Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

In 75 Minuten entwirft Lamby ein intensives, aber auch sprunghaftes Porträt, in dem die Eurokrise eng mit den Lebensstationen Schäubles verflochten werden. Dazu gibt es als Einspieler sehr viele (eher zu viele) Interviewäußerungen – die wohl spannendsten von Gianis Varoufakis, dem früheren Finanzminister in Athen, der sich mit Schäuble von Anfang an geduzt hat. Dass der Grieche aber auch sein geborener Antipode war, wird ebenfalls deutlich: Er selbst, so Schäuble selbstironisch, sei ein alter, etwas müder und manchmal mürrisch aussehender Mensch, der nicht mit einem „Popstar“ konkurrieren könne. Die Bilder unterstreichen den Kontrast eindrucksvoll.

 

Abgehärtet ist Schäuble nicht nur von 43 Jahren als Abgeordneter, von Kränkungen und Niederlagen, sondern auch von 25 Jahren im Rollstuhl. Das Attentat am 12. Oktober 1990 in Oppenau hat alles verändert. „Warum habt ihr mich nicht sterben lassen?“, hat er seine älteste Tochter Christine damals gefragt, als er seine Lähmung zu spüren begann. Sie aber habe ihm „solche blöden Gedanken sehr schnell abgewürgt“. Aus der Behinderung resultierten weitere Notlagen. 2010 musste Schäuble zweimal länger im Krankenhaus behandelt werden. „Da hat er seinem Sohn sein Testament gezeigt“, erinnert sich seine Frau Ingeborg: „Das war kritisch.“ Er äußerte Rücktrittsabsichten. Da habe es ihn, Schäuble, überrascht und „sehr bestärkt“, dass Merkel seine Frau angerufen und sie gebeten hätte, ihm den „Blödsinn“ auszureden.

Schäuble, ein Mann mit schneidendem Scharfsinn, oft gereizt bis autoritär, scheint etwas altersmilde geworden zu sein. Seine Scharfzüngigkeit lässt er vermissen, nur Varoufakis erntet noch milden Spott. Aber amtsmüde? Vielleicht. Wie er seine Zukunft sieht, bleibt offen. Einen tiefen Einblick in seinen Gemütszustand verschafft die Dokumentation genauso wenig wie Eindrücke aus dem Privatleben. Gezeigt wird nur der öffentliche Politiker. Anderes ist von Wolfgang Schäuble, dem Unnahbaren, eigentlich auch nicht zu erwarten gewesen.