Gökay Sofuoglu ist vor 35 Jahren nach Deutschland gekommen. Heute ist er ein gefragter Gesprächspartner, wenn es um Integrationspolitik geht. Das Ehrenamt ist für den Juror zum „Stuttgarter des Jahres“ in der Bürgergesellschaft unerlässlich.

Stuttgart - Ein Kommentar zu den Parlamentswahlen in der Türkei? Ein Statement zu den Problemen türkischer Jugendlicher mit dem deutschen Bildungssystem? Eine Einschätzung dazu, ob deutsche Pflegeheime auf Migranten vorbereitet sind? Gökay Sofuoglu gibt seit Jahren bereitwillig Auskunft, wenn es um Fragen der Integration oder um das deutsch-türkische Verhältnis geht. Gefragt ist der 53 Jahre alte Deutschtürke in seiner Funktion als Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Baden-Württemberg und seit gut einem Jahr auch als deren Bundesvorsitzender. Das Ehrenamt hat Sofuoglu Auftritte im türkischen genauso wie im deutschen Fernsehen beschert. Und es hat ihm Kontakte nach ganz oben eingebracht. Vor drei Jahren ist der 53-Jährige im Tross von Winfried Kretschmann in die Türkei gereist, in diesen Tagen im Gefolge von Finanzminister Nils Schmid.

 

Kein Zurück für den damals 18-Jährigen

Warum Gökay Sofuoglu ein beliebter Reisebegleiter und Brückenbauer ist, liegt nicht zuletzt an seiner Lebensgeschichte, die zeigt, dass Integration schnell gelingen kann. Am 8. August 1980 stieg er zusammen mit seinem Vater und seinem älteren Bruder am Münchner Hauptbahnhof aus dem Zug. „Nachdem unsere Wohnung in Kayseri von Grauen Wölfen angeschossen worden ist, hat mein Vater entschieden, dass wir Söhne nach Deutschland auswandern sollen.“ Einen Monat später begann der dritte Militärputsch in der Geschichte der Türkei, ein Zurück gab es für den damals 18-Jährigen nicht mehr. Sofuoglu schrieb Texte aus Zeitungen ab, um Deutsch zu lernen, spielte Theater, um zum Sprechen gezwungen zu sein. Drei Jahre später heiratete er seine schwäbische Frau und lernte, wie er sagt, „Deutsch zu denken.“ Ein Projekt der Robert-Bosch-Stiftung, das ausländische Fachkräfte zu ausländischen Kinder bringen sollte, führte ihn ins Fröbelseminar, wo er mit neun anderen Migranten zum Erzieher ausgebildet wurde.

Fünf Jahre arbeitete der Deutschtürke in der Obdachlosensiedlung in Kornwestheim, danach wechselte er ins Haus 49 im Stuttgarter Nordbahnhofviertel, das als internationale Anlaufstelle in dem Stadtteil dient. Bis heute arbeitet Sofuoglu in der Einrichtung der Caritas, zu deren Urgestein er geworden ist. „Wenn heute ein Jugendlicher aus dem Nordbahnhofviertel zu mir kommt, kenne ich meist auch die Väter und Opas, weil ich auch die schon beraten habe.“

Erster Muslim im Vorstand des Stadtjugendrings

Gökay Sofuoglu war der erste muslimische Mitarbeiter im Bereich der Jugend- und Familienhilfe bei der Caritas und er war der erste Muslim im Vorstand des Stadtjugendrings Stuttgart. „Ich weiß schon gar nicht mehr, wo noch überall ich der erste Muslim gewesen bin“, bemerkt der 53-Jährige trocken. Inzwischen finden sich Muslime in allen Bereichen des beruflichen Lebens, dennoch sieht der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde noch immer große Defizite: „Wir haben zu wenige Migranten in Führungspositionen.“ Er sieht vor allem auch den öffentlichen Dienst in der Verantwortung. „Schauen Sie doch mal ins Stuttgarter Rathaus, wie viele Migranten in verantwortlicher Position zu finden sind. Die Verteilung ist ernüchternd und entspricht nicht der gesellschaftlichen Realität.“

Nachholbedarf sieht der in Fellbach lebende Deutschtürke noch in anderen Bereichen. So müsste seiner Ansicht nach das kommunale Wahlrecht, das den EU-Bürgern zusteht, auch auf Drittstaatsangehörige ausgeweitet werden. Nicht nur die Bundespolitik, auch die Migranten selbst sieht er in der Pflicht: „Die Eltern müssen sich sehr viel mehr in den Schulen einbringen.“ Er könnte sich vorstellen, dass Migrantenvereine mit den Ganztagsschulen Kooperationen eingehen und AGs anbieten werden. Den Schulen wiederum rät er, Migrationsbeauftrage zu benennen, deren Aufgabe es ist, die zugewanderten Eltern besser einzubinden. „Einmal im Jahr türkische Tage auszurichten, reicht auf Dauer nicht.“ Seinen türkischen Landsleuten wiederum empfiehlt er mit Blick auf die anstehenden Parlamentswahlen, sich mehr für deutsche Politik zu interessieren und weniger für die Verhältnisse in der Türkei. „Was haben meine in Deutschland geborenen Kinder davon, wenn ich Türkeipolitik mache und die hiesigen Verhältnisse ausblende?“

Seit 2014 für die SPD im Fellbacher Gemeinderat

Sofuoglu selbst sitzt seit 2014 für die SPD im Fellbacher Gemeinderat und erlebt seither, wie nah er auch da an den Menschen dran ist. „Wenn eine Straße gesperrt ist, wirst du gefragt, wann macht ihr die wieder auf.“ Der Deutschtürke ist überzeugt, dass Kommunalpolitik der Bereich ist, in dem man wirklich etwas bewirken kann, „mehr als mit schönen Reden zur Integrationspolitik.“ An seiner Bilderbuch-Integration bedauert Gökay Sofuoglu eigentlich nur eines: „Es ist schade, dass meine beiden erwachsenen Söhne kaum Türkisch sprechen. Da habe ich etwas versäumt.“ Und auf die Frage, was denn nun eigentlich noch Türkisch an ihm sei, antwortet er ironisch: „Im Restaurant lass ich immer noch keine Frau bezahlen.“

Der Stuttgarter des Jahres

Der Preis Die Stuttgarter Zeitung und die Stuttgarter Versicherungsgruppe zeichnen ehrenamtlich engagierte Menschen aus. Dazu stiften sie den Preis Stuttgarter des Jahres, der mit insgesamt 30 000 Euro dotiert ist. Gesucht werden zehn Personen, die sich vorbildlich in der Gesellschaft einbringen, charakterstarke Menschen, deren Engagement eine Motivation und ein Ansporn für Dritte sein soll. Die Projekte sollen sich durch Innovation, Nachhaltigkeit und Zukunftsperspektive auszeichnen. Nominiert werden können Einzelpersonen, Schulklassen, Projektgruppen, Verbände, Vereine, Bürgerforen, freie Zusammenschlüsse, Nachbarschaftshilfen, aber keine Institutionen wie zum Beispiel das Rote Kreuz als Ganzes.

Die Jury Sechs Juroren entscheiden, welche zehn Kandidaten den Preis in Höhe von jeweils 3000 Euro erhalten. Ulrike Groos leitet seit 2010 das Kunstmuseum am Stuttgarter Schloßplatz. Bernhard Schwarz ist seit 2009 der Geschäftsführer von Dinkelacker-Schwabenbräu. Gökay Sofuoglu ist seit Mai 2014 gemeinsam mit Aysun Aydemir Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland und zugleich Landesvorsitzender in Baden-Württemberg. Renate Riek-Bauer ist mit 518 Einsätzen die Volleyball-Rekordnationalspielerin für Deutschland. Außerdem sitzen der Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung, Joachim Dorfs , und Frank Karsten, der Vorstandsvorsitzende der Stuttgarter Versicherungsgruppe, in der Jury.

Die Paten Das Besondere am Stuttgarter des Jahres ist, dass sich die möglichen Kandidaten nicht selbst bewerben können, sondern von einem Paten vorgeschlagen werden müssen. Wenn Sie also jemanden kennen sollten, der für Sie der Stuttgarter oder die Stuttgarterin des Jahres ist, dann melden Sie sich bei uns. Schreiben Sie uns Ihren Vorschlag auf und begründen Sie kurz, warum diese Person für Sie den Preis verdient hätte. Vergessen Sie nicht, uns Ihre vollständigen Kontaktdaten zu hinterlassen.

Kontakt Stuttgarter Zeitung, Ralf Gunkel, Plieninger Straße 150, 70567 Stuttgart, im Internet unter www.stuttgarterdesjahres.de per Mail stuttgarterdesjahres@stz.zgs.de