„The Blind Side“ erzählt die Geschichte vom guten weißen Paar und dem armen Ghetto-Kind. NFL-Spieler Michael Oher fühlte sich in dem Film nie richtig dargestellt. Doch jetzt geht es um mehr. Wurde der heute 37-Jährige eiskalt abgezockt?

Freizeit und Unterhaltung: Theresa Schäfer (the)

Reiche weiße Familie adoptiert armen schwarzen Jungen aus dem Ghetto und begleitet ihn auf dem Weg zum Footballprofi. So geht – stark verkürzt – die Geschichte des ehemaligen NFL-Spielers Michael Oher. Oder zumindest die offizielle Version, die 2009 in „The Blind Side“ (auf Deutsch „Blind Side - Die große Chance“) mit Sandra Bullock in der Hauptrolle verfilmt wurde und die der heute 37-Jährige ziemlich anders in Erinnerung hat.

 

Zwischen Oher und der Familie Tuohy, die ihn als Jugendlichen aufnahm, steht es seit Jahren nicht zum Besten. Am Montag, berichten übereinstimmend mehrere US-amerikanische Medien, hat der frühere Footballstar vor dem Gericht von Shelby County im US-Staat Tennessee einen Antrag gestellt – er will, dass Leigh Anne und Sean Tuohys Vormundschaft beendet wird. Sein Vorwurf: Die Tuohys hätten ihn nie offiziell adoptiert, sondern seien lediglich eine Vormundschaft eingegangen, um an sein Geld zu kommen. Oher fühlt sich von seiner früheren Pflegefamilie verraten und verkauft.

„Michael hat den Tuohys vertraut und unterschrieb da, wo sie es ihm sagten“, zitieren US-amerikanische Medien übereinstimmend aus der Akte, die Ohers Anwalt bei Gericht vorlegte. „Was er aber unterschrieb, (...) waren keine Adoptionsunterlagen.“ Stattdessen habe er mit seiner Unterschrift seinen Pflegeeltern unwissentlich eine Vormundschaft erteilt – obwohl er damals bereits volljährig gewesen sein. Alle Tuohys hätten durch „The Blind Side“, Buch und Film, Geld verdient – nur Oher selbst nicht.

Tuohys sind „am Boden zerstört“

Die Familie Tuohy weist die Vorwürfe zurück. Sean Tuohy sagte dem „Daily Memphian“: „Wir sind am Boden zerstört. Der Gedanke, dass wir mit einem unserer Kinder Geld verdienen würden, ist erschütternd. Aber wir werden Michael mit 37 genauso lieben, wie wir ihn mit 16 geliebt haben.“

Oher, der mit den Baltimore Ravens 2013 den Super Bowl gewann, fühlte sich sowohl vom Buch als auch vom gleichnamigen Film „The Blind Side“ falsch porträtiert. In seiner eigenen Lebensgeschichte sei ihm nur eine Nebenrolle zugedacht worden. Vor allem der Film, ein Kassenschlager, der Sandra Bullock 2010 den Oscar für die beste Hauptrolle einbrachte, konzentriert sich auf den Charakter von Leigh Anne Tuohy als selbstlose Wohltäterin. Das gefiel schon vor 13 Jahren nicht allen: Die „New York Times“ schrieb damals, Bullocks Figur suhle sich bis zur Unerträglichkeit in ihrer eigenen Gutartigkeit. Was Oher besonders störte: Er werde zwar als begnadeter Sportler dargestellt – aber sonst als nicht besonders helle.

Ohers Geschichte ist komplexer

Michael Ohers Geschichte ist komplexer, als es in „The Blind Side“ rüberkommt. Was stimmt: Seine Mutter war abhängig von Crack und konnte sich nicht um ihre zwölf Kinder kümmern. Oher zog von Pflegefamilie zu Pflegefamilie. Schließlich, auf einer christlichen Privatschule, auf die es der sportlich begabte Junge aus eigener Kraft geschafft hatte, lernte er die Tuohys aus Memphis kennen. Auch andere Familien seiner Klassenkameraden, so Ohers Anwalt, hätten Mitleid mit dem Jungen gehabt und ihn häufiger bei sich übernachten lassen. „Wo andere Eltern von Michaels Klassenkameraden einfach einen netten Jungen in Not sahen, erkannten die Vormunde Sean Tuohy und Leigh Anne Tuohy etwas anderes: Einen leichtgläubigen jungen Mann, dessen sportliches Talent sie für ihren eigenen Nutzen ausbeuten konnten“, heißt es in den Unterlagen, die dem Gericht vorgelegt wurden. Die Tuohys hätten erst näheren Kontakt gesucht, als sich herauskristallisierte, wie viel sportliches Potenzial in dem Schüler steckte.

Warum die Klage erst jetzt kommt? Oher habe erst in diesem Jahr erfahren, dass die Tuohys ihn nie wirklich adoptiert hatten, sagte sein Anwalt J. Gerard Stranch dem Sportsender ESPN: „Dass Michael jetzt herausfinden musste, dass er gar nicht wirklich adoptiert wurde, hat ihn umgehauen und zutiefst verletzt.“ Der Antrag vor Gericht fällt aber auch mit der Veröffentlichung von Michael Ohers neuem Buch zusammen. Der Titel: „Wenn man mit dem Rücken zur Wand steht“.