Mehr als fünf Millionen Deutsche haben sich für einen Ökostromtarif entschieden. Doch welches ist der richtige Tarif und was bringt Ökostrom für die Umwelt? Der Ökostromvergleich der Stuttgarter Zeitung gibt Antworten.

Wissen/Gesundheit: Werner Ludwig (lud)

Stuttgart - Strom ist ein besonderer Saft. Ist er erst einmal im Netz, kann man nicht feststellen, ob er aus einem Windpark, einem Atommeiler oder Kohlekraftwerk stammt. Trotzdem bieten Scherzbolde im Internet einen sogenannten Atomstromfilter an – ein Gerät, das nicht nur erkennen soll, wenn Elektrizität aus einem Atomkraftwerk aus der Steckdose kommt, sondern diesen angeblich auch wieder an den „Absender“ zurückschickt. Physikalisch ist das natürlich kompletter Unsinn.

 

Saubere wie schmutzige Kraftwerke speisen ihre Elektrizität in denselben großen Stromsee ein, aus dem alle angeschlossenen Verbraucher versorgt werden. Aus der Steckdose kommt deshalb immer ein Strommix aus unterschiedlichen Quellen. Im bundesdeutschen Durchschnitt deckten erneuerbare Energien knapp ein Viertel des deutschen Stromverbrauchs. Dahinter rangieren Braunkohle (25,8 Prozent), Steinkohle (19,7 Prozent), Atomkraft (15,4 Prozent) und Erdgas (10,5 Prozent).

Wer einen Ökostromtarif bucht, erhält nicht 100 Prozent Ökostrom, sondern denselben Strommix wie der Nachbar, der sich für einen Tarif ohne die Vorsilbe Öko entscheidet. Trotzdem sind Ökostromangebote beliebt. Das Vergleichsportal Verivox listet für Stuttgart knapp 90 derartige Tarife auf, wenn man nur Angebote mit den einschlägigen Gütesiegeln berücksichtigt. Das Fachblatt „Energie & Management“ (E&M) zählte bei seiner Ökostromumfrage vergangenes Jahr gut fünf Millionen Kunden. Damit hat sich etwa jeder achte Haushalt für einen Ökotarif entschieden. Allerdings habe die Dynamik zuletzt stark nachgelassen, schreibt E&M-Redakteur Ralf Köpke in einem Kommentar: „So gewaltige Zuwächse wie in den Wochen nach dem Fukushima-GAU wird es so schnell nicht mehr geben.“ Ein Teil des Zuwachses in der jüngeren Zeit ist auch darauf zurückzuführen, dass viele Versorger komplett auf Ökotarife umgestellt haben – und ihre Kunden so ohne eigenes Zutun in dieses Marktsegment gekommen sind.

Die günstigsten Ökostromtarife für Stuttgart zeigen wir in der Grafik - zum Vergrößern auf die Tabelle klicken

Gutes Gefühl mit überschaubarem Aufwand

Die Popularität der Ökotarife hängt wohl auch damit zusammen, dass der grüne Strom meist nicht teurer, sondern oft sogar billiger ist als der Normaltarif des örtlichen Versorgers. Als Ökostromkunde erhält man also ohne oder mit sehr überschaubarem Aufwand das gute Gefühl, etwas für die Umwelt zu tun. Allerdings ist der Nutzen des sogenannten freiwilligen Ökostrommarktes umstritten – sogar innerhalb der Branche. „Die ökologische Wirkung des bisherigen Angebotes ist mäßig“, heißt es in einer Studie der Beratungsfirma Hamburg Institut für den Verein Energievision. Dieser Verein zertifiziert Stromtarife, die bestimmte Standards erfüllen, mit dem Gütesiegel Ok-Power.

Auch wenn aus der Dose letztlich das Gleiche kommt, trügen die Ökotarife langfristig dazu bei, dass zusätzlicher grüner Strom in den Stromsee eingespeist werde, argumentieren die Anbieter. Dadurch soll mit der Zeit der Strommix für alle Abnehmer sauberer werden.

Zumindest bei den mit Ok-Power und anderen Qualitätssiegeln zertifizierten Ökotarifen wird in der Regel verlangt, dass ein Teil der Einnahmen aus dem Stromverkauf in den Bau neuer Wasserkraftwerke, Windparks, Solaranlagen oder hocheffizienter Blockheizkraftwerke mit Kraft-Wärme-Koppelung fließt.

Das gleiche Ziel verfolgt indes das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) – und zwar mit großem Erfolg, wie der rasant gewachsene Anteil des Ökostroms im deutschen Strommix belegt. Manchen geht das Wachstum der sauberen, aber stark schwankenden Stromproduktion aus erneuerbaren Energien sogar zu schnell. Tatsächlich kann der Netzausbau stellenweise kaum noch Schritt halten mit dem Wachstum der Erzeugungskapazitäten. Auch die Schaffung zusätzlicher Stromspeicher geht nur langsam voran. Hinzu kommen die steigenden Kosten der Förderung über die EEG-Umlage, die fast alle Kunden tragen. Die „Mehrzahlungsbereitschaft“ vieler Verbraucher sei daher gesunken, schreiben die Berater des Hamburg Instituts.

Diskussion über neue Kriterien für Ökostrom-Siegel

Angesichts dieser Veränderungen diskutieren die Protagonisten des freiwilligen Ökostrommarktes über eine Reform der Kriterien für die Vergabe von Qualitätssiegeln. Die Schaffung zusätzlicher Erzeugungskapazitäten solle künftig nicht mehr die dominierende Rolle spielen, sagt Dominik Seebach vom Öko-Institut, das mit der Verbraucherzentrale NRW als Träger des Vereins Energievision fungiert. In Zukunft müsse der Schwerpunkt auf einer besseren Integration der Erneuerbaren in die Netze liegen. „Das könnte zum Beispiel so aussehen, dass ein Windparkbetreiber selbst in Stromspeicher investiert, um die schwankende Windstromerzeugung auszugleichen“, meint E&M-Experte Ralf Köpke. Denkbar sei auch die Kombination einer Solar- oder Windanlage mit einem Biogas-Kraftwerk, das Flauten ausgleichen könnte.

Die Diskussion über die Weiterentwicklung der Ökostrom-Qualitätskriterien ist in vollem Gang. So herrscht auch nicht überall Einigkeit darüber, ob künftig nur komplette Anbieter oder wie bisher einzelne Tarife zertifiziert werden sollen. Im Abschlussbericht der Hamburger Studie ist zumindest eine Tendenz zur Anbieterzertifizierung erkennbar. In diesem Fall hätten Konzerne, die neben Wind- und Solaranlagen auch Atom- und Kohlekraftwerke haben, schlechte Karten bei der Vergabe von Qualitätssiegeln. Ein einheitliches Ökostrom-Qualitätssiegel, das den Kunden eine einfachere Orientierung ermöglichen würde, ist bislang ebenfalls nicht in Sicht. Das mag auch daran liegen, dass dann einige Institutionen überflüssig würden, die ihr Geld mit der Vergabe von Gütesiegeln verdienen.

Durchblick im Wirrwarr der Qualitätssiegel

Produkt:
Da in Deutschland fast ein Viertel des Stroms aus erneuerbaren Quellen stammt, beziehen alle Verbraucher etwa 25 Prozent Ökostrom. Die Anbieter von Ökotarifen versprechen, ihren Kunden zu 100 Prozent Ökostrom zu liefern – und zwar über die Einspeisung der entsprechenden Ökostrommengen ins Netz.

Glaubwürdigkeit:
Der Begriff Ökostrom ist nicht geschützt. Jeder Anbieter kann ihn verwenden, ohne besondere Kriterien zu erfüllen. Eine höhere Glaubwürdigkeit genießen Tarife mit Gütesiegel. Sie zielen bislang darauf ab, dass mehr neue Ökokraftwerke ans Netz gehen, als aufgrund des Erneuerbare-Energien-Gesetzes ohnehin gebaut werden.

Gütesiegel:
Am bekanntesten sind das Ok-Power-Siegel, die von den Tüv-Organisationen ausgegebenen Zertifikate sowie das Grüner-Strom-Label (GSL) in Gold. Bei Ok-Power müssen Anbieter nachweisen, dass ein Drittel des Stroms aus Anlagen stammt, die jünger als sechs Jahre sind, ein weiteres Drittel darf maximal zwölf Jahre alt sein. Meist verweisen die Nutzer des Ok-Power-Siegels auf norwegische Wasserkraftwerke als Stromquelle, wobei auch sogenannte RECS- oder EECS-Zertifikate akzeptiert werden, welche die Produktion einer bestimmten Ökostrommenge bescheinigen. Die Zertifikate sind umstritten, weil sie dazu eingesetzt werden können, konventionellen Strom „grün zu waschen“. Ok-Power will dem mit zusätzlichen Ökokriterien begegnen. Auch für die Tüv-Siegel müssen bestimmte Zubaukriterien eingehalten werden. Zertifikate werden ebenfalls akzeptiert. Die GSL-Träger lehnen Zertifikate dagegen ab und verlangen, dass ein Teil der Stromerlöse in den Bau neuer Ökokraftwerke in Deutschland fließt.

Der StZ-Ökostrom-Tarifvergleich

Auswahl:
Die StZ-Tabelle beruht weitgehend auf Angaben des Vergleichsportals Verivox, das von der Stiftung Warentest am besten bewertet wurde. Zugrunde gelegt wurde der Jahresverbrauch eines Durchschnittshaushalts (3400 kWh). Verglichen wurden nur Tarife, die mindestens eines der Gütesiegel von Tüv, Ok-Power oder Grüner-Strom-Label (GSL) tragen. Allerdings schaffte es kein GSL- oder Ok-Power-Tarif unter die günstigsten zehn, da die entsprechenden Angebote in der Regel etwas teurer sind. Einmalige Boni wurden nicht berücksichtigt.

Kritik:
In der Ökostrombranche werden Internet-Preisvergleiche teilweise kritisch gesehen. So moniert Georg Soukopp, Vertriebsleiter Geschäftskunden der Stadtwerke Stuttgart, dass etwa Verivox Vermittlungsprovisionen von den Anbietern erhält. Zudem lieferten die Portale immer nur Momentaufnahmen. Im Zweifel sollte man direkt beim Anbieter nachfragen. Wichtig sind auch kurze Laufzeiten, kundenfreundliche Kündigungsfristen und Preisgarantien – auch wenn diese meist begrenzt sind.

Kriterien:
Soukopp wehrt sich gegen eine nur am Preis orientierte Auswahl. Hier haben weder die Stadtwerke Stuttgart noch ihr Lieferant, die EWS Schönau, eine Chance, ganz nach vorne zu kommen. Auch Greenpeace Energy oder Naturstrom schneiden nicht so gut ab. „Es kommt nicht nur auf den Preis, sondern auch auf die Qualität an“, sagt Soukopp. So komme der Strom der Stadtwerke Stuttgart zu 90 Prozent aus Anlagen, die höchstens sechs Jahre alt sind. Zertifikate seien ausgeschlossen. In Kürze darf das Unternehmen mit aktuell rund 6000 Kunden auch mit dem Tüv-Ökostromsiegel werben, das der Partner EWS bereits hat.