Reportage: Robin Szuttor (szu)
Wie schnell kamen Sie wieder auf die Beine?
Ich ging nach einem Vierteljahr wieder aufs Revier. Wochen zuvor wurden Uwe und ich bereits mehr oder weniger vom BKA verpflichtet, bei der filmischen Rekonstruktion der Tat mitzuwirken. Es war ein großes Spektakel, die Singener Innenstadt wurde abgesperrt und alles minutiös nachgestellt, sogar die Schüsse auf uns. Das war wenig rücksichtsvoll, ich hätte es ablehnen sollen. Psychologische Betreuung, die ich gern angenommen hätte, gab es damals nicht. Ich musste alles so wegstecken.
Hat es funktioniert?
Mehr schlecht als recht. Die Sache wurde totgeschwiegen. Meine Kollegen schwiegen, meine Familie schwieg. Ich auch. Mein Sohn erfuhr erst mit 15, woher meine Narben stammen. Er erfuhr es aus den Medien, nicht von mir. Das hab ich leider versäumt.
Sonnenberg wird wegen zweifachen Mordversuchs zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Gericht geht davon aus, dass er der Vize der Haag-Mayer-Bande ist und damit eines der gefährlichsten Mitglieder der zweiten RAF-Generation. Wollten Meinhof, Baader, Ensslin noch im Geiste Maos und Che Guevaras den revolutionären Flächenbrand in die Metropolen des Kapitals tragen, ist der RAF-Nachwuchs kaum mehr um ideologische Rechtfertigung für das Morden bemüht. Mit Sonnenberg verbindet sich das Ende dessen, was man intellektuellen Terrorismus nennen konnte.
Was lief an jenem 3. Mai schief?
Die Terroristen waren uns haushoch überlegen, hatten Nahkampfschulungen im Nahen Osten hinter sich, während unsere Ausbildung eher der im örtlichen Schützenverein glich. Wir waren unerfahren und haben sicherlich Fehler gemacht. Wir hätten sie vielleicht gleich im Café durchsuchen müssen. Wir hätten uns vielleicht nicht auf die Autosuche einlassen dürfen. Anderseits war die Aktion, rein sachlich betrachtet, ein Erfolg. Zwei Topterroristen wurden gefasst, ohne dass ein Mensch zu Tode kam. Hätten zwei erfahrene Kollegen sie kontrolliert, wäre es womöglich im Café oder in der Fußgängerzone, wo an dem Tag eine Karstadt-Filiale eröffnet wurde, zu einem Blutbad gekommen. Denn die wären nicht freiwillig mit.
Schärfte die Tat Ihr politisches Bewusstsein?
Den Schahbesuch, das mit Ohnesorg oder Dutschke habe ich als Jugendlicher schon am Rande mitbekommen. Die erste echte Berührung mit der RAF war dann in Stammheim während meiner Ausbildung. Bestimmt habe ich nach der Tat mehr über das Thema und die Hintergründe gelesen als der Durchschnittsbürger. Aber richtig reingekniet habe ich mich auch nicht.
1992 kommt Sonnenberg auf Bewährung frei. 2011, beim zweiten Prozess gegen Verena Becker, tritt er noch einmal kurz ins Licht der Öffentlichkeit. Der 56-Jährige wohnt zu dieser Zeit in Frankfurt am Main und bezieht 350 Euro Sozialhilfe monatlich. Auf die Frage, warum er als Arbeitskraft nicht vermittelbar sei, sagt er dem Richter: „Ihnen ist wohlbekannt, dass ich 1977 einen Schuss in den Hinterkopf bekommen habe und danach 13 Jahre in Isolationshaft war. Es waren Ihre Kollegen, die die Verantwortung dafür haben.“ Ansonsten schweigt Sonnenberg und antwortet auf Fragen nur monoton „55“″ als Verweis auf den entsprechenden Paragrafen.
Günter Sonnenberg war kaum älter als Sie. Doch unterschiedlicher können Lebenswege kaum sein. Der eine geht zur Roten-Armee-Fraktion, der andere zur Polizei.
Aus meiner Sicht ging es uns zu der Zeit, Mitte der 70er Jahre, gut in Deutschland. Ich konnte nie nachvollziehen, was die Terrorristen dazu bewegt hat, dies alles anzuzweifeln. Ich habe nie verstanden, was sie auf diesen Irrweg brachte, was ihr Aufruhr bringen sollte. Zumal sie ja ohnehin nie eine echte Chance hatten, das System umzustürzen. Für mich waren es Kriminelle.