastersteinmännchen zu erklären.



Tobias Schlegl von "extra 3" wagte sich aus dem Schutz des Studios heraus und führte eine "Delegation aus dem Iran" nach Stuttgart, um Ministerpräsidenten Stefan Mappus den "Goldenen Polizeiknüppel" zu verleihen. Der war darüber allerdings ganz und gar nicht amüsiert, was bei Aktionen dieser Art » keine ungewöhnliche Reaktion ist.



Die Titanic ging wieder mal einen Schritt weiter und zeigte » Schlichter Heiner Geißler mit einer Verletzung, wie sie Demonstranten nach dem Wasserwerfereinsatz im Schlossgarten davongetragen hatten und der Sprechblase: "Herr Mappus hat mich überzeugt. Ich rate von einem Baustopp ab". Dagegen wirken sie satirischen Rausschmeißer von Report Mainz » und Frontal 21 » fast schon brav.

"Satire darf alles", hat Kurt Tucholsky gesagt. Bei Stuttgart 21 macht Satire davon liebend gern Gebrauch. Gäbe es den Zank um das Projekt nicht, Satiriker müssten ihn geradewegs erfinden. Oder basteln. Zum Beispiel aus Lego ». Aktuell wird in und außerhalb Stuttgarts vor allem ein Eindruck vorherrschen, auf den sich Gegner und Befürworter vermutlich sogar einigen könnten: "Wir können alles. Außer Bahnhof." »

Stuttgart 21 auf dem Stuttgart-Blog brezel.me ».