Doris Kretzschmar bringt behinderte und nicht behinderte Basketballspieler in der Unified Mannschaft „Treffpunkt 89er“ zusammen. Das Team ist sogar für die Special Olympic World Games nominiert worden.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Thea Bracht (tab)

Stuttgart - Doris Kretzschmars Team schwebt auf Wolke sieben. „L. A. – wir kommen!“, rufen die Spielerinnen und Spieler überglücklich am Ende des Trainings. Denn die Unified Mannschaft „Treffpunkt 89er“ ist für die Special Olympic World Games nominiert worden. Am 21. Juli fliegen die Basketballer nach Los Angeles, um gegen 31 Mannschaften aus Saudi-Arabien, Puerto Rico oder Japan anzutreten, in denen ebenfalls Sportler mit und ohne Handicap zusammen spielen. Bei den nationalen Spielen 2012 in München und 2014 in Düsseldorf haben die Stuttgarter schon Goldmedaillen geholt.

 

„Diese großartige Inklusionsleistung ist nur durch das außerordentliche Engagement von Doris Kretzschmar möglich geworden“, sagt Uwe Bodmer, der seine Nachbarin als Stuttgarterin des Jahres vorgeschlagen hat. Dabei hatte die 52-Jährige gar nicht den sportlichen Erfolg im Blick, als sie vor sechs Jahren das Projekt ins Leben rief: „Wir sind nicht gestartet, um uns für die Weltspiele zu qualifizieren.“ Sie freut sich natürlich darüber, wie sehr die Nominierung die Mannschaft motiviert. Ihr großer Wunsch ist jedoch, dass jeder Mensch mit Handicap Zugang zu Vereinen bekommt. Das Preisgeld in Höhe von 3000 Euro lässt sie ihrem Unified Team zukommen, um die Inklusion in den Vereinen weiter voranzutreiben. Einen Teil des Geldes nimmt sie auch mit auf die Reise, „damit wir nicht jeden Dollar umdrehen müssen“.

Ihre Söhne spielen Basketball beim TV 89 Zuffenhausen

Die Sozialpädagogin hat viel Erfahrung mit dem Thema Inklusion: Seit 25 Jahren arbeitet sie im Treffpunkt der Caritas in Bad Cannstatt, der Menschen mit Handicap mit einem vielfältigen Freizeit- und Bildungsangebot die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen will. Doris Kretzschmar leitet dort den Sportbereich und kann sich keinen besseren Arbeitsplatz vorstellen: „Sport hat für mich seit meiner Kindheit eine große Bedeutung, mein Kanuverein war meine zweite Heimat.“ Weil ihre beiden Söhne Basketball beim TV 89 Zuffenhausen spielen, engagiert sie sich dort im Ausschuss Öffentlichkeitsarbeit und Bewirtung. Als 2009 ein Zivildienstleistender mit Trainerlizenz im Treffpunkt arbeitete, baute Kretzschmar die Brücke zwischen Behinderteneinrichtung und Sportverein, zwischen beruflichem und privatem Engagement. „Der Verein war sofort offen für die Idee“, erzählt sie. Und ihr Arbeitgeber unterstützt sie bei großen Projekten wie L. A., „das geht nicht rein ehrenamtlich“.

Mit dem Trainer und angehenden Waldorflehrer Marlon Pfingst hat Doris Kretzschmar eine ideale Arbeitsteilung gefunden: Er kümmert sich ums Sportlich-Pädagogische, sie ist die Organisatorin und Drahtzieherin. „Den Korbleger beherrsche ich nicht“, sagt sie schmunzelnd.

Das Team trifft sich freitags in der Talwiesenhalle und sei dann „mittendrin“, wie die Stuttgarterin des Jahres stolz erzählt. „Wir haben auch deshalb den Zuschlag für L. A. bekommen, weil wir gut in den Verein integriert sind.“ Viele der anderen 15 Unified Teams in Deutschland seien eher an Behinderteneinrichtungen angegliedert.

Gespielt wird nach ganz normalen Regeln

Vier Frauen und 14 Männer gehören heute zur Kernmannschaft, darunter elf mit Behinderung. Gespielt wird nach ganz normalen Regeln. Auf dem Feld stehen jeweils drei Menschen mit und zwei ohne Handicap. Durch das gemeinsame Hobby sind Barrieren abgebaut worden. Die nichtbehinderten Spieler, Partner genannt, gehen mit den anderen, die im Team Athleten heißen, zum Beispiel Basketballschuhe einkaufen oder in die Kneipe. Auf dem Spielfeld sind die Unterschiede ohnehin gering: „Die anderen stark machen, das ist das Motto“, erklärt Doris Kretzschmar. Es gebe zwei bis drei schwächere Spieler, „aber sie sind die treuesten Trainingsbesucher und für die Chemie im Team wichtig, sie werden deshalb genauso wertgeschätzt“. Die Spieler gingen insgesamt viel respektvoller miteinander um als in regulären Mannschaften. Und die Partner erlebten, wie viel Freude die Athleten ins Spiel einbringen.

Die Athleten wiederum würden heute viel selbstbewusster auf dem Platz stehen als am Anfang. Nachdem ein Spieler seine Stelle auf dem ersten Arbeitsmarkt verloren hatte, habe er zu ihr gesagt: „Ich habe ja Gott sei Dank noch mein Basketball.“

Eine besondere Freundschaft besteht zu den Young Tigers in Tübingen, zweimal im Jahr trainiert das Unified Team mit den Nachwuchs-Bundesligaspielern. Wie hart es bei den Profis zugehen kann, ahnen die Spieler aus Zuffenhausen jetzt. Für L. A. seien zehn Spieler „knallhart“ nominiert worden, erzählt Doris Kretzschmar. Manche Athleten würden auch gerne in der regulären Herrenmannschaft mitspielen und überschätzten sich. Lauter sensible Themen, die die 52-Jährige ohne Scheu anspricht. „Die Auseinandersetzung ist wichtig. Man darf keine falschen Hoffnungen wecken“, sagt sie. So offen geht sie auch nach Los Angeles. Ihr ist bewusst: „Wir sind dort die Inklusionsbotschafter für Deutschland.“