Dem Suhrkamp Verlag droht schon Mitte Februar die Auflösung. In der verfahrenen Situation könnte nur noch ein Vermittler helfen, der von beiden Seiten akzeptiert wird.

Stuttgart - Einem ruhigen Weihnachtsfest kann man im Suhrkamp Verlag nicht entgegensehen: Dem Unternehmen droht schon Mitte Februar die Auflösung. Sie hat der Minderheitsgesellschafter des Verlages Hans Barlach vor einem Frankfurter Gericht beantragt, falls der Richter seinem Wunsch auf den Ausschluss des Mehrheitsgesellschafters, der Unseld-Familienstiftung, aus dem Unternehmen nicht folgen sollte. Die Familienstiftung, ebenso wie der Verlag geführt von Ulla Unseld-Berkéwicz, der Witwe des 2002 verstorbenen Suhrkamp-Verlegers Siegfried Unseld, wiederum will ihrerseits vor dem demselben Gericht Barlach los werden. Doch die Verlegerin ist, um es vorsichtig auszudrücken, geschwächt: Am 10. Dezember hat das Landgericht Berlin in einem überraschenden Urteil sie und ihre Vertrauten als Geschäftsführer des Verlages abberufen; sie hätten „gemeinschaftlich“ Gelder für das Privathaus der Verlegerin veruntreut. Die Entscheidung ist vorerst nicht rechtskräftig, weil die Familienstiftung in die Berufung geht. Doch wie handlungsfähig sind drei Geschäftsführer auf Widerruf?

 

Den Ernst der Lage hat Ulla Unseld-Berkéwicz offenbar erkannt, erstmals sucht sie die bisher fast paranoisch gemiedene Öffentlichkeit. Suhrkamp-Autoren wie Hans Magnus Enzensberger, Sibylle Lewitscharoff oder Uwe Tellkamp, erklärten, den Verlag verlassen zu wollen, sollte er von Barlach übernommen werden. Peter Handke nannte den Hamburger Kaufmann und Erben des Bildhauers in einem „Zeit“-Artikel einen „Abgrundbösen“ und „Unhold“.

Hilfreicher schien der Vorschlag der Familienstiftung, Michael Naumann solle im Konflikt vermitteln. Doch der einstige Kulturbeauftragte der Bundesregierung und Rowohlt-Verleger stieß Barlach gleich zweimal vor den Kopf: Nach einem langen Artikel in dem von ihm herausgegebenen Magazin „Cicero“ sagte er dem „Deutschlandradio“, wenn man den Verlag mit einer „Bachschen Fuge“ vergleiche, dann sei der Minderheitsgesellschafter „der Mann mit der Fahrradklingel“. Barlach habe „null verlegerische Erfahrung“ und stamme wohl aus der Region von „merges und acquisition“. Schneller kann man sich nicht um den Vermittlerkopf und -kragen reden. Indigniert verbat sich Barlach die anhaltende Belagerung seines Anrufbeantworters durch Naumann.

Verfahren wie lange nicht mehr

Damit ist die Lage zwischen den Gesellschaftern so verfahren wie seit 2006, als Barlach die Anteile des Schweizers Andreas Reinhart übernahm, dessen Vorfahr 1950 durch Vermittlung von Hermann Hesse Mäzen von Peter Suhrkamp geworden war. Allerdings ist sie ungleich gefährlicher, seit Barlach die Auflösung der Verlags-Kommanditgesellschaft beantragte. So würde der gordische Knoten wohl zerschlagen, wahrscheinlich aber auch das, was er zusammenhält. Barlach glaubt zwar, dass nach einem Ausschluss eines Eigners dessen Kommanditanteile lediglich von anderen Eigentümern erworben werden. Manche Juristen nehmen jedoch an, dass stattdessen der ganze Verlag zum Verkauf stünde, inklusive der Autorenrechte, des Buchlagers und der Schreibtische. Genaues freilich weiß man nicht, der Gesellschaftervertrag ist nicht öffentlich. In jedem Fall aber erhielten die Autoren das Recht, ihre neuen, unter Umständen auch ihre alten Bücher woanders verlegen zu lassen.

Welche Möglichkeiten der Schadensbegrenzung bleiben noch nach sechs Jahren, in denen die Eigner nur einmal zusammenwirkten: als es um dem Umzug des Verlages von Frankfurt nach Berlin 2010 ging? Das Unternehmen einfach aufzuteilen, ist nicht möglich. Den Namen gibt es nur einmal, die Rechte an den Büchern fielen an die Autoren zurück. Auch die naheliegende Variante, dass einer der Gesellschafter den anderen auszahlt, fällt aus. Laut dem Suhrkamp-Rechtsvertreter Peter Raue setzt Hans Barlach den Wert des Verlages mit 75 Millionen Euro an. Als Joachim Unseld 2009 seinen 20-Prozent-Anteil am Unternehmen zu gleichen Teilen an die Familienstiftung und an Barlachs Medienholding AG Winterthur verkaufte, wurde der Verlag mit 18 Millionen Euro bewertet. Zudem sind in den letzten vier Jahren vier Millionen Euro Verlust aufgelaufen.

Selbst wenn sich die Preisvorstellungen annähern würden, weil die Gerichtsentscheidung Mitte Februar über den Ausschluss eines Gesellschafters für den Betreffenden einen Totalverlust bedeutete – woher soll das Geld kommen? Der bisherige Umgang der Gesellschafter miteinander dient jedem potentiellen Investor als Warnung. Wer dennoch bei Suhrkamp einsteigen will, wird sein Geld vertraglich besonders sichern müssen. Solche Verhandlungen sind zeitaufwendig, die Zeit bis Mitte Februar ist dafür zu knapp.

Barlachs Karten sind schlechter

Ausländische Buchverlage dürften schon jetzt einem Verlag, dessen Geschäftsführer möglicherweise abgesetzt sind und der bald aufgelöst werden könnte, zögerlich Lizenzen verkaufen. Die Lage ist prekär und geschäftsschädigend. Es muss ein neuer Vermittler her, den beide Seiten akzeptieren. Für Ulla Unseld-Berkéwicz steht das Lebenswerk ihres Mannes und ihr eigenes auf dem Spiel, für Hans Barlach sein Ruf. Wer immer in Wirklichkeit mehr Verantwortung für das traurige Ende von Suhrkamp zu tragen hätte – Barlachs Karten sind schlechter als die von Unseld-Berkéwicz. Sie ist dynastisch legitimiert, er würde als Fledderer gelten.