Auch bei ihren Auftritten in Stuttgart. Hans-Dieter Reichert nimmt ein Buch mit grauem Umschlag aus dem Regal. In diesem Band hat die Autorin Hedwig Lohß ihre Jugenderinnerungen aus dem alten Stuttgart unter dem Titel „Durchs Guckfenster“ versammelt. Lohß schildert darin, wie sie als Mädchen auf den damals in Mode gekommenen Litfaßsäulen erstmals einen Auftritt von Claire Heliot angekündigt sah: „Sie zeigten eine junge blonde Frau, die den Besucher freundlich anlachte, inmitten von riesigen mähnenumwallten Löwen.“ Wenig später sprach die ganze Stadt über die Nummer, die in Nills Tiergarten am Herdweg stattfand, einem Vorgänger der Wilhelma.

 

Steiff-Löwe auf dem Nachttisch

Hedwig Lohß beschreibt, wie das Publikum „völlig im Bann dieser außergewöhnlichen Frau stand“, die in ihrem Showprogramm auch ein Löwendinner zeigte. Sie saß mit den Tieren zu Tisch, um eine lange Tafel herum. Die Löwen hockten auf derben Holzstühlen, während Claire Heliot einem Tier nach dem anderen Fleischbrocken reichte, die sie auf einer eisernen Gabel aufgespießt hatte. Hans-Dieter Reichert klappt das Buch zu. Es ist an der Zeit, dass er von den weniger glamourösen Kapiteln im Leben der Löwendompteurin spricht. Davon, wie sie bei einem Auftritt in Kopenhagen von einem der Tiere so schwer verletzt wurde, dass sie nicht mehr weiterarbeiten konnte. Davon, wie sie im Glemseck einen Rappenhof betrieb, der der Inflation zum Opfer fiel und wie sie im Zweiten Weltkrieg bei einem Luftangriff viel von ihrem Hab und Gut verlor.

Manche Geschichten kennt Hans-Dieter Reichert, der als Moderator der „Abendschau“ lange Jahre das Gesicht des Süddeutschen Rundfunks (SDR) prägte, von einem Kollegen, der Claire Heliot noch persönlich interviewt hatte. Von ihm hatte er auch die alten Karten und Notizen der Dompteurin bekommen. Claire Heliot starb 1953 in einem Altersheim im Remstal. Die Erinnerung an ihre Karriere hatte sie dabei bis zuletzt vor Augen: Auf ihrem Nachttisch saß ein kleiner Steiff-Löwe.