Ein Flüchtling bekommt einen Brief von Scientology ins Heim in Plieningen geschickt. Wenig später tauchen die Zeugen Jehovas auf dem Gelände auf. Nach Angaben der Caritas sind das keine Einzelfälle in Stuttgart.

Plieningen - Ratlos war der Flüchtling, der den Heimleitern der Asylunterkunft Im Wolfer in Plieningen einen Brief in die Hand drückte. Erstaunt waren diese, als sie das Schreiben lasen, denn der Absender war eine Organisation, die in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet wird: Scientology. Wie genau der Flüchtling in Kontakt mit den Scientologen geriet, weiß die Heimleitung nicht. „Wir haben den Mann über die Sekte aufgeklärt“, sagt Stefan Greuling von der Heimleitung.

 

Einige Wochen ist das her. Doch inzwischen hat auch eine andere Religionsgemeinschaft versucht, mit den Flüchtlingen der Unterkunft in Kontakt zu treten. Mitglieder der Zeugen Jehovas sind auf das Gelände des Heims gekommen, um Asylbewerber anzusprechen. „Wir haben sie gebeten zu gehen und ihnen klargemacht, dass es in unseren Räumen keinen Platz für eine weltanschauliche Beeinflussung gibt“, sagt Greuling. Seitdem sei die Religionsgemeinschaft nicht mehr aufgetaucht.

Die Zeugen Jehovas reagieren empört auf das Vorgehen. „Mit der Glaubensfreiheit der Asylsuchenden korreliert das Recht von Religionsgemeinschaften auf Seelsorge. Dieses Recht umfasst ausdrücklich staatliche Anstalten“, heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme eines Sprechers der Zeugen Jehovas. Er wirft den beiden großen christlichen Kirchen vor, sich eine Monopolstellung im Umgang mit Asylbewerbern zu sichern.

Die Missionierung als Ziel

Der Sprecher sagt offen, dass die Zeugen Jehovas die Flüchtlinge missionieren wollten. Er unterstellt aber den gleichen Vorsatz den beiden großen Kirchen. „Diese benutzen ihren sozialen Einfluss durchaus dazu, um auf Heimleitungen Einfluss zu nehmen, ihnen unliebsame Konkurrenz wie unsere Religionsgemeinschaft vom Hals zu halten“, heißt es in der Stellungnahme. Der offizielle Standpunkt der katholischen Caritas und der Evangelischen Gesellschaft (Eva) ist dagegen, dass eine Missionierung für sie tabu sei und etwa muslimische Flüchtlinge bei ihrer Glaubensausführung in den Flüchtlingsunterkünften unterstützt würden.

Greuling von der Heimleitung in Plieningen will auch von anderen Fällen gehört haben, in denen religiöse Gruppen Flüchtlingsunterkünfte in Stuttgart besucht haben. Die Eva jedoch hat darüber für ihre Heime laut einer Sprecherin keine Erkenntnisse. Anders sieht es bei der Caritas aus. Deren Flüchtlingshilfe hatte jüngst Experten des Verfassungsschutzes zu Gast, die über die Praktiken von Scientology informiert haben. Anlass für den Vortrag seien Versuche der Organisation, mit den Flüchtlingen in Kontakt zu kommen, sagt Doris Trabelsi von der Caritas. Die Caritas-Mitarbeiterin kann sich durchaus einen Reim darauf machen, wie die Scientologen auf den Plieninger Flüchtling aufmerksam geworden sein könnten. „Scientologen sind auf der Königstraße unterwegs. Da sprechen sie die Menschen an“, sagt Trabelsi.

Die Organisation spiegele den Querschnitt der Bevölkerung wider. Auch Menschen mit Migrationshintergrund schlössen sich Scientology an. Sie würden Flüchtlinge mit einer ähnlichen ethnischen Herkunft ansprechen.

Für Freundlichkeit empfänglich

Doch wichtiger sei die Art und Weise, wie Scientologen, aber auch Vertreter anderer religiöser Gruppen auf die Menschen zugehen würden, erklärt Doris Trabelsi. „Sie erwecken den Eindruck, helfen zu wollen. Dafür sind Flüchtlinge besonders empfänglich“, sagt Trabelsi. Sie verweist darauf, dass auch andere Verständigungsschwierigkeiten und das Unwissen von Flüchtlingen zu nutzen versuchen, um ihnen beispielsweise Versicherungen zu verkaufen.

Vielen Angesprochenen sei zudem gar nicht bewusst, dass es sich bei Scientology um eine Sekte handele. Die Organisation erweckt in der Selbstdarstellung den Eindruck, mit allen religiösen Bekenntnissen vereinbar zu sein. „Viele Flüchtlinge haben noch nie von Scientology gehört und kennen die Sektenproblematik so aus ihrer Heimat nicht. Sie können das nicht einschätzen“, sagt Trabelsi.

Hinzu komme die schwierige Lage der Flüchtlinge, die oft Traumatisches erlebt hätten, sagt Trabelsi. Vereinzelt käme es dann zu einer religiösen Neuorientierung. „Ich kenne den Fall einer Muslimin, der es schlecht ging, und die dann Zeugin Jehovas geworden ist“, sagt Trabelsi. Weder Caritas noch Eva wollen den Glaubenswechsel von Flüchtlingen bewerten. Sie betonen aber, dass ihre Heime frei von jeder Missionierung bleiben sollen. „Jeder Erwachsener kann Zeuge Jehovas oder Scientologe werden. Das ist seine Entscheidung“, sagt Doris Trabelsi. Gleichzeitig befürchtet sie, dass gerade Scientology Flüchtlinge nur als Handlanger missbrauchen wolle. „Ich frage mich, warum Scientologen Interesse haben an Menschen, die kaum Geld haben“, sagt sie.

Ausbeutung als billige Arbeitskräfte befürchtet

Der Verfassungsschutz, der die Organisation beobachtet, hat Erklärungen. So stünden die Stuttgarter Scientologen unter einem hohen Druck, gegenüber der Führung der Sekte Erfolge aufzuweisen, sagt ein Sprecher des Verfassungsschutzes. Da sei jeder willkommen, der in der Statistik auftauche, sagt er. Da die Flüchtlinge sich die Kosten für Scientology-Kurse kaum leisten könnten, sei zu erwarten, dass sie als Arbeitskräfte ausgebeutet werden sollen. „Scientology könnte versuchen, unter den Flüchtlingen Mitarbeiter zu werben, die dann wohl für ein geringfügiges Gehalt weit unter dem gesetzlichen Mindestlohn arbeiten würden“, lautet seine Einschätzung.

Der Scientology-Sprecher Hubert Kech findet die Bewertungen des Verfassungsschutzes absurd. Natürlich könne es vorkommen, dass ein Kontakt entstünde zwischen Scientology und einem Flüchtling. Momentan würden aber keine Asylbewerber bei Projekten mitwirken. Kech spricht von einer Verleumdung. „Dass hier der Verfassungsschutz wieder mal versucht, falsche Informationen zu streuen, wundert uns nicht“, teilt er schriftlich mit.