Mercedescup, Porsche-Grand-Prix, ATP-Masters – in der Landeshauptstadt ist Spitzentennis seit Jahrzehnten zu Hause. Nun tritt hier am Wochenende in der Porsche-Arena das deutsche Fedcupteam gegen Australien an.

Sport: Heiko Hinrichsen (hh)

Stuttgart - Es war der 18. Juni 2001, als der rumänische Tennis-Tausendsassa Ion Tiriac aus Bukarest kommend mit seinem Learjet in Stuttgart einen Zwischenstopp einlegte. Um die Mittagszeit machte es sich der einstige Manager von Boris Becker im Hotel Intercontinental in einem roten Ohrensessel bequem. Dann redete er seinem Tennispublikum eindringlich ins Gewissen: „Die Deutschen gehören zu den Wellenreitern“, sagte Tiriac leicht erbost – und die Tenniswelle, die sei in Deutschland nach dem Becker-Boom jetzt wohl weitgehend abgeritten.

 

Eine große Überraschung ist es daher nicht mehr gewesen, als der Rumäne im Folgejahr mit dem einstigen Stuttgarter ATP-Masters-Tennisturnier weiterzog, um in Madrid neue Freunde zu finden. Der Verlust der „Eurocard Open“ am Neckarufer mit ihren damals sehr beachtlichen drei Millionen US-Dollar an Preisgeld traf bei rund 50 000 Zuschauern an neun Turniertagen vor allem die mitveranstaltende Messe hart. So hatten sich neben Boris Becker auch andere Topstars wie Stefan Edberg, Goran Ivanisevic oder Michael Stich in die Siegerliste eingetragen.

Steffi Graf und André Agassi gestehen ihre Liebe

Auch der Boulevard sah sich einiger Themen beraubt. Hatten sich doch etwa Steffi Graf und André Agassi, die letztlich im Oktober 2001 heimlich heirateten, in der Schleyerhalle erstmals öffentlich als Liebespaar gezeigt. Der Tennisstandort Stuttgart lebte aber auch ohne die „Eurocard Open“ sehr gut weiter – was gegen Tiriacs Theorie von den deutschen Wellenreitern spricht. Gab es doch mit dem Mercedescup für die Männer auf dem Weissenhof und dem Porsche-Grand-Prix für die Frauen, damals noch in Filderstadt, zwei weitere Turniere von internationalem Spitzenformat, die bis heute existieren.

„Ihr Erfolg liegt darin begründet, dass die Tennisevents in Stuttgart historisch gewachsen sind. Sie besitzen eine Tradition, die es in Deutschland nicht oft gibt“, sagt der Schweizer Markus Günthardt, der bis 2001 Turnierdirektor beim Masters war – und der heutzutage das Frauenevent in der Porsche-Arena verantwortet. „Die Bedeutung des Tennis-Standorts Stuttgart fußt vor allem auf der Eigeninitiative Einzelner“, erklärt Günthardt.

Große Tradition auf dem Weissenhof

So hatte der umtriebige Drogist Dieter Fischer 1978 das Filderstädter Turnier aus der Taufe gehoben – und beim Masters der Männer fanden 1990, befeuert von den drei Wimbledonsiegen Boris Beckers, der Geschäftsmann Ion Tiriac und die Stuttgarter Messe zusammen. Als treibende Kraft tat sich damals der Messe-Chef Rainer Vögele hervor, mit seinem Anspruch, Stuttgart „the world’s best tennis“ zu bieten. Dies ging lange gut, ehe Vögele später wegen schwarzer Kassen und Untreue mit einem Strafbefehl belegt wurde.

Besonders groß ist die Tradition auf dem Weissenhof , wo in diesem Jahr bereits das 100. Männerturnier ausgetragen wird. Seit 1979 firmiert es unter dem Label „Mercedescup“ – und hatte unter dem alten Turnierdirektor Bernd Nusch viele spektakuläre Momente zu bieten. „Ich hatte Angst, dass mir die Leute die Zäune einreißen“, erzählt Nusch von der Ausgabe 1981, als Björn Borg, der insgesamt 102 Wochen an der Spitze der Weltrangliste stand, seinen Rivalen Ivan Lendl im Endspiel in vier Sätzen mit 1:6, 7:6, 6:2 und 6:4 niederrang.

1991 siegte Michael Stich auf dem Killesberg als bis heute einziger deutscher Profi, während nach der Jahrtausendwende der Brasilianer Gustavo Kuerten (Sieger 2001) und der Mallorquiner Rafael Nadal, der 2005 und 2007 gewann, für die sportlichen Farbtupfer sorgten.

„Stuttgart ist eine Stadt, die sich über den Sport definiert“

Im Jahr 2007 stieg der Österreicher Edwin Weindorfer mit seiner Agentur Emotions auf dem Weissenhof ein: „In Stuttgart gibt es durch die beiden ansässigen Autoweltmarken die perfekten Titelsponsoren“, meint der 49-Jährige: „Zudem ist Stuttgart eine Stadt, die sich auch über den Sport definiert. Es gibt eine tolle Tennis-Infrastruktur, und zwar indoor wie outdoor, sowie ein fachkundiges Publikum und eine bunte Sponsorenlandschaft.“

In Filderstadt, wo es bis 1979 auch ein Männerturnier gab, stellte Porsche dem Macher Dieter Fischer zu Beginn das Siegerauto und die 175 000 US-Dollar an Preisgeld zur Verfügung. Zunächst gewann das anfangs erst 15-jährige „Wunderkind“ Tracy Austin in Filderstadt viermal; Steffi Graf debütierte 1982 mit 13 Jahren – und die Rekordsiegerin Martina Navratilova holte in den achtziger Jahren fünf ihrer insgesamt sechs Titel. Das ZDF übertrug stets live, auch 1991, als der Turnierdirektor Michael Uhden seinen „sportlich schönsten Moment“ erlebte, denn das Turnier gewann mit der lediglich 16 Jahre jungen Anke Huber erstmals eine Deutsche.

Nach der 25. Auflage im Jahr 2002 reichte Dieter Fischer die Turnierrechte an Porsche weiter; vier Jahre später folgte der Umzug nach Bad Cannstatt, weil die alt-ehrwürdige Anlage im Plattenhardter „Weilerhau“ aus ihren Nähten platzte. Turnierdirektor war da bereits nicht mehr Dieter Fischer, sondern Markus Günthardt, der schnell auch das Fedcup-Team in die Halle holte. „Schließlich haben wir hier eine tolle Infrastruktur zu bieten.“

Deutsches Fedcup-Team ist immer gern in Stuttgart

Auch künftig muss dem Stuttgarter Tennisfan nicht bange sein: So gastiert das deutsche Fedcup-Team immer wieder gerne in „unserem Wohnzimmer“ (die Teamchefin Barbara Rittner). Also wäre die Porsche-Arena auch bei einem möglichen Erreichen des Fedcup-Endspiels 2015, für das nach einem möglichen Erfolg über Australien noch ein weiterer Sieg im Semifinale gegen den Gewinner des Erstrundenmatches Russland gegen Polen nötig wäre, die naheliegendste Option. Denn obendrein käme im Tennis ja stets der psychologische Faktor hinzu: „Wenn man als Spieler irgendwo erfolgreich ist, dann kommt man immer gerne zurück“, sagt Günthardt. Und schließlich hatte der jüngere Aufschwung im Fedcup in Stuttgart 2010 seinen Anfang genommen. Er brachte Angelique Kerber, Andrea Petkovic, Julia Görges und Sabine Lisicki im vergangenen November, also 22 Jahre nach dem letzten Fedcup-Sieg von 1992 in der Ära Steffi Graf, immerhin ins Endspiel von Prag. Auch wenn dies letztlich mit 1:3 verloren ging.

Um den Porsche-Tennis-Grand-Prix, der in diesem Jahr vom 18. bis 26. April ausgespielt wird, muss sich der Turnierdirektor Günthardt ebenfalls wenig Sorgen machen. Denn das Turnier mit der Seriensiegerin Maria Scharapowa wurde auch 2014 wieder von den Spielerinnen zum beliebtesten WTA-Turnier weltweit gewählt.

Die Rasen-Premiere auf dem Weissenhof

Mächtigen Rückenwind erfährt auch das Männerevent auf dem Weissenhof. Dort wird man trotz all der Tradition in 2015 erneut eine Premiere begehen können, denn erstmals wird in Stuttgart (vom 6. bis 14. Juni) auf Rasen gespielt. „Wir werden über die Jahre wieder die absoluten Topspieler sehen“, sagt der Turnierchef Edwin Weindorfer, der mit seinem Team nach den zuletzt eher durchwachsenen Ausgaben im Juli und auf Sand nun Teil des „Wimbledon Swing“ ist.

Das bedeutet, dass Stuttgart den Auftakt der Rasensaison bildet, weil es im Turnierkalender im Anschluss an die French Open in Paris folgt. Wimbledon rückt eine Woche nach hinten, weshalb für die Profis nun drei Wochen Zeit zur Vorbereitung bleiben. „So tolle Plätze wie in Stuttgart findet man auf der Tour nur noch in Queens“, macht Weindorfer Werbung in eigener Sache.

Aus gutem Grund: schließlich ist der Mercedescup in diesem Jahr erstmals offizieller Partner des All England Clubs, was bedeutet, dass extra die Grassamen und ein Greenkeeper aus England eingeflogen worden sind. „Wir haben sechs top-gepflegte Rasenplätze, alle auf acht Millimeter geschnitten – und spielen dieselben Bälle wie in Wimbledon“, freut sich Edwin Weindorfer. Als internationaler Sportvermarkter ist der Grazer auch im Profigolf weltweit tätig. Dennoch hegt der umtriebige Manager noch einen besonderen Wunsch: „Es ist mein Traum“, sagt Weindorfer, „den Roger Federer nach Stuttgart zu holen.“