Im traditionsreichen Suhrkamp Verlag geht der jahrelange Eigentümer-Streit in die möglicherweise entscheidende Runde. Das Landgericht Frankfurt befindet am Mittwoch über Klagen der Gesellschafter, die sich gegenseitig ausschließen wollen. Es droht das Ende des Verlags.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Das ist natürlich stark: „Hänschen“ soll die noch amtierende Suhrkamp-Geschäftsführerin Ulla Unseld-Berkéwicz ihren Widerpart, den Minderheitsgesellschafter Hans Barlach, despektierlich genannt haben. Und auch wenn der eigentliche Konflikt, der vor dem Frankfurter Landgericht in seine möglicherweise entscheidende Runde geht, längst die Zone persönlicher Animositäten und Nickligkeiten überschritten hat, ist es nicht auszuschließen, dass eine der identitätsstiftenden Institutionen des Landes am Ende im Morast solcher hasserfüllten Diminutive pompös versinkt.

 

Was immer die juristischen Tatsachen über die beiden sich befehdenden Hauptakteure vermögen, sie sind letztlich nur der Hebel eine jahrelange Erb- und Intimfeindschaft zur letzten Konsequenz zu führen: der Vernichtung des Gegners, um jeden Preis – wenn es sein muss auch um den der viel besungenen Suhrkamp-Kultur.

Die Familienstiftung lief gegen den Verkauf Sturm

Doch um dem Aschermittwochs-Showdown dieses phasenweise karnevalistischen Fortsetzungsdramas folgen zu können, empfiehlt sich zunächst einen nüchternen Blick auf das zu werfen, was bisher geschah. Nach dem Tod Siegfried Unselds trat seine Witwe Ulla Unseld-Berkéwicz, bis dahin Vorsitzende der Familienstiftung, die bei Suhrkamp Mehrheitsgesellschafter ist, in das operative Geschäft ein. Dem vorausgegangen waren turbulente Diadochenkämpfe, in deren Gefolge nicht nur die von Unseld vorgesehenen Kronprinzen, sondern auch eine Reihe wichtiger Autoren das Haus verließen, darunter Martin Walser und Daniel Kehlmann.

Zu denen, die sich durch die neue Leitung übergangen fühlten, gehörte auch der Schweizer Unternehmer Andreas Reinhardt, dessen Familie seit 1950, noch vermittelt durch Hermann Hesse, 29 Prozent der Anteile hielt. Diese verkaufte Reinhardt 2006 an Hans Barlach und seinen 2010 verstorbenen Kompagnon, den Investmentbanker Claus Grosser. Die Familienstiftung lief dagegen Sturm, weil der Verkauf gegen ihren Willen erfolgt war. Die neuen Minderheitsgesellschafter wiederum revanchierten sich, indem sie die Absetzung von Ulla Unseld-Berkéwicz als Geschäftsführerin forderten. Der Kampf war eröffnet.

Seitdem sind sich die Akteure in herzlicher Feindschaft zugetan, woran auch der Umstand nichts änderte, dass Barlach 2010 die Geschäftsführerin bei ihrem Vorhaben unterstützte, den Frankfurter Traditionsverlag nach Berlin umzusiedeln – gegen die Stimme von Siegfried Unselds Sohn Joachim, der seine Anteile von zwanzig Prozent daraufhin zu gleichen Teilen an die Familienstiftung und an Barlachs Medienholding verkaufte.

Barlach fühlt sich notorisch übergangen

Prozess folgt auf Prozess: Barlach fühlt sich notorisch übergangen, hinsichtlich seiner betriebswirtschaftlichen Vorstellungen ebenso wie in seinen Renditeerwartungen; Unseld-Berkéwicz gesteht ihm immer nur gerade das Minimum des gesellschaftsrechtlich Unvermeidlichen zu. Häufig nicht einmal das.

Was auch immer man von diesen Umgangsformen halten mag, gut beraten war sie dabei nicht. Sonst hätte es im vergangenen November nicht zu dem sämtliche Feuilletons aufschreckenden Paukenschlag vor dem Berliner Landgericht kommen können, als in einem nicht nur für die Anwälte der Beklagten überraschenden Urteil Ulla Unseld-Berkéwicz als Geschäftsführerin kurzerhand für abgesetzt erklärt wurde. Sie hatte 2010 rechtswidrig für den Verlag 552 Quadratmeter in ihrer eigenen Berliner Villa angemietet und ausgestattet. Barlach hatte von diesem Vorgang erst eineinhalb Jahre später erfahren und daraufhin die Abberufung der Geschäftsführung wegen Veruntreuung beantragt. Gegen das Berliner Urteil legte Unseld-Berkéwicz Berufung ein.

Parallel haben beide Gesellschafter vor dem Frankfurter Landgericht auf wechselseitigen Ausschluss geklagt. Für Mittwoch wird eine Entscheidung erwartet, und für den Fall, dass Barlach den Kürzeren zieht, hat er bereits einen Antrag auf Auflösung der Verlagsgruppe gestellt. Was auf dem Spiel steht, daran hat der zuständige Richter die beiden Streithähne erinnert: „Einer der namhaftesten Teilnehmer am Literaturbetrieb der Nachkriegszeit könnte verschwinden.“

Was will Hans Barlach?

Dass der Name Suhrkamp auch heute noch nach mehr als nur antiquarischen Sonntagsreden klingt, ist zweifellos ein Verdienst der Verlegerin. Mit einer klugen Programmpolitik hat sie das Haus neuen Themen und Autoren geöffnet – drei Suhrkamp-Titel standen auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. Diejenigen, für die ein Verlag mehr als eine Gelddruckmaschine ist, stärken ihr den Rücken, auch wenn die Verlagsgruppe von 2002 bis 2009 einen Umsatzrückgang von 10,9 Prozent zu verkraften hatte. Das ist freilich kein Freibrief für den Verstoß gegen elementare Normen des Gesellschaftsrechts, die Unternehmen vor dem Zugriff gieriger Eigentümer schützen sollen, indem sie die Position einflussarmer Minderheitsgesellschafter stärken.

Nur was will Hans Barlach eigentlich? Was will er mit diesem Verlag, der seit Jahren keine Rendite abwirft und dessen Autoren ihn hassen? Selbst Verleger werden? Das weist er zurück, allenfalls strebe er an, einen neuen Geschäftsführer zu finden. Suhrkamp sanieren? Den Preis für seinen Anteil in die Höhe jagen? Auf 75 Millionen Euro taxiert er den Wert der Verlagsgruppe, allerdings unter der geflissentlichen Umgehung eines unparteiischen Gutachters. Der Wert seines Anteils läge damit bei 30 Millionen Euro, was etwa dem Jahresumsatz entspricht.

Beinahe würde man sich noch diese Form unternehmerischer Rationalität wünschen, auch wenn sie den hehren Suhrkamp-Prinzipien grotesk widerspricht. Aber der überschießende gegenseitige Hass auf beiden Seiten lässt befürchten, dass jegliche Form der Vernunft die Führer dieser Geistes-Arche längst verlassen hat. Und so könnte am Ende tatsächlich etwas stehen, was niemand für möglich hielt: die Liquidation.