Martin Elbert ist wach - und hat den letzten Teil seiner SEMF-Kolumne geschrieben. Darin geht es um sein Set, um zu sauren Sauren und einen coolen Bayern.

Stuttgart - Meine Hauptaufgabe bestand am Samstag darin: Da zu sein. Feuerwehrmann. Falls in einer der drei Hallen der Ablaufplan (PDF) durcheinander geraten sollte und eine Lücke entsteht, sollte ich als DJ einspringen. War aber fast eh klar, dass das nicht passieren wird. Immerhin will jeder Act die eh schon für Festivals typisch knapp kalkulierte Spielzeit bis zur letzten Minute auskosten. Oder freut sich, wenn er länger ran darf. Wie überraschend der DJ Hell. Dazu später mehr.

 

Also stand ich brav wie vom Veranstalter verlangt kurz vor 18 Uhr der Matte. Da ging es los. Zuvor mehr oder weniger ereignislose S-Bahn-Fahrt Richtung Flughafen. Ein junger Kerl spielt seinen Freunden seine ersten Produktionen vor und erklärt wie er dabei vorgeht, labert etwas von Soundfiles hin und herschieben, das würde der Kalkbrenner auch so machen. Okay, dache ich mir, du hast die richtige Bahn erwischt, das ist die SEMF-Linie – bis die Gruppe in Oberaichen ausgestiegen ist. Vielleicht kommen sie ja später noch.

Der eisige Wind von Echterdingen

In Echterdingen von einem eisigen Windchen und den üblichen Vorglühern vor dem Messeingang empfangen worden, wo ebenfalls schon Mitveranstalter Krize (ohne vorzuglühen freilich) stand und den Securitys letzte Anweisungen gab und mich freundlicherweise reinließ. Tschüss Echterdinger Eiswind, bis morgen Früh! Meine Kinnlade küsst sofort den noch blitzblanken Boden: Mann ist das groß hier! War noch nie in der Neuen Messe. Und das war erst der Eingangsbereich und Floor zwei und drei. Die Mainhall schließlich ist noch größer als Luxemburg. „Alta Schalter“ twittere ich vor lauter Schock. Unglaubliches Set Up aus riesiger Konzertbühne, Videoleinwänden, monströse LED-Wand und der ankündigte Rasen war wirklich echt und wurde prompt von den ersten Gästen angenommen. Die eintröpfelten Leute waren sich einig: Jonger Vadder, gut gemacht, Respekt. Das waren auf jeden Fall ganz neue Dimensionen in der Stuttgarter Techno-Historie – die von dem einen oder anderen Mitveranstalter übrigens mit kleinen Rollern abgefahren wurden (mussten). Sah lustig aus.

Weniger lustig sah Uffie aus. Die Frau schlechthin im Katalog des französischen Labels Ed Banger, musste dann – warum auch immer - verstärkt mit Drummer und DJ schon um 19 Uhr spielen. Da war halt nur noch fast keiner da, logisch. Die Stage-Managerin munterte sie auf, das wäre doch eine große „Challange“ für sie. Dann erbarmte sie sich, legte los und rief nach zwei Lieder die anwesenden Gäste auf die Bühne – macht sie allgemein recht gerne, wie schon einst im Rocker geschehen. Wiederum absoluter Horror für die Securitys, aber hat die Show letztendlich gut aufgepeppt – allerdings ist dafür dreimal der Sound ausgefallen. Aber lieber jetzt als später in der Primetime, dachte ich mir.

Wie ein guter Clubabend

Wie ein guter Clubabend entwickelte sich auch die SEMF: Die Gäste strömten mit Laufe des Abends massenweise in die Hallen und fingen prompt an zu steppen. In dieser Hinsicht ist das Techno-Publikum wirklich das dankbarste auf der Welt, egal ob der Laden noch leer oder schon knacke voll ist. Abklatschen auf der Bühne und gleichzeitig der VIP-Bereich mit bekannten Nightlife-Menschen und zwischendurch temporäre Freundschaften mit Barpersonal und Securitys geschlossen (mach ich gerne). "Gewhatsapped" mit Willy vom Visual-Duo Frischvergiftung, der 100 Meter gegenüber von der Bühne mit seinem Equipment stand und mit Kumpel Max wie immer fantastische Tapeten aufgetragen hat. Wir einigten uns via Handy darauf, dass Felix Kröcher direkt nach Uffie ziemlich gut auflegt. Kröcher kommt ursprünglich aus der Hardtechno-Szene und hat die letzen Jahre sein Set ziemlich runtergedrosselt. Größte positive Überraschung und für mich persönlich neben Miss Kittin der beste Act auf dem Hauptfloor. Natürlich das sieht sicherlich jeder ein wenig anders. Die gute alte Geschmacksache.

Allgemein kann man festhalten, dass das Niveau durchweg hoch war. Aus dem Rahmen flogen da ein wenig Laserkraft, das war eben etwas mehr die „Karnevalnummer“ weg vom kühlen Techno und Techhouse. Die Leute, die sich längst zu Tausenden vor der Bühne tummelten, haben die Bengel mit ihren Riesenbrillen und „Laser-Ouftits“ gut gefeiert, wie auch später den wuchtigen, überfrachteten Sound von Modeselektor, die ebenfalls aus dem starren Viervierteltaktkorsett rausfallen. Das Publikum hat wirklich von harten Electro à la Moonbootica bis flirrenden Detroit-House von Henrik Schwarz am Ende gut mitgemacht, muss man großes Lob aussprechen. Sogar bei mir haben sie ein bisschen getanzt von 23 bis 23:45 Uhr, meine reguläre Einsatzzeit.

DJ Hell ist so cool wie alle sagen

Die irreguläre tat sich um 2 Uhr auf dem zweiten Floor auf. Seth Troxler musste früher los, geplant war bis halb drei. Wusste er aber erst selbst nicht und verwies mich mehrere Male auf seine Spielzeit bis 02:30 Uhr. Ich wiederum versicherte ihm mehrere Male, dass ich ihm garantiert keine raren Minuten Aufmerksamkeit klauen will, sondern dass ich einfach nur die Anweisung hätte dies zu tun. Nö alles gut, er spielt bis halb drei. Du, völlig in Ordnung. Fünf Minuten später meinte der gut bekesselte Act: Ich muss doch um 2 Uhr gehen. Ah, jetzt auf einmal? Also meine Technik vorbereitet und Local-Buddy Marius Lehnert gebeten, seine Tonträger rauszuholen („komm wir machen die halbe Stunde zusammen“), bis dann die Entwarnung kam: Der Hell wäre schon da. Frag ich den Hell: Willste auflegen? Klar, ich kann auflegen, sagt er stoisch, bayrisch und sehr sympathisch. Gott, du bist echt so cool wie alle immer behaupten. Vor dem großen Hell verneigt man sich freilich und überlässt ihm die Show. Puh, jetzt wird es Zeit für die Verpflegung, fast nix gegessen die ganze Nacht. Hab Pizza für Frischvergiftung und mich besorgt, die waren ebenfalls recht ausgehungert.

Übrigens: Die Infrastruktur auf der SEMF war top, so gut wie keine Wartezeiten bei den Toiletten oder an den Bars. Bisschen bruddeln geht trotzdem: Der Saure war echt mies beziehungsweise einfach nur sauer. Den könnte man noch optimieren. Oder gleich besser einen anderen aufsetzen.

Zu saurer Saurer

Trotz des zu sauren Sauren konnte ich dann langsam selbst die Party genießen, rannte zwischen Hauptbühne und Dancefloor hin und her, stand ein zeitlang ehrfürchtig direkt hinter Miss Kittin, die ihr tolles Set mit Gesang untermalte. Wann hat man sonst schon mal die Gelegenheit? Wollte danach kurzzeitig nach einem Autogramm fragen. Nun gut, lassen wir das.

Nach Henrik Schwarz ging das Standlicht an, der große Raum war um 6 Uhr immer noch gut gefüllt. Jetzt sah die üblichen Begleiterscheinungen nach einer langen Nacht, auf der Wiese wurde teilweise schon gepennt, verlorene Seelen mit Sonnenbrillen und Oberkörper irrten durch die Hallen, Zeit für den Abschied, Sammeltaxi oder S-Bahn? Ab in die knackvolle S-Bahn, das war dann wirklich die SEMF-Linie. Musste aufpassen, dass ich nicht einschlafe. So schön ist Backnang dann auch nicht.