Wohne lieber ungewöhnlich: Christoph Ganter wohnt im 15./16. Stockwerk des Hochhauses „Salute“ im Fasanenhof. Mit einem klassischen Plattenbau hat das Gebäude aus den 1960er Jahren wenig zu tun.

Stuttgart - Etwa 43 Sekunden lang fährt der Aufzug vom Erdgeschoss bis zur Station 15./16. Vorausgesetzt, keiner hält ihn auf dem Weg nach oben auf. Was bei 139 Wohnungen auf 20 Stockwerken nicht garantiert ist. Es gibt nur zwei kleine Personenaufzüge im Haus, der größere Lastenaufzug ist für die Personenbeförderung nicht freigegeben. Da kann es schon mal eng werden. Im Hochhaus will ständig einer von oben nach unten und umgekehrt. Hier wohnt eine Studenten-WG, dort eine indische Familie, da das schwäbische Ehepaar, das schon seit 50 Jahren im Haus lebt. Und in einer anderen Wohnung die kleine Frau mit den beiden großen Hunden. Eine Nachbarin sagte neulich zu Christoph Ganter – im Aufzug oder auf dem Weg dorthin –, es sei wie in einem Dorf. Nur eben in der Vertikalen.

 

Christoph Ganter wohnt im 15./16. Stock. Er ist relativ neu im Dorf, ein Zugezogener. Im September 2011 hat der heute 31-jährige Gymnasiallehrer seine zweigeschossige Eigentumswohnung im Hochhaus „Salute“ im Fasanenhof bezogen. „Ich hatte nicht geplant, hierher zu ziehen, wollte aber gerne eine Wohnung kaufen“, sagt er, während er in seinem Wohnzimmer am Glastisch sitzt. Und hier, am Stadtrand, seien die Preise eben noch bezahlbar. Dass um ihn herum nicht gerade das pralle Leben tobt, dass es kaum Restaurants und wenig Einkaufsmöglichkeiten in seiner direkten Umgebung gibt, stört Christoph Ganter nicht. Neben seinem Hauptberuf als Sport- und Englischlehrer ist er Künstler. Ihm ist das eigene Atelier in der Wohnung wichtiger als die Kneipe vor der Haustüre. Er sagt: „Für einen Klotz ist unser Haus ja ganz schön.“

Was den Wohnungen von außen an Individualität fehle, machten die Bewohner innen wett, sagt Ganter. Und im Vergleich zu den umliegenden Hochhäusern kommt das „Salute“ dann doch recht individuell daher mit seinen abgeschrägten Balkonen, dem mehrflügligen Grundriss, den verschachtelten Dachterrassen. Seit 1996 steht das von 1961 bis 1963 erbaute Haus unter Denkmalschutz, wegen der eigenwilligen Architektur seines Erbauers Hans Scharoun – dessen Name seit dem Bau der Berliner Philharmonie weltberühmt ist.

Keine rechten Winkel an den Wänden

Dass sein Hochhaus nicht nach klassischer Plattenbaumanier erbaut wurde, merkt Christoph Ganter jeden Tag: „Bei der Anordnung der Möbel zum Beispiel. Es gibt keinen rechten Winkel an meinen Wänden. Auch wenn es so aussieht, ein paar Grad liegt die Ecke immer daneben.“ Das macht es zwar schwieriger, den Schrank in die Ecke zu stellen, lässt das „Salute“ aber lebendiger wirken. Namensgeberin soll übrigens Scharouns Gattin gewesen sein, die, als sie mit ihrem Mann auf dem Echterdinger Flughafen landete, auf die Idee gekommen ist. „Um jedem, der aus der Luft die Landeshauptstadt Stuttgart erreicht, deren Gruß zu entbieten“, wie Willi Oppenländers Buch „Bauen für die Zukunft“ (1962) auf einer Schautafel im Eingangsbereich des „Salute“ zitiert wird.

Doch was in den 1960er Jahren modern war, hatte bereits Ende der 1970er an Reiz verloren. Das Interesse am Wohnturm sank. Der städtische Kindergarten im Erdgeschoss des Hochhauses machte zu. Die eigene Müllverbrennungsanlage im Keller des Hauses wurde abgeschaltet. Die Müllschächte, die den Bewohnern früher zur Verfügung standen, sind zugeschraubt, die kleinen Balkone, über die man sie erreichen konnte: funktionslos. Man spürt, dass das Haus andere Zeiten erlebt hat. Im Dorf ist es ruhiger geworden.

Blick vom Balkon auf Messe und Autobahn

Christoph Ganter fühlt sich trotzdem wohl. Nach und nach richtet er sich seine Wohnung her: Die alten Tapeten vom Vorbesitzer mussten dringend runter, das Bad hat er renoviert und auch der Teppich auf der schmalen Wendeltreppe, die ins untere Geschoss führt, ist nicht mehr der jüngste. Aber meistens nutzt Ganter die Zeit lieber zum Malen. Graffiti mit Jugendstileinflüssen nennt er seine Kunstrichtung, als „Jeroo“ ist er in der Szene bekannt und stellt mittlerweile auf großen Streetart-Messen aus. Christoph Ganter hat auch ein Buch geschrieben, eine Graffitischule für Anfänger. Im Herbst auf der Frankfurter Buchmesse wird er das Werk vorstellen.

Der Blick in die Ferne wirkt offenbar inspirierend. Steht Ganter auf einem seiner zwei Balkone, schweift der Blick über Messe und Autobahn. Und wenn ihm seine 16. Etage nicht reicht, geht er auf die Dachterrasse im 21. Stockwerk. Mit 62 Metern Höhe ist sie der höchste begehbare Ort im Fasanenhof. Wer kann das schon von seiner privaten Silvesterterrasse behaupten?

In unserer Serie „Stuttgarter Wohnzimmer“ stellen wir ungewöhnliche Wohnverhältnisse vor – von der Garage bis zum Apartment mit Blick aufs Schloss. Alle Serienteile im Internet unter http://stzlinx.de/wohnzimmer