In Syrien könnte bald das Finale der Assad-Herrschaft heraufziehen. Das Regime zieht seine Truppen zurück auf syrisches Kerngebiet. Assad kontrolliert dann nur noch 20 Prozent des syrischen Territoriums mit etwa der Hälfte der Bevölkerung.

Damaskus - Noch nie in den letzten vier Jahren war das Assad-Regime so in Bedrängnis wie in den vergangenen Wochen. An allen Fronten sind seine Feinde auf dem Vormarsch. Den Norden kontrolliert die islamistische Jaish al-Fatah, was übersetzt Eroberungsarmee heißt, zu der auch die Al-Nusra-Front von Al-Kaida gehört. Im Süden operieren moderate Rebellen der Freien Syrischen Armee und im Osten der Islamische Staat.

 

Zuletzt eroberten deren Krieger Palmyra, von wo aus sich ihnen jetzt direkte Angriffsrouten auf Homs und Damaskus bieten, denn Baschar al-Assad hat militärisch nichts mehr zuzusetzen. Die Armee ist dezimiert und hat Probleme, die Verluste durch neue Rekruten auszugleichen. Seine Kontrahenten dagegen haben neue Schlagkraft gewonnen, seit die Türkei, Saudi-Arabien und Katar ihr Vorgehen koordinieren.

Und so igelt sich der Diktator nun in der Region Damaskus mit dem Homs-Korridor sowie dem Küstenstreifen von Tartus und Latakia ein, was einer faktischen Teilung Syriens gleichkommt. Damit

kontrolliert er in Zukunft nur noch 20 Prozent des Staatsterritoriums und die Hälfte der Bevölkerung. Doch diese Bastion ist einfacher zu verteidigen, solange seine Verbündeten Russland und Iran weiter Waffen, Munition, Lebensmittel und Treibstoff liefern.

Teheran verlegt Legionäre nach Syrien

Zusätzlich verlegte Teheran mehrere Tausend revolutionäre Garden und schiitische Milizen nach Damaskus und Latakia. Die 8000 Legionäre sind Iraner und Iraker sowie Afghanen, denen im Gegenzug ein festes Aufenthaltsrecht in der Islamischen Republik versprochen wurde. Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah kündigte ebenfalls an, seine Eliteeinheiten zu verstärken, obwohl die Unruhe in den eigenen Reihen über die hohen Verluste wächst. Man werde für Assad „bis zum Ende gehen“, deklamierte der iranische Präsident Hassan Rohani, während sein Kommandeur der Al-Quds-Brigaden, Qassem Soleimani, ankündigte, die Welt werde in den nächsten Tagen „einige Überraschungen“ erleben.

Abgesehen davon ist die Koordination auf dem Schlachtfeld zwischen dem Regime und dem Islamischen Staat trotz der Niederlage in Palmyra unverändert eng, denn Assad hofft, dass sich seine Gegner in den von ihm geräumten Gebieten gegenseitig dezimieren. Nahe Aleppo lässt die syrische Luftwaffe den IS ungestört operieren bei dem Versuch, der „Eroberungsarmee“ ihren wichtigsten Nachschubweg und Grenzübergang Bab al-Salama in die Türkei zu entwinden. Sollte dies gelingen, wäre eine IS-Eroberung von Aleppo nur eine Frage der Zeit.

Die USA ist nicht an einem Kollaps des Regimes interessiert

Assad weiß, dass die islamistische „Eroberungsarmee“ und ihre regionalen Unterstützer Türkei, Saudi-Arabien und Katar voll auf einen militärischen Sieg setzen. Einen Einmarsch der Gotteskrieger in Damaskus sowie einen Genozid an der alawitischen Bevölkerung wollen sie offenbar in Kauf nehmen. Dagegen möchten die langjährigen internationalen Kontrahenten Iran und Russland auf der einen Seite sowie USA und Europa auf der anderen Seite ein solches blutiges Szenario auf jeden Fall verhindern. Beide Lager sind nicht an einem chaotischen Kollaps des Assad-Regimes interessiert.

Und so werden nach einem Jahr politischer Funkstille nun erste vorsichtige Kompromisslinien ausgelotet. Denn vor allem Russland beginnt, zu Damaskus auf Distanz zu gehen. In den letzten Wochen zog Moskau seine Berater aus Latakia ab, während sich offenbar mehrere Angehörige des Assad-Clans im Ausland um Visa bemühen. Die Lieferungen für Syrien lasten immer stärker auf dem russischen Staatsbudget. Kürzlich ließ der Kreml das Assad-Regime wissen, man werde sich nicht an dem auf 350 Milliarden Dollar geschätzten Wiederaufbau beteiligen, denn Moskau geht durch die westlichen Sanktionen im Ukraine-Konflikt und den niedrigen Ölpreis langsam die finanzielle Puste aus.

Und so hofft die Obama-Administration, dass die Chancen für eine diplomatische Lösung steigen. Sollte der Druck auf Assad durch die radikalen Dschihadisten weiter wachsen, so das Kalkül in Washington, könnten Moskau und Teheran vielleicht am Ende doch bereit sein, einer Übergangsführung ohne den Diktator zuzustimmen.