In jeder offenen Marktwirtschaft der Welt würde der rasant wachsende Bedarf einen Anstieg der Löhne nach sich ziehen. Durch Unternehmer und eine Regierung, die „Kollateralschaden“ in Kauf nehmen, stellt Kambodscha den brutalen Beweis dar, das es auch anders geht. „Angesichts von 300 000 jungen Leuten, die jährlich neu auf Kambodschas Arbeitsmarkt strömen, fällt es selbst Universitätsabsolventen zunehmend schwer, Arbeit zu finden“, zitiert die GMAC den kambodschanischen Diplomaten Sim Vireak auf ihrer Webseite, „sollen die etwa wegen hoher Löhne im Textilsektor in diesen Fabriken arbeiten?“

 

Diese etwas bizarre Logik hat freilich mit ökonomischen Realitäten wenig zu tun. Laut „China Labour Bulletin“ verdient ein kambodschanischer Textilarbeiter gegenwärtig drei Mal weniger als sein chinesischer Kollege. Das kleine südostasiatische Land steht deshalb derzeit an vorderster Front einer mobilen Industrie, die das Prinzip Billigstlohn zur Grundlage ihres weltweiten Geschäfts gemacht hat. Nur Bangladesch kann mit seinen Niedrigstlöhnen gegen die Konkurrenz aus Kambodscha bestehen. In Bangladesch hatten die Arbeiterinnen im Spätherbst einen Mindestlohn von 70 Dollar zugesagt bekommen, nachdem es zu gewaltsamen Streiks gekommen war. Für viele chinesische Unternehmen, die bisher in der Heimat produziert haben, ist Bangladesch trotzdem nicht interessant, weil die Industrie von lokalen Firmen dominiert wird.

In Kambodscha dagegen haben sie freie Bahn. China pumpte während der vergangenen Jahre Hunderte von Millionen US-Dollar in das südostasiatische Land. Premierminister Hun Sen, der vor 28 Jahren mit Hilfe vietnamesischer Truppen die von China und USA finanzierten Reste der Roten Khmer vertrieb, gehört inzwischen zu den treuesten Alliierten Pekings in Asien.

„Wir dürfen nicht einmal die Aufzüge benutzen“

Von der Freundschaft auf höchster Ebene ist freilich in den Fabriken wenig zu spüren. „Wir werden wie Sklaven behandelt“, sagt Phy Phearith, „wir dürfen nicht einmal die Aufzüge benutzen. Die sind für die Aufseher reserviert.“ Sie arbeitet in einem Unternehmen namens M&V, das in Kambodscha Frauenpullover für den zweitgrößten Modehändler der Welt, die schwedische Firma H&M, herstellt. Die Klage der Arbeiterin klingt wie eine Nebensächlichkeit. Aber sie ist ein Symptom für die allgemein üblichen Geschäftspraktiken.

Die Bedingungen in den Fabriken haben sich verbessert. Foto: /laif

Kambodschas Premierminister Hun Sen trieb nicht nur die Sorge um seinen Machterhalt zum brutalen Vorgehen. Mittlerweile wurde ruchbar, dass die Regierung von Südkoreas Präsidentin Park Geun-hye mit deutlichen Worten bei Hun Sen vorstellig geworden war. Er möge endlich dafür Sorge tragen, verlangten die Abgesandten der Tochter des früheren Diktators Park Geun-hye, diesen leidigen Arbeitskampf abzustellen. Südkorea gehört neben der Volksrepublik China zu den wichtigsten Wachstumsmotoren der kambodschanischen Textilindustrie.

Scheinheiligkeit seitens großer Unternehmen

Angesichts der Reaktion aus Seoul wirken die Worte in einem Schreiben von sieben in Kambodscha produzierenden Modelabels, darunter Adidas und Puma, an Kambodschas Premier wie Krokodilstränen. Man sei besorgt, hieß es da, „über die weit verbreitete Unruhe im Land und die tödliche Gewalt, mit der die Regierung reagiert“ habe. Der Brief wirkt so scheinheilig, weil die Unternehmen – neben Adidas und Puma lassen auch H&M und Nike sowie Levi Strauss Modeware in Kambodscha herstellen – schließlich einen guten Teil der Schuld an den Verhältnissen tragen.

„Die Marken wollen nicht über Löhne reden“, sagt Kong Athit, der stellvertretende Vorsitzende des Textilarbeitergewerkschaftsbunds Coalition of Cambodian Apparel Workers Democratic Union (CCAWDU). „Sie verweisen uns an ihre Lieferanten und sagen: Redet mit denen.“ Um welche Sorte von Gesprächspartnern es sich dabei handelt, wurde nach der Zerschlagung des Streiks durch die Regierung deutlich. „Die Intervention der Polizei zur Wahrung von Recht und Ordnung war absolut gerechtfertigt. Wir müssen akzeptieren, dass es dann Kollateralschäden gibt“, erklärte Van Sou Ieng, der Vorsitzende der Garment Manufacturer Association of Cambodia (GMAC). „Warum werden nicht die Leute zur Verantwortung gezogen, die illegal demonstrieren?“

Beim Arbeitsweg gilt: Möglichst billig Foto: EPA

Es ist nicht gut Kirschen essen mit diesem Vorsitzenden der Textilindustriellen. Das wissen Gewerkschafter wie Kong Athit schon lange. Der Textilboss macht auch auf der Begrüßungswebseite seiner Organisation deutlich, worum es in Kambodscha geht. „Während in vielen Ländern die Textilindustrie nur einer von vielen Bereichen ist, ist die Textilwirtschaft in Kambodscha der wichtigste Industriezweig“, stellt Ieng klar. Fünf Milliarden US-Dollar spült die Textilwirtschaft jährlich an Ausfuhrerlösen in die Kassen des Landes – oder besser gesagt, in die Hände von Unternehmern und Vertretern der Regierungspartei. Textilien stellen nicht nur 80 Prozent aller Exporte Kambodschas dar. Die Industrie explodiert förmlich. Durchschnittlich öffnen monatlich fünf neue Fabriken.

Die Karawane zieht weiter – nach Myanmar?

In jeder offenen Marktwirtschaft der Welt würde der rasant wachsende Bedarf einen Anstieg der Löhne nach sich ziehen. Durch Unternehmer und eine Regierung, die „Kollateralschaden“ in Kauf nehmen, stellt Kambodscha den brutalen Beweis dar, das es auch anders geht. „Angesichts von 300 000 jungen Leuten, die jährlich neu auf Kambodschas Arbeitsmarkt strömen, fällt es selbst Universitätsabsolventen zunehmend schwer, Arbeit zu finden“, zitiert die GMAC den kambodschanischen Diplomaten Sim Vireak auf ihrer Webseite, „sollen die etwa wegen hoher Löhne im Textilsektor in diesen Fabriken arbeiten?“

Diese etwas bizarre Logik hat freilich mit ökonomischen Realitäten wenig zu tun. Laut „China Labour Bulletin“ verdient ein kambodschanischer Textilarbeiter gegenwärtig drei Mal weniger als sein chinesischer Kollege. Das kleine südostasiatische Land steht deshalb derzeit an vorderster Front einer mobilen Industrie, die das Prinzip Billigstlohn zur Grundlage ihres weltweiten Geschäfts gemacht hat. Nur Bangladesch kann mit seinen Niedrigstlöhnen gegen die Konkurrenz aus Kambodscha bestehen. In Bangladesch hatten die Arbeiterinnen im Spätherbst einen Mindestlohn von 70 Dollar zugesagt bekommen, nachdem es zu gewaltsamen Streiks gekommen war. Für viele chinesische Unternehmen, die bisher in der Heimat produziert haben, ist Bangladesch trotzdem nicht interessant, weil die Industrie von lokalen Firmen dominiert wird.

In Kambodscha dagegen haben sie freie Bahn. China pumpte während der vergangenen Jahre Hunderte von Millionen US-Dollar in das südostasiatische Land. Premierminister Hun Sen, der vor 28 Jahren mit Hilfe vietnamesischer Truppen die von China und USA finanzierten Reste der Roten Khmer vertrieb, gehört inzwischen zu den treuesten Alliierten Pekings in Asien.

„Wir dürfen nicht einmal die Aufzüge benutzen“

Von der Freundschaft auf höchster Ebene ist freilich in den Fabriken wenig zu spüren. „Wir werden wie Sklaven behandelt“, sagt Phy Phearith, „wir dürfen nicht einmal die Aufzüge benutzen. Die sind für die Aufseher reserviert.“ Sie arbeitet in einem Unternehmen namens M&V, das in Kambodscha Frauenpullover für den zweitgrößten Modehändler der Welt, die schwedische Firma H&M, herstellt. Die Klage der Arbeiterin klingt wie eine Nebensächlichkeit. Aber sie ist ein Symptom für die allgemein üblichen Geschäftspraktiken.

Schon die in Kambodscha üblichen Arbeitsverträge erheben Ausbeutung zum Prinzip. Sie erlauben den Arbeitgebern Kündigungen ohne Übergangsfristen – und vor allem ohne Abschlagszahlungen. Neben den allgemein üblichen Hungerlöhnen sind die Arbeitsbedingungen in den Fabriken so schlimm, dass laut der Gewerkschaft CCAWDU immer mehr Berichte über Arbeiterinnen in ihre Zentrale flattern, die ohnmächtig zusammenbrechen. Die Interessenvertretung macht die Kombination von langen Arbeitszeiten und schlechter Ernährung verantwortlich. „Wenn man Inflation einberechnet“, sagt Joel Preston von der Nichtegierungsorganisation Cambodia Legal Education Center in der Hauptstadt Phnom Penh, „erhalten Textilarbeiter heute so viel Lohn wie im Jahr 2001.“

Wenn Angestellte der für internationale Modelabel produzierenden chinesischen Firmen sich bei Arbeitskonflikten an Kambodschas Gerichte wenden, kommen sie fast nie weiter. „Wir haben 2012 chinesische Aufseher verklagt“, erzählt Gewerkschaftsvertreter Kong Athit, „die sind darauf einfach nach China verschwunden.“ Weil es so einfach ist, dem Arm der kambodschanischen Justiz zu entkommen, bleibt manche Fabrik ihren Arbeitern auch gerne einmal ein paar Monate Lohn schuldig. Die Fabriken werden kurzerhand geschlossen, die Manager setzen sich samt Profit und der Lohnkasse ab. „Wir erhalten viele Klagen, die von körperlichen Misshandlungen bis zu sexueller Belästigung reichen“, beschreibt Gewerkschaftsfunktionär Athit die Zustände in den Fabriken.

Ständig auf der Suche nach noch günstigeren Arbeitskräften

Die kambodschanischen Zustände sind sicher nicht einzigartig in der Welt der internationalen Bekleidungsindustrie. Aber in Bangladesch werden viele dieser Problem totgeschwiegen, weil Textilunternehmer Politik und Medien beherrschen. In China und Vietnam kommen die Missstände selten ans Licht, weil die Gesetze der sozialistischen Staaten keine unabhängigen Gewerkschaften dulden. Aber in Kambodscha prallen wegen der einzigartigen Geschichte des Landes Welten aufeinander, die sonst eher selten kollidieren. Nach dem Massenmord durch die Roten Khmer, dem in den 70er Jahren mehr als zwei Millionen Kambodschaner zum Opfer fielen, strömten viele Hilfsorganisationen aus aller Welt in das Land, die sich um den Wiederaufbau und Menschenrechte kümmerten. Heute existiert eine lebhafte Szene von Gruppen, die sich um die Interessen von Textilarbeitern, landlosen Bauern oder den Umweltschutz kümmern.

Deshalb erfährt die Welt hier viele Details aus der Welt der Textilarbeiter. Bis jetzt freilich nützt dies den Textilarbeitern in Kambodscha wenig. Derweil forschen die Pfadfinder der internationalen Modeindustrie bereits das nächste Land aus, das ihre Praktiken tolerieren will. Es ist Myanmar. Dort bekommen die Näherinnen derzeit rund 30 Euro im Monat.