Die Tanne, die dieses Jahr den Stuttgarter Schlossplatz schmückt, hat nicht nur eine weite Anreise hinter sich. Sie hat auch eine bewegte Geschichte.

Volontäre: Luisa Rombach (lur)

Wer mit eigenen Augen sehen möchte, woher der Weihnachtsbaum auf dem Stuttgarter Schlossplatz kommt, muss sich auf eine etwas längere Anreise gefasst machen. Der Weg führt zum nördlichen Rand des Rems-Murr-Kreises, etwa 50 Kilometer von der Stuttgarter Innenstadt entfernt. In Bushof bei Sulzbach an der Murr wohnt Familie Gruber. Das Örtchen besteht aus einigen wenigen Häusern, vielen Kühen und dem Milchbetrieb der Grubers. Busse verirren sich hier nur selten hin, und Stuttgarter noch viel seltener.

 

Ein Baum zur Geburt

Dementsprechend ungewohnt war der Rummel, als kürzlich großes Gefährt anrückte, um eine ganz besondere Tanne zu fällen und in Richtung Landeshauptstadt zu transportieren. Profis von der Baumpflegefirma Holzwarth aus Althütte verbrachten rund fünf Stunden damit, die etwa 24 Meter hohe Tanne auf dem ehemaligen Grundstück der Grubers zu fällen und transportbereit zu machen. Anschließend wurde sie in einer aufwendigen Aktion nachts per Schwertransport nach Stuttgart gebracht.

Für Frank Gruber hat der Baum eine besondere Bedeutung, da sein Vater, ebenfalls Landwirt, ihn zur Geburt des Stammhalters pflanzte. In den 60 Jahren seit diesem Ereignis wurde aus dem zarten Setzling eine stattliche Tanne. Wegen des Standorts in unmittelbarer Nähe zum ehemaligen Wohnhaus der Grubers bereitete der Baum in den vergangenen Jahren jedoch erhebliche Probleme. In den Wänden des Gebäudes sind tiefe Risse zu sehen, da die Wurzeln der Weißtanne sich immer mehr ausbreiteten und langsam unter das Haus gruben. Zudem sorgte die Tanne durch ihre erhebliche Größe und Breite dafür, dass kaum noch Tageslicht in das Haus gelangte.

Die Suche nach der geeigneten Tanne

Deshalb entschied sich die jetzige Hausbesitzerin dazu, die Tanne für den Schlossplatz zu spenden. Aufmerksam auf das Weihnachtsbaumpotenzial des Bushofer Baums wurde Julia Schweikart, eine Mitarbeiterin von Holzwarth. Als ihr Chef sie fragte, ob sie eine Idee hätte, wo sich für den diesjährigen Advent ein Baum finden ließe, dachte sie sofort an das Prachtexemplar in Bushof. Sie wusste von der Weißtanne, da sie ihre Pferde einige Zeit in der Scheune der Grubers untergestellt hatte und sie ihr damals schon aufgefallen war.

Da der Tannenbaum für den Schlossplatz einige Kriterien erfüllen muss, halten die Spezialisten das ganze Jahr über Ausschau nach geeigneten Exemplaren. Das kann sich mitunter recht schwierig gestalten, ein so perfekter Kandidat wie in Bushof ist ein echter Glücksfund. „Die Suche ist schon nicht ganz leicht, weil die Tanne im Idealfall schön gleichmäßig gewachsen sein sollte, aber bisher haben wir noch immer einen passenden Baum gefunden“, erläutert Schweikart.

Ein tolles zweites Leben für die Weißtanne

Außerdem müsse der Baum an einem Ort stehen, der auch erreichbar sei, erklärt Ute Gruber. Jede noch so schöne Tanne nütze nichts, wenn sie auf zu steilem Gebiet stehe. Zum anderen sei aber natürlich auch die Ästhetik wichtig: „Im Wald stellt man die Tannen eigentlich eher näher aneinander, dann sterben die unteren Äste ab und nur die Krone oben ist grün.“ Für Weihnachtsbäume wünsche man sich ja aber, dass die Äste bis nach unten reichten. Durch die isolierte Lage des Bushofer Baumes seien auch die unteren Äste erhalten geblieben, und er erfülle demnach alle ästhetischen Anforderungen.

Der Sulzbacher Baum ziert jetzt den Stuttgarter Schlossplatz Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Frank Gruber ist glücklich mit der Entscheidung, die Tanne den Stuttgartern zu überlassen: „Ich finde es toll, dass der Baum jetzt diesen neuen Platz bekommt, schöner kann es nicht laufen für so einen Baum.“ Früher oder später hätte die Tanne so oder so wegmüssen. Die Wahl des Baumes zur Geburt ihres Mannes kritisiert Ute Gruber humorvoll: „Sein Vater hätte ja auch einen Obstbaum pflanzen können, warum musste das eine Weißtanne sein, also ehrlich!“ Diese seien nun einmal dafür bekannt, sehr groß und schwer zu werden. Probleme seien da auf lange Sicht programmiert.

Die Tanne hätte schon längst gefällt werden müssen, doch die zentrale Platzierung mitten im Ort machte eine sichere Fällung sehr schwierig. Gleich mehrere Wohnhäuser stehen in unmittelbarer Nähe zu dem Ort, an dem jetzt nur noch ein Baumstumpf ist.

Um sicherzustellen, dass die Tanne nicht nur heil auf dem Schlossplatz ankommen, sondern auf dem Weg dorthin keinen Schaden anrichten würde, mussten einige Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden. Die Experten aus Althütte banden den Baum mithilfe einer Hebebühne oben am Kran an und sägten ihn dann unten gerade ab. Ein zweiter, kleinerer Kran wurde am unteren Ende des Baumes befestigt und dieser so in die Waagrechte gezogen. „Völlig unkonventionell,“ so Ute Gruber. „Der Baum durfte beim Transport außerdem nur knapp sechs Meter Breite haben, deshalb wurden die Äste zusammengebunden.“

Mit dem neuen Zuhause der Tanne sind die Grubers zufrieden. „Er passt auf den Schlossplatz, hier hat er eigentlich nicht mehr hingepasst“, sagt Ute Gruber. Gesehen haben sie ihn an seinem neuen Standort aber noch nicht. „Eigentlich habe ich vor, ihn mir anzusehen, mit den ganzen Lichtern“, so der Landwirt über seinen Weihnachtsbaum. Doch dann zögert er und fragt: „Wie lange braucht man denn von hier nach Stuttgart?“