Beim StZ-Kongress „Stadt der Zukunft“ sehen die Mobilitätsexperten den digital gesteuerten Verkehr als große Chance – und sprechen schon von Straßenrückbau. Der Stuttgarter Autobauer Daimler sieht sich in der Verantwortung, am urbanen Verkehr der Zukunft mitzuwirken.

Stuttgart - Es hat sie der Glaube an die Technik geeint und die Ansicht, dass die verkehrsgeplagten Metropolen von Staus, Emissionen und Lärm entlastet werden können. Der StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs sprach nach den Reden von Wilhelm Bauer, Leiter der Stuttgarter Fraunhoferinstitute für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) und für Arbeitswissenschaft und Technologiemanagement (IAT), von dem Daimler-Forschungsleiter Herbert Kohler sowie dem Hamburger Stadtplaner Konrad Rothfuchs von „bestechenden Visionen“. Im Jahre 2020 werden 70 Prozent der Weltbevölkerung in Mega-Städten leben und die Mobilität wird das zentrale Thema bleiben.

 

Zunächst stellte Bauer die Wünsche der Menschen vor: Ihr erster Anspruch an Verkehrsmittel sei die Zuverlässigkeit, gefolgt von Flexibilität und kurzer Wegezeit. Aber zunehmend werde ein Fahrzeug auch als „Erlebnisraum“ betrachtet, was Kohler später ergänzte mit dem Hinweis, dass amerikanische Auto-Käufer in ihrem Fahrzeug „nicht abgeschnitten vom Leben sein wollten“ und die Autohersteller dies in ihren Interior-Konzepten berücksichtigten. Der Zuschnitt auf individuelle Bedürfnisse trifft sogar den ÖPNV – so gibt es in japanischen U-Bahnen Frauen- und Kinderabteile mit hohem Wohlfühlfaktor.

In Mailand werden Zebrastreifen auf die Straße projiziert

Aber zurück zur Mobilität in der Stadt, die durch die digitale Revolution verbessert werden kann. „Menschen werden ihr Leben smarter gestalten. Sie werden mit digitalen Assistenten ihre Mobilitätsbedürfnisse befriedigen“, glaubt Bauer. Spätestens in 20 Jahren werde das emissionsfreie Elektroauto die Städte erobert haben und in 30 Jahren rollten voll automatisierte Fahrzeuge auf den Straßen. Das sich selbst steuernde Auto fährt in dichteren Abständen, man wird es zunächst über Land, später in den Städten erleben. Vollautomatisierte Parkhäuser und ein Parkraumsuchmanagement werden zur Entlastung beitragen, denn bisher entfallen ein Viertel des innerstädtischen Verkehrs auf den lästigen Suchverkehr.

Den größten Sprung aber wird die Vernetzung von individuellem und öffentlichem Personennahverkehr bringen. Bei jungen Leuten boomt das Car-Sharing sowie Car-to-Go. Mit kleinen, kompakten Autos werde man in die Stadt fahren, so dass sich mitunter sogar drei Fahrzeuge zwei Spuren teilen könnten. Bauer zeigte sich euphorisch: „Man wird Straßen zurückbauen, Platz für Radwege und Grünzonen schaffen können.“

Der Daimler-Mann Kohler widersprach dem Optimismus nicht, er warf einen Blick in die Welt, denn jede Metropole muss ihr eigenes Mobilitätskonzept suchen – und der Autokonzern sieht sich in der Verantwortung, daran mitzuwirken. In einem Konzept für Mailand werden bei Bedarf Zebrastreifen auf die Straße projiziert, in südamerikanischen Städten macht man gute Erfahrungen mit Extra-Spuren für Busse.

Der Stadtplaner Rothfuchs ergänzte die Visionen mit der Vorstellung sogenannter Mobility-Hubs in Stadtteilen, wie sie in Bremen bereits verwirklicht werden: P-R-Plätze, Radstellplätze, Servicepoints, Car-to-Go und Ladestationen für E-Autos sind hier an einem Ort. Für den Betrieb werden „Vernetzer“ gesucht, im Falle Bremens ein Parkhausbetreiber, der von den Anwohnern eine Gebühr verlangt. Dies könne auch in Mietverträgen festgeschrieben werden. In den Städten, so Rothfuchs, gehe der Trend auf jeden Fall „weg vom Auto“ – und 80 Prozent der Fahrten fänden „mit dem falschen Auto“ (mit dem SUV zur Kita) statt. In der Aussprache plädierte Alexander Rieck (Fraunhofer IAO Stuttgart) dafür, dass die Städte in Zukunft für die Infrastruktur einer modernen Mobilität „mehr Freiräume“ lassen – etwa an S-Bahn-Stationen.