Wenn der Therapeut im Urlaub ist, springt zunehmend die kostenlose Telefonseelsorge ein. Jetzt verlangen die kirchlichen Dienste Unterstützung durch den Staat und das Gesundheitswesen.

Stuttgart - Einsame, verängstigte, von Depressionen geplagte Menschen suchen Rat bei der Telefonseelsorge. 406000 Anrufe verzeichneten die 13 Telefonseelsorgestellen in Baden-Württemberg im vergangenen Jahr. Die Nachfrage nach dem anonymen Dienst ist seit Jahren hoch, berichtet Thomas Krieg, der Leiter des katholischen Teils der Telefonseelsorge in Stuttgart. Und die Bedeutung des Angebots im Spektrum des Gesundheitswesens sei gestiegen.

 

Werden Patienten nach einer psychologischen oder psychiatrischen Behandlung aus der Klinik entlassen, dauert es oft Wochen, bis die Therapie beginnen kann, berichtet Krieg. Zunehmend springe die Telefonseelsorge zur Überbrückung ein. Die Mitarbeiter wissen zudem von Psychologen, die ihren Patienten empfehlen, sich notfalls an die Telefonseelsorge zu wenden, während sie selbst im Urlaub seien. Das seien durchaus keine Einzelfälle sagen Wilfried V. und Beate L., die ehrenamtlich bei der Telefonseelsorge arbeiten. Auch die Kirchen bauen Personal ab, darunter leide die Seelsorge. Auch die Kirchengemeinden verweisen zunehmend an die Telefonseelsorge.

Keine Unterstützung aus dem Gesundheitssektor

„Wir halten rund um die Uhr einen Dienst vor, den es sonst so nicht gibt, und wir decken im Gesundheitsbereich Lücken ab“, unterstreicht Krieg die Bedeutung des Angebots. Er geht noch weiter und sagt: „In der Ferienzeit sind wir der Notnagel im psychosozialen System“.

Doch aus dem Gesundheitssektor wird der Dienst nicht unterstützt. „Wir sind auf Spenden angewiesen“, bedauert der Pfarrer. Die Verantwortlichen der Telefonseelsorge wollten „mehr gesehen und berücksichtigt werden“. Krieg bedauert: „Gelder, die für so etwas zur Verfügung stehen, etwa bei Krankenkassen, kommen bei uns nicht an“.

Gespräche mit dem Sozialministerium

Wilfried V. fragt, „wir leisten Arbeit an der Allgemeinheit, weshalb bekommen wir keine Förderung durch den Staat“. Das soll anders werden. Inzwischen führe man Gespräche mit dem Sozialministerium über mögliche Zuschüsse, berichtet Krieg. Der Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) hat bei seiner Sommertour die Telefonseelsorge Oberschwaben besucht und das „beispielhafte bürgerschaftliche Engagement“ gelobt. Zusagen macht das Ministerium aber nicht. Im Haushalt stünden keine Mittel für die Telefonseelsorge, richtet eine Sprecherin Luchas aus. Auch für die Jahre 2018 und 2019 sei derzeit nichts vorgesehen. Die Einsparauflagen, die das Ministerium erfüllen müsse, seien „beachtlich“. Die finanziellen Spielräume „daher leider sehr begrenzt“.

Studenten leiden unter Leistungsdruck

Die Telefonseelsorge wird von den katholischen und evangelischen Landeskirchen getragen. Seit einem Jahr verzeichnet Krieg auch vermehrt Anrufe von türkischen Ratsuchenden. Immer mehr Studenten rufen an, berichtet Beate L., die seit drei Jahren in Stuttgart am Telefon sitzt. Leistungsdruck und Prüfungsängste machen den Studierenden zu schaffen.

Tag und Nacht sind die Telefone besetzt. Die Leitungen stellt die Telekom kostenlos zur Verfügung. 24 hauptamtliche Mitarbeiter, Psychologen, Sozialpädagogen oder Theologen mit Zusatzausbildung, sind in den 13 Telefonseelsorgestellen zwischen Freiburg und Mannheim beschäftigt. 1200 Ehrenamtliche sitzen an den Telefonen. Das ist kein Zuckerschlecken. Man muss lernen, die Probleme der anderen nicht zu seinen eigenen zu machen. „Man darf nicht ins Mitleid reinfallen, sonst kann man nicht mehr helfen“, sagt Beate L. , die systemische Beraterin ist. Sorgen gibt es ohne Zahl. Psychische Erkrankungen stehen mit 23 Prozent ganz oben auf der Themenliste. Einsamkeit, Angst, Beziehungsprobleme rauben den Ratsuchenden die Ruhe und den Schlaf.

Ein Telefonat dauert im Schnitt 17 Minuten

Fünfmal im Jahr Nachtdienst ist das Minimum für ehrenamtliche Mitarbeiter der Telefonseelsorge in Baden-Württemberg. Drei Tagdienste im Monat werden erwartet. Ein Tagdienst dauert viereinhalb Stunden. Gearbeitet wird in drei Schichten. Nachts sitzt man von zehn Uhr abends bis um halb neun morgens am Telefon. Ein Gespräch kann zwischen zehn Minuten und einer Stunde dauern. Doch in der Regel kommen die Anrufer schnell zum Punkt. „17 Minuten ist der Landesdurchschnitt“, weiß Krieg.

Auf der Suche nach Ehrenamtlichen

Es ist nicht leicht, Ehrenamtliche in ausreichender Zahl zu finden. Aber man nimmt für diese sensible Aufgabe nicht jeden. Empathisch, flexibel, authentisch muss der Interessent sein, und natürlich muss er zuhören können. Es geht nicht darum Patentrezepte zu verabreichen. „Wir zeigen, wir nehmen die Ängste der Anrufer ernst“, erklärt Wilfried V. „Wenn es gelingt, dass der Ratsuchende, der in einer Situation feststeckt, einen Schritt nach außen gehen kann, dann hilft das schon“.

In jüngerer Zeit nehmen die Beschimpfungen und Aggressionen zu. Doch trotz aller Anstrengung gibt einem der Dienst auch etwas. Das ist Wilfried V. wichtig. „Ich lerne, Wichtiges vom Unwichtigen zu unterscheiden und auch meine eigenen Angelegenheiten ruhiger zu beurteilen“, sagt V. nach fünf Jahren Ehrenamt bei der Telefonseelsorge.

Informationen zum Ehrenamt

Die Telefonseelsorge in der Hospitalstraße 26 in Stuttgart informiert am 5. Oktober und am 7. November jeweils um 18 Uhr über das Ehrenamt. Wer mitarbeiten will, wird intensiv vorbereitet. Ein Jahr dauert die Schulung, sie umfasst 300 Stunden. Gelernt wird zum Beispiel die Technik der Fragestellungen.

Mitarbeiter treffen sich einmal im Monat, um sich über die Fälle auszutauschen. Auch regelmäßige Fortbildungen werden geboten.

Die Telefonseelsorge ist zentral zu erreichen unter 08 00 / 1 11 01 11 oder 08 00 / 1 11 02 22.