Am 5. November beginnt der Prozess gegen drei mutmaßliche Terroristen, die nach Syrien wollten. Die Ermittler haben Erkenntnisse, dass bei ihrer Radikalisierung eine Moschee in Botnang eine zentrale Rolle gespielt hat.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - So einen Fall hat selbst die Polizei nicht alle Tage: Auf der Autobahn 8 in Richtung München fingen die Beamten aus Stuttgart im vorigen Herbst einen Mann ab, der von hier aus in den sogenannten Heiligen Krieg starten wollte. Er war zuvor dem Verkäufer eines Waffengeschäfts aufgefallen, weil er unter anderem Nachtsichtgeräte gekauft hatte. Nun müssen sich der Stuttgarter, ein Komplize, den er bei einer Pilgerfahrt nach Mekka kennengelernt hatte, und eine dritte Person vom 5. November an vor dem Oberlandesgericht Stuttgart verantworten. Der Vorwurf: „Mitgliedschaft in beziehungsweise Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland“.

 

Der 24-Jährige gebe sich in Vernehmungen „sehr gesprächig“, sagt Kriminalhauptkommissar Manfred Schmitt – und hofft daher auf neue Erkenntnisse über das Anwerben und die Ausbildung von Dschihadisten aus Deutschland. Etwa 450 junge Leute aus der Bundesrepublik sollen inzwischen diesen Weg gegangen sein.

Von der Radikalisierung im Kinderzimmer merken die Eltern oft nichts. „Erst wenn der Sohn verschwunden ist, kommen sie zu uns“, sagt Polizist Schmitt. Manchmal muss er dann die Todesnachricht überbringen, weil der Nachwuchs in den sogenannten Heiligen Krieg gezogen ist, um als Märtyrer zu sterben. Auf der Suche nach den jungen Leuten durchkämmen Schmitt und seine Kollegen im Arbeitsbereich für religiös motivierte Straftaten der Stuttgarter Polizei regelmäßig das Internet, vor allem die sozialen Netzwerke. Dort stoßen sie mitunter auf Fotos von Leichen – die toten Söhne von den radikalen Islamisten stolz als heldenhafte Kämpfer in Szene gesetzt.

Islamischer Staat ist in Deutschland verboten

Unter den Bildern der Toten sind auch die Fotos zweier junger Männer, von denen die Staatsschützer der Stuttgarter Polizei wissen, dass sie eine Moschee in Botnang besucht haben. Von drei Männern wissen die Polizisten, dass sie von hier aus nach Syrien gegangen sind, um im Dschihad zu kämpfen. Zwei von ihnen sind tot – die Propagandabilder im Internet belegen das. Von zwei Männern, die in Syrien sind und noch leben, weiß die Polizei.

Der Bundesinnenminister hat das Problem erkannt und gehandelt: Er hat die Gruppe Islamischer Staat in Deutschland verboten – und damit den Ermittlern neue Handlungsmöglichkeiten gegeben. Aber auch darüber hinaus kann die Polizei eingreifen. Der Paragraf 129 des Strafgesetzbuchs regelt, dass das Unterstützen einer terroristischen Vereinigung im Ausland strafbar ist. „Es reicht aber nicht, wenn einer sagt, er will in den Dschihad“, erläutert Manfred Schmitt. Die Ermittler müssen nachweisen, dass der kampfbereite Verdächtige ins Ausland will, um eine der als terroristisch eingestuften Vereinigungen zu unterstützen. „Wir können dann passrechtliche Beschränkungen vornehmen.“ Einem deutschen Staatsbürger kann man den Pass wegnehmen und so die Ausreise vereiteln, sagt der Ermittler.

Welche Rolle spielt die Moschee in Botnang?

Bei der Radikalisierung der jungen Männer, die meist zuvor nicht besonders religiös gelebt hatten, spielten Besuche einer Moschee in Botnang eine Rolle. Dort distanziere man sich zwar deutlich davon, zum Dschihad aufzurufen, jedoch weiß die Polizei auch, dass in der Moschee schon zahlreiche aus Bosnien stammende Imame predigten, die inzwischen in Syrien sind – und dort der Vereinigung Islamischer Staat nahestehen. Einer dieser Prediger sei zudem dadurch aufgefallen, dass er sich nicht von der Idee der Selbstmordattentate gegen Andersgläubige distanziert habe.

Die Ermittler schauen nicht nur auf die Moschee in Botnang. Auch mitten in der Stadt sind Menschen unterwegs, die für die dunkle Seite der Auslegung des islamischen Glaubens werben. Immer wieder tauchen in der Innenstadt Männer auf, die für die Stiftung „Lies“ Korane verteilen. Die Polizei ist sich sicher, dass drei von jenen, die schon in der Königstraße standen und Bücher aushändigten, in den sogenannten Heiligen Krieg gezogen sind. Stuttgart war zudem die erste Stadt, in der die „Lies-Stiftung“, hinter der der Prediger Abou Nagie steckt, in der Fußgängerzone vertreten war.

Pierre Vogel hat schon mehrere Termine platzen lassen

Dann sind da noch die immer wieder angekündigten, jedoch oft auch wieder verworfenen Gastspiele des Konvertiten Pierre Vogel. Der Salafist mit dem Kölner Akzent hat in diesem Jahr schon mehrere Termine platzen lassen, zu denen er eigentlich hier auftreten wollte. Der Prediger blickt auf eine lange Geschichte mit den Stuttgarter Ermittlern zurück, in deren Verlauf er immer wieder Niederlagen einstecken musste. So wurde eine große Razzia bei den Kölner Salafisten gestartet, nachdem die Stuttgarter Polizei bei einer Veranstaltung im ehemaligen Theaterhaus festgestellt hatte, dass er Schriften verteilte, was er aufgrund des Jugendschutzgesetzes nicht hätte tun dürfen, weil Kinder anwesend waren. Und die Festnahme seines engen Vertrauten Sven Lau in diesem Jahr sei durch Erkenntnisse in Stuttgart zustande gekommen.

„Boden für ihn wäre da“, sagt Manfred Schmitt über Pierre Vogels Gefolgsleute. Hinter einer Veranstaltung im Herbst des vergangenen Jahres, zu der Vogel angekündigt worden war, habe die Botnanger Moschee gesteckt. Als der Prediger nicht erschien, zeigten die Veranstalter ein Video von Pierre Vogel, der sich auch Abu Hamza nennt. Im Hintergrund: die Fahne von Al-Kaida.

Auf derlei verbotene Symbole achten die Fahnder im Internet und bei Veranstaltungen inzwischen verstärkt. Dazu zählt auch das Siegel des Propheten auf schwarzem Grund, über dem das Glaubensbekenntnis steht: Mit dem Verbot des Islamischen Staates im Herbst dieses Jahres darf es nicht mehr gezeigt werden.

Doch es ist nicht nur die Abreise der jungen Dschihadisten in Richtung Syrien, die den Ermittlern Sorge bereitet. Sie fragen sich auch, was geschieht, wenn sie wieder zurückkehren. „Dann“, sagt Manfred Schmitt, „haben wir es mit Leuten zu tun, die eine hochspezialisierte terroristische Ausbildung genossen haben.“