In Stuttgart-Sillenbuch stehen mehrere Gaststätten leer. Gründe dafür sind Personal- und Nachfolgeprobleme. Aber auch die Standortfrage ist ein Faktor. Liegt ein Restaurant etwas ab vom Schuss, braucht es Alleinstellungsmerkmale.

Sillenbuch - Alles wirkt unberührt. Um den Kachelofen in der Mitte des Raumes stehen die rustikalen Holztische, Krüge und historisches Gerät, Fotografien in Schwarz-Weiß versprühen Wohnzimmer-Atmosphäre, und auf der Theke stehen Flaschen. Fast so, als käme gleich eine große Gesellschaft hinein und in der Alt-Sillenbucher Weinstube zum Schwanen würden wieder die bekannten Gänse aus dem Holzofen serviert. Doch im Fachwerkhaus an der Tuttlinger Straße wurde seit geraumer Zeit nicht mehr gespeist. Seit Anfang 2014, so der Betreiber Andreas Seeger, ist das Restaurant geschlossen. Seither gibt es im historischen Dorfkern keine Gastwirtschaft mehr.

 

Die Weinstube ist nicht das einzige Lokal im Bezirk, in dem die Küche kalt bleibt. Aus unterschiedlichen Gründen. Seit Monaten schon ist das Café am Rosengarten des Seniorenstifts Augustinum geschlossen, dabei hatte das Pächter-Paar die ehemaligen Stiftsstuben erst Mitte 2011 übernommen. Das Restaurant sei erfolgreich gewesen, betont der Augustinum-Dirketor Markus Burgmeier, jedoch hätten die Pächter kein Fachpersonal gefunden, vor allem für die Küche. Nach mehreren Wechseln wird kein Nachfolger mehr gesucht. Die Räumlichkeiten werden der gerontopsychiatrischen Tagesbetreuung zugeführt, so Markus Burgmeier. Aktuell werden in der ehemals öffentlichen Gaststätte Senioren aus dem Augustinum bewirtet.

Nach 50 Jahren Gastronomie aufgehört

Das Rössle in Riedenberg, ein Lokal von 1846, ist ebenfalls zu. Das Inhaber-Ehepaar hat nach 50 Jahren in der Gastronomie vor etwa anderthalb Jahren aus Alters- und Gesundheitsgründen aufgehört, teilt die Tochter auf Anfrage mit. Ein Zettel an der Rössle-Tür weist die Kunden darauf hin, dass „für immer“ geschlossen ist, und die kleine Mangelstube im Erdgeschoss steht ebenfalls leer.

Nachfolger haben sich augenscheinlich nicht gefunden, denn das Haus soll für eine Neubebauung abgerissen werden, bestätigt der Bezirksvorsteher Peter-Alexander Schreck. Und auch die mehr als 100 Jahre alte Rose ist „zurzeit geschlossen“, wie auf der Homepage zu lesen ist.

Personell hat’s offenbar auch bei Ex-Weinstuben-Wirt Andreas Seeger gehapert. Er ist selbstkritisch. Er habe 2010, als er das Geschäft von der Mutter übernommen hatte, personelle Fehlentscheidungen getroffen und sich auf sein Hauptstandbein, den Getränkehandel weiter oben an der Straße, konzentriert, „das war von mir leider falsch gedacht“. Die Kundschaft sei unzufrieden gewesen und weggeblieben. „Irgendwann habe ich die Reißleine ziehen müssen, weil ich finanziell draufgelegt habe“, sagt der 52-Jährige.

Von einem grundsätzlichen Gastro-Problem im Bezirk will Peter-Alexander Schreck nicht sprechen. Klagen, sei es von Bürgern oder Wirten, habe er noch nicht gehört. Auch der Bezirksbeirat habe noch keinen Anlass gesehen, das Thema auf seine Agenda zu setzen. Er bedauere das Aus der Gaststätten zwar, „letztlich ist es aber eine Frage des Bedarfs. Offensichtlich ist das verbliebene Angebot ausreichend“, sagt Schreck. Hinzu komme: Nicht jeder Standort sei ideal und für Laufkundschaft gut erreichbar, auch sei die Ortsverbundenheit nicht in jedem Stadtteil gleich stark ausgeprägt. „Die Linde in Heumaden liegt auch etwas abseits, aber sie ist eine Institution. In der Linde sitzen in der Regel Heumäder“, weiß der Bezirksvorsteher.

Ein Standort ab vom Schuss ist schwierig

Andreas Seeger bestätigt, dass ein Standort etwas ab vom Schuss schwierig ist. Früher sei die Dorfwirtschaft der Dreh- und Angelpunkt des öffentlichen Lebens gewesen, doch diese Zeit sei schon lang vorbei. Bereits Mitte der 80er-Jahre, als die Eltern Wilhelmine und Kurt Seeger den Schwanen übernommen hatten, seien die meisten Gäste aus den umliegenden Ortschaften gekommen und nicht aus Sillenbuch selbst. „Der Prophet im eigenen Land gilt nichts“, sagt Andreas Seeger und klingt bitter.

Dabei geht es der Gastronomie im Land laut Daniel Ohl, Sprecher der Dehoga Baden-Württemberg, dem Verband für Hotellerie und Gastronomie. gut. Die etwa 30 700 landesweit gemeldeten Betriebsstätten profitierten von einer guten Konjunktur. Schwieriger sei es für Wirte, vor allem in kleinen Betrieben, Mitarbeiter zu finden, wenngleich die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in der Branche seit 2010 um rund 26 000 auf 126 000 gestiegen sei. Auch die Nachfolge sei immer häufiger ein Problem. „4000 inhabergeführte Betriebe stehen in den nächsten fünf Jahren vor Übergaben“, erklärt Ohl. Zudem mache die teils „erdrückende Last“ behördlicher Vorgaben kleinen Gastronomiebetrieben zu schaffen.

Nähe zum ÖPNV, Parkplätze und ein Mittagstisch sind wichtig

Auch der Dehoga-Experte betont, wie wichtig der Standort ist. Die Nähe zum ÖPNV, Parkplätze, ein Mittagsangebot, das sich an Mitarbeiter großer Firmen richtet, können ausschlaggebende Punkte sein in einer Branche, in der eine hohe Fluktuation herrscht. Laut Daniel Ohl gibt es in Baden-Württemberg jährlich 7500 Gewerbean- und -abmeldungen. „Im Gastgewerbe ist enorm viel Bewegung. Die Leute können wählen.“ Vor allem Betriebe, die abseits der großen Besucherströme lägen, träfe die Herausforderung, „zum Ziel eigener Güte“ zu werden.

Seit die Weinstube Schwanen geschlossen sei, kommen viele Sillenbucher zu Andreas Seeger und drücken ihr Bedauern aus. „Das ist das Groteske dran.“ Tatsächlich hat der gelernte Kraftfahrzeugschlosser eine Wiedereröffnung des Schwanen noch nicht abgeschrieben. „Wir sind auf der Suche nach einem Pächter oder Personal. Wenn ich wirklich gutes Personal bekomme, würde ich mir überlegen, ob ich nicht weitermache. Vielleicht kommt der richtige Deckel auf diesen Topf.“