"Hauptsache Arbeit!" heißt Sybille bergs neues Stück, das am Samstag am Staatsschauspiel Stuttgart uraufgeführt wurde.

Kultur: Tim Schleider (schl)
Stuttgart - Hauptsache Gesundheit" versichern wir uns gern in der Silvesternacht, wenn es um die Wünsche und Hoffnungen für das neue Jahr geht. Aber Sibylle Berg sagt, das sei gelogen. "Hauptsache Arbeit!" heißt ihr neues Stück, das am Samstag am Staatsschauspiel Stuttgart uraufgeführt wurde, und ihre Ausgangsthese ist dabei so klar wie die Kloßbrühe mittags in der Betriebskantine: Ohne Arbeit sind wir Würmer. Ohne regelmäßige Aufenthalte in der Firma sind wir unseren Todesängsten nackt und bloß ausgeliefert. Nur der Besuch der Tagesklinik namens Firma gibt unserer Persönlichkeit Halt und Struktur - unabhängig davon, ob wir in der dort von uns erwarteten Beschäftigung einen Sinn sehen oder nicht.

"Manchmal gehe ich vollkommen in dem, was ich tue, auf, wenngleich ich nicht genau weiß, was es ist. Es findet im Computer statt", sagt eine der Angestellten in Bergs Stück. Und sie ist noch eine von der unauffälligeren Sorte. Zu einer lauschigen Bootsfahrt hat "die Firma" für diesen Theaterabend ihre Angestellten eingeladen. Ihr alert-übersäuerter, spätjung-dynamischer Chef führt sich dem Publikum mit den charmanten Worten ein: "Ich habe Probleme, Anzüge zu finden, die mein Genital nicht zu stark betonen." Derweil beziehen seine Untergebenen, die er als waschechtes Alphatier abgrundtief verachtet, ihre für den Betrachter gut einsehbaren Einzelkabinen (Bühne: Stéphane Laimé) und warten auf das versprochene festliche Dinner, bestehend aus "biologischen Tieren" und begleitet von einer Kapelle, "die Ihre Kaugeräusche übertönen wird".

Ach ja, und dann ist hier noch Frank Schäfer mit an Bord, der bekannte Motivationstrainer, dessen Buch "Überleben" bereits fünfzig Millionen Mal verkauft wurde, und der für das spannende Begleitprogramm zuständig ist: Selbsterfahrungs- und Selbstdarstellungsspiele der unterschiedlichsten Art, deren Sieger übrigens als Gewinn den Erhalt ihrer Arbeitsplätze feiern dürfen, während es für die Verlierer zum Abschied heißen wird, "die Möglichkeiten, die neue freie Kapazitäten bieten, mit Freude anzunehmen".

Regisseur gibt dem Stück eine melancholische Note


Ja, die Berg hat es wieder wunderbar getroffen. Unsere Arbeitswelt voller Platituden und Anmaßungen, voller Lügen und Verschwurbelungen, dieser ganz alltägliche Sprachkrieg der Bürohengste und Windows-Stuten, der sich tarnt in den Gewändern der Höflichkeit, der Süffisanz und des Zynismus - sie ist von der Autorin ein weiteres Mal grandios zu einem Stück Kunst verdichtet worden. Man weiß gar nicht, ob man laut lachen oder vor Schreck erstarren soll, wenn die zunehmend aufgekratzten Angestellten ihre "wichtigsten Lebenserfahrungen" schildern ("Was mir meine Firma bedeutet"), wenn sie sich zum Schnellverkehr in eine Minikabine zwängen ("Sex wird von den Angestellten auf solchen Betriebsfeiern erwartet"), oder wenn sie anfangen, sich gegenseitig mit kleinen oder auch größeren Stromstößen für Wahrheit oder Lüge zu bestrafen.

Das alles könnte man nun zweifellos hart, grell und plakativ inszenieren - und würde damit den Erwartungsdruck einer gewissen Sibylle-Berg-Fangemeinde zweifellos erfüllen. Doch der Stuttgarter Regisseur Hasko Weber hat sich für eine andere Möglichkeit entschieden: Er gibt "Hauptsache Arbeit" eine überraschend melancholische Note. Immer wieder unterbricht die Festgesellschaft auf der Bühne ihr furchtbar zwangsläufiges Treiben, um leise verträumt eine Strophe aus "La Paloma" anzustimmen, begleitet vom Alleinunterhalter im Unterdeck an seiner Hammondorgel. Der Effekt, den diese kleine Stimmungsbremse beim Zuschauer auslöst, ist kolossal: Wo man eben noch erschrocken, aber kühl einem Haufen Verrückter beim Untergehen zusah, rücken einem die Figuren plötzlich sehr vertraut auf die Pelle. Und wo man eben nur den Kopf schütteln mochte über so viel Blödheit und Bratzigkeit in der Welt, ist man nun doch einigermaßen erschrocken über all die Verzweiflung und Verletztheit, die nicht nur auf der Bühne, sondern auch in einem selber so schnell brütend schlummern.

Die Akteure erweisen sich als ein homogenes Ensemble


Ja, nach gewissen Anlaufholprigkeiten entwickelt dieser Theaterabend einen starken Sog. Und das ist neben dem Text und der Regie vor allem den Schauspielern zu danken - zehn Akteuren, die sich hier wunderbar homogen als großes Ensemble erweisen. Am leichtesten hat es vielleicht noch Florian von Manteuffel als Chef wie auf Dauerkoks, der immer wieder über die Bühne berserkert, vor den weiblichen Vertretern der Belegschaft sein kleines mobiles Sexzelt aufschlägt und im Übrigen beklagt, den "Gesprächskontakt mit meinem Genital" verloren zu haben.

Wesentlich komplexer im Changieren zwischen Hysterie, Depression und Angriffslust ist dagegen das Spiel der Angestellten. Die drei Kolleginnen Anja Brünglinghaus, Mariette Meguid und Minna Wündrich lassen keine Wünsche offen. Und die männliche Abteilung aus Jonas Fürstenau, Ernst Konarek, Martin Leutgeb und Sebastian Schwab ist sich zwar einerseits ihrer Überlegenheit bewusst, um dann aber doch im Zweifelsfall nur noch tiefer in die testosterondurchtränkte Seele blicken zu lassen.

Murat Parlak und Bijan Zamani als Bordunterhalter komplettieren einen Theaterabend, der sich dicht und souverän mit dem Todesdreieck aus Zwangsarbeit, Zeitgeist und Zoten befasst und zugleich alle Qualitäten eines großen Schauspielertheaters aufweist. Ein weiteres Gesellschaftspanorama der scheuen, schönen, grausam ehrlichen Sibylle Berg, in Stuttgart präsentiert als hochelegante Elegie. Als Zuschauer wünscht man sich zum Schluss: Bitte, bitte, lass mich niemals in einer solchen Firma angestellt sein! Und insgeheim ahnt man schon: So groß wird die Auswahl nicht mehr sein.

Aufführungen am 26. März, 1. und 8. April