Viele Rentner kommen kaum über die Runden. Dennoch scheuen sie den Gang zum Amt, um Wohngeld oder eine Bonuscard zu beantragen, denn sie schämen sich ihrer Armut. Für Menschen wie sie sammelt der Verein „Hilfe für den Nachbarn“ ab sofort Spenden.

Lokales: Sybille Neth (sne)

Stuttgart - Gegen Ende des Monats die 75-jährige Dame meistens nur noch ein paar Cent im Geldbeutel. Doch Almosen lehnt sie strikt ab. Dazu zählt für sie auch das Angebot des Tafelladens. Diese Beobachtung von Klaus-Ulrich Kapfer von der Fachdienststelle ambulante Dienste und Hilfen der Caritas ist charakteristisch. Viele Senioren, die mit ihrer geringen Rente kaum zurande kommen, wollen nicht zur Gruppe der Bedürftigen gehören. „Das empfinden sie wie eine Ausgrenzung“, erklärt Renate Krausnick-Horst, die Vorsitzende des Stadtseniorenrates. Der Gang „zum Amt“, zum Beispiel wegen Wohngeld, ist für sie eine unüberwindbare Hürde. „Die meisten unserer Besucher haben keine Bonuscard beantragt“, berichtet Simone Klement von der Evangelischen Gesellschaft (Eva). Sie leitet eine Begegnungsstätte für Ältere und weiß, dass es bei vielen finanziell schlecht aussieht. „Museumsbesuche können wir wegen der Eintrittspreise nicht anbieten“, berichtet sie. Dabei wären Bonuscardbesitzer da fein raus. „Die Leute meckern lieber, dass ein Angebot sei zu teuer, als zuzugeben, dass sie es sich nicht leisten können“, sagt sie.

 

Oft ist die Armut verdeckt

Wenn jemand der Stammgäste mitteilt, dass er in den kommenden Wochen nicht am Yogakurs teilnehmen oder nicht im „Cafe Piano“ erscheinen wird, hakt Simone Klement nach - mit Fingerspitzengefühl. „Die Leute sagen nicht von sich aus, dass sie die sehr moderaten Gebühren nicht bezahlen können, sondern sagen ab“, berichtet sie. Bei ihr schütten die Besucher ihr Herz aus und so kommt manchmal die verdeckte Armut zum Vorschein, sodass Unterstützung von Beratungsstellen angeboten werden kann und auch „Hilfe für den Nachbarn“ eine neue Brille oder eine andere notwendige Anschaffung mit einer Spende ermöglichen kann.

„Das Geld ist sehr viel knapper geworden in den letzten fünf Jahren“, weiß Renate Krausnick-Horst. Steigende Mieten und Nebenkosten sowie die Verteuerung des öffentlichen Personennahverkehrs trugen dazu bei. Wie sich die aktuelle Rentenerhöhung auswirkt, bleibt abzuwarten. Frauen sind besonders von der Altersarmut betroffen. Viele der heutigen Rentnerinnen haben zum Familieneinkommen nur „dazuverdient“ oder waren Hausfrau. Stirbt der Ehepartner wird die Witwenrente erheblich schmaler. Dabei bleiben die Lebenhaltunskosten fast gleich, denn die großen Posten wie die Miete bleiben. Renate Krausnick-Horst berichtet auch von der Kluft zwischen jenen, denen es sehr gut geht und jenen, die jetzt arm sind. „Das Mittelfeld fehlt fast“, stellt sie fest.

Mit der Rente beginnt oft der soziale Abstieg

Bürger mit Migrationshintergrund über 65, leben in Baden-Württemberg mit einem doppelt so hohen Armutsrisiko. Dies geht aus dem aktuellen Armuts- und Reichtumsbericht der Landesregierung hervor. Wer in prekären Arbeitsverhältnissen sein Geld verdient hat, bekommt eine geringe Rente und konnte keine private Vorsorge treffen. „Der soziale Abstieg beginnt oft mit der Rente, auch wenn man das ganze Leben durch gearbeitet hat“, weiß Kapfer. Wenn dann noch eine Krankheit hinzukommt, wird es sehr knapp, denn bei vielen Medikamenten und bei Fahrten zum Arzt muss zugezahlt werden. „Je tiefer der materielle Fall ist, desto größer ist die Hemmschwelle, Leistungen in Anspruch zu nehmen“, bemerkt er. Aber nicht zwangsläufig stellt sich jemand besser, der vorgesorgt hat. Da ist beispielsweise die alte Dame mit ihrer Witwenrente, die in der abbezahlten Eigentumswohnung lebt. Sozialleistungen bekäme sie jedoch nur, wenn sie die Wohnung verkaufen und in eine Mietwohnung umziehen würde.

Viele sind beim Eintritt in die Rente verschuldet

2014 bezogen 4,7 Prozent der über 65-jährigen in Stuttgart Grundsicherung oder Sozialhilfe. Das sind 9039 Menschen. In der Region waren es 25 465. Von den 119 Klienten, die die Nachbarschaftshilfe der Caritas in Anspruch nehmen, beziehen 37 Transferleistungen – 60 Prozent von ihnen sind weiblich. Die Spanne derer, die zusätzliche Sozialleistungen beziehen ist nach Stadtbezirken sehr unterschiedlich: Null Prozent sind es am Lederberg, in Schönberg, Sonnenberg oder am Bismarckturm. Der Rekord liegt im Chausseefeld (Plieningen) mit 38,9 Prozent. Am Feuersee sind es 12,1 und am Hallschlag 11,9 Prozent. Das rechnet Gabriele Reichhardt von der städtischen Sozialplanung vor. „Zunehmend mehr Menschen sind beim Eintritt ins Rentenalter zudem überschuldet“, registriert sie anhand der Zahlen bei der Schuldnerberatung.

Spendenaktion „Hilfe für den Nachbarn“ beginnt

Die diesjährige Spendenaktion der Stuttgarter Zeitung „Hilfe für den Nachbarn“ beginnt am Samstag. Der Verein bittet um Unterstützung für Bedürftige in Stuttgart und in der Region – für Menschen, die durch Krankheit, Arbeitslosigkeit oder einen Schicksalsschlag in eine finanzielle Notlage geraten sind und denen es am Nötigsten fehlt.

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Hilfe für den Nachbarn

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