Fünf Monate nach dem Polizeieinsatz im September gibt es immer noch keine Stellungnahme der Behörden. Viele Stuttgart21-Gegner waren verletzt worden.

Stuttgart - Zumindest angekündigt worden ist eine "interne vertiefte Nachbereitung" jener Ereignisse im Stuttgarter Schlossgarten, die aus dem 30. September einen "schwarzen Donnerstag" gemacht haben. So jedenfalls steht es im Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses, der vor nunmehr sechs Wochen der Öffentlichkeit vorgelegt wurde.

 

Zugesagt hat diese Untersuchung der Landespolizeipräsident Wolf Hammann, der noch am Vortag des Polizeieinsatzes Bedenken geäußert und für eine Verschiebung plädiert hatte. Von den versprochenen Ergebnissen ist allerdings immer noch nichts zu sehen - mehr als fünf Monate nach dem umstrittenen Polizeieinsatz, bei dem eine Vielzahl von Gegnern des Bahnprojekts Stuttgart 21 und auch Polizisten zum Teil schwer verletzt wurden. Das Innenministerium als oberste Polizeiinstanz und zuständige Aufsichtsbehörde blockt konsequent jegliche Anfragen zu diesem Thema. So wartet etwa auch der Grünen-Landespolitiker Uli Sckerl, der als Obmann im Ausschuss saß und bezüglich der internen Untersuchung nachgehakt hat, bis heute auf eine Antwort aus dem Ministerium. Und auch Landespolizeichef Hammann hat mehrfach Interviews und Stellungnahmen verweigert. Gleiches gilt für den Stuttgarts Polizeipräsidenten Siegfried Stumpf, der den Einsatz am 30. September geleitet hat.

Rettungsleitstelle hätte informiert werden müssen

Dass ein Urteil von offizieller Seite längst überfällig ist, ob etwa handwerkliche Fehler gemacht wurden und wer diese gegebenenfalls zu verantworten hat, sieht das Innenministerium derweil nicht so. "Der Einsatz wird präzise und akribisch aufgearbeitet, das dauert eben", sagt die Sprecherin Alice Loyson-Siemering.

Zu klären wäre etwa die Frage, warum die Rettungsleitstelle nicht wie sonst üblich über den Einsatz informiert worden war, obwohl laut eigener Dienstvorschrift allein schon der Einsatz von Pfefferspray die Anwesenheit von Sanitätern verlangt. Informiert worden ist das Deutsche Rote Kreuz aber stattdessen nicht einmal, als Wasserwerfer eingesetzt und dabei mindestens fünf Menschen schwer an den Augen verletzt wurden. Ein 66-jähriger Ingenieur, der von einem Strahl voll getroffen wurde, ist seither fast vollständig blind: lediglich zehn Prozent Sehkraft sind ihm auf einem Auge geblieben. Eine Frau hat 50Prozent ihres Sehvermögens verloren. 

Eingesetzte Polizisten waren schlecht vorbereitet

Nachbereitungswürdig ist zudem der Einsatz von Polizeieinheiten aus anderen Bundesländern, der von ihren Polizeiführern als schlecht vorbereitet kritisiert wurde. So berichtete einer der Polizeiführer im Ausschuss, dass er mit seiner Einheit zunächst in der Annahme nach Stammheim gefahren sei, dass ihr Einsatz mit dem Prozessauftakt um die frühere RAF-Terroristin Verena Becker zu tun habe. Und auch andere Polizeiführer klagten, dass sie überhaupt nicht vorbereitet worden seien, was sie in Stuttgart erwarte.

Weiter offen bleibt auch die Frage, warum der verantwortliche Einsatzleiter, Polizeipräsident Stumpf, zur entscheidenden Stunde nicht im Schlossgarten war, sondern mit Innenminister Heribert Rech (CDU) auf einer Pressekonferenz im Landtag. Genau in dieser Zeit wurden erstmals Wasserwerfer, Schlagstöcke und Pfefferspray eingesetzt. Seit einiger Zeit hält sich hartnäckig das Gerücht, dass Stumpf sich inzwischen um den vakanten Posten als Chef des Landeskriminalamts (LKA) beworben hat, für den auch Tübingens Polizeichef Dietrich Moser von Filseck gehandelt wird. Auf Anfrage lässt Stumpf ausrichten: "Solche Stellen werden nicht ausgeschrieben." Die Überlegungen des Ministeriums kenne er nicht.

Auch bei anderen Einsätzen zunehmend verbale Angriffe auf Beamte

Klar ist hingegen, was die Stuttgarter Polizei auch weiterhin massiv beschäftigen wird: der Protest gegen Stuttgart 21. Die Behörde klagt dabei nicht nur über die Einsatzbelastung, sondern zunehmend auch über einen Ansehensverlust in der Öffentlichkeit, wie etwa der Personalratsvorsitzende Rainer Hurler jüngst in einem Brief an alle Beamte und Angestellte des Polizeipräsidiums schrieb. Beamte würden auch bei Einsätzen, die nichts mit S21 zu tun hätten, angepöbelt und als Kinderschläger beleidigt, bestätigt auch der Polizeisprecher Stefan Keilbach.

Ein Zusammenhang zwischen beklagtem Respektverlust und der fehlenden Aufarbeitung des "schwarzen Donnerstags", der bisher für die Verantwortlichen keine Konsequenzen nach sich gezogen hat, wird dabei nicht hergestellt. "Das Verhalten der eingesetzten Kräfte", schreibt der Personalratsvorsitzende in seinem Brief über den umstrittenen Einsatz, "nötigt uns Respekt, Anerkennung, Vertrauen und Wertschätzung ab."