Seit einem Vierteljahrhundert steht Stefanie Stroebele auf Stuttgarter Theaterbühnen. Um der Routine zu entgehen, erzieht sie nebenher Hunde.

Reportage: Frank Buchmeier (buc)

Stuttgart - Stefanie Stroebele sagt, sie sei eine waschechte Eins. Einser sind Perfektionisten, sie tun sich schwer, eigene und fremde Unvollkommenheit zu akzeptieren. Sie neigen zur Besserwisserei, können Quälgeister sein. Doch tief in ihnen lebt das Ideal des Wahren, Guten und Schönen.

 

Vor gut einem Jahr stieß Stefanie Stroebele auf das Enneagramm, eine psychologisch-spirituelle Lehre, die neun verschiedene Charaktertypen beschreibt. Das System basiert auf der Annahme, dass jeder Mensch von Geburt an destruktiven Kräften ausgesetzt ist, von denen er sich befreien kann. Und weil Stefanie Stroebele als Typ eins eine Persönlichkeit ist, die keine halben Sachen macht, hat sie in Seminaren gelernt, wie diese Selbsterkenntnis funktioniert. Nun trägt sie den offiziellen Titel „Enneagramm-Lehrerin in der mündlichen Tradition nach Helen Palmer“.

Eigentlich ist Stefanie Stroebele eine Schauspielerin. Seit einem Vierteljahrhundert steht sie im Alten Schauspielhaus und in der Komödie im Marquardt auf der Bühne. Daneben schreibt sie für das Cannstatter Theaterschiff Stücke und führt Regie. In den Feuilletons der „Zeit“ oder der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ taucht ihr Name zwar nicht auf, dafür regelmäßig in den örtlichen Blättern. Häufig wird sie gelobt, das klingt beispielsweise so: „Stefanie Stroebele übertreibt als Kammerzofe mit Hingabe in Mimik und Körpersprache. Es macht Spaß, ihr zuzuschauen.“ Selten sind kritische Anmerkungen wie diese: „Die Handlung ist flau. Die Regisseurin Stefanie Stroebele hätte gut daran getan, sie nicht auch noch alltäglich und wirklichkeitsnah zu inszenieren, sondern zuzuspitzen.“

Der Dialekt zählt zu ihren Kernkomptenzen

Wie lebt eine in Stuttgart verortete Theaterfrau? Die Große Falterstraße liegt am Südrand von Degerloch. Vor sechs Jahren haben sich Stefanie Stroebele und ihr Mann Armin Jung, ebenfalls ein Schauspieler, in diesem Vorgartenidyll ein kleines Reiheneckhaus gekauft. An diesem Sommermorgen ist es in der Sonne schon zu warm und im Schatten noch zu kalt. Stefanie Stroebele holt sich von drinnen noch schnell eine Strickjacke, bevor sie ihren Werdegang schildert: geboren am 3. Juli 1964, aufgewachsen in Bernhausen, der Vater Techniker, die Mutter Dichterin. Schon am Eduard-Spranger-Gymnasium träumt Stefanie davon, Schauspielerin zu werden. Ihre Karriere beginnt in der Theater-AG.

Nach dem Abitur spricht sie an der Stuttgarter Schauspielschule vor. Achthundert Bewerber für zehn Plätze. Stefanie Stroebele ist davon überzeugt, dass sie genommen wird, sie hält sich für talentiert, spielt hochambitioniert Schillers „Maria Stuart“ und Brechts „Die jüdische Frau“. Die Jury gähnt und spricht: Das reicht, danke schön, die Nächste bitte.

Jählings schraubt sie ihre Ansprüche herunter und zieht zum Germanistikstudium nach München. Nebenher tritt sie im Ludwig-Thoma-Theater auf – 40 Plätze unter einem stickigen Dach, selten ausverkauft, dennoch elektrisierend. Stefanie Stroebele nimmt privaten Schauspielunterricht. Mit einem Magisterabschluss der Ludwig-Maximilians-Universität und einem Zertifikat der Künstlervermittlung kehrt sie heim und stellt sich an der Komödie im Marquardt vor, wo der Intendant Elert Bode gerade ein Mundartstück vorbereitet. „Schwäbisch ka i“, sagt Stefanie Stroebele. Der Dialekt zählt fortan zu ihren Kernkompetenzen.

Sie investiert in sich selbst

Es heißt, dass die besten Clowns abseits der Manege schwermütige Gesellen sind. Womöglich sind die besten Komödianten ernsthafte Menschen wie Stefanie Stroebele. Spricht man sie spaßeshalber auf einen bösen Verriss an, reflektiert sie: „Natürlich tut Kritik weh. Aber ich möchte mich weiterentwickeln, und das geht nur über Leid.“

Stefanie Stroebele ackert fleißig auf vielen Feldern und erntet mitunter wenig. Vor drei Jahren veröffentlichte sie unter dem Pseudonym Stella Brightley einen Liebesroman, „Die Wahrheit hat nur ein Gesicht“ floppte kolossal. „Ich bereue nichts von dem, was ich tue, und mir ist auch egal, was andere darüber denken“, sagt sie trotzig. „Es ist doch die Krux auf dieser Welt, dass wir alles und jeden bewerten.“ Zurzeit arbeitet sie an ihrem ersten Krimi.

Vom Schauspiel allein könnte Stefanie Stroebele nicht leben, zumindest nicht so, wie sie will. Ihr Ehemann und sie haben getrennte Kassen, Armin möchte das so, weil er etwas weniger verdient und viel weniger ausgibt als seine Stefanie. Sie investiert ständig in sich selbst: eine Fortbildung hier, ein Workshop dort. Das geht auf Dauer ganz schön ins Geld.

Begegnung mit einem Border Collie

Sie braucht neue Herausforderungen. Im Vergleich zu einem Büro, einer Fabrik oder einer Behörde mag es am Theater abwechslungsreich zugehen. Doch wenn man ständig Komödien aufführt, wird auch die Bühne zum Ort alltäglicher Routine. Profis können das Publikum immer bei Laune halten – selbst wenn sie todmüde, lustlos oder liebeskrank sind. Vielleicht hat sich Stefanie Stroebele unbewusst nach einem Wesen gesehnt, dem sie nichts vormachen kann, das ihre wahren Stimmungen spürt.

Eines Tages, etwa 13 Jahre liegt dieses Schlüsselerlebnis nun zurück, begegnet sie auf der Karlshöhe einem fremden Paar mit einem schwarz-weißen Hund. Sie bleibt stehen und beobachtet das Tier. Seine wachen Augen. Seine aufgestellten Ohren. Seine Ich-will-was-tun-Haltung. Border Collies sind enorm arbeitsfreudig und lernbegierig. Wäre Stefanie Stroebele ein Hund, wäre sie ein Border Collie. Als Mensch kann sie sich einen kaufen.

Als sie Lucca im Sommer 2003 vom Züchter abholt, ist die Hündin zehn Wochen alt. Manche Leute schaffen sich Haustiere an, ohne sich vorher damit zu beschäftigen, wie man sie artgerecht hält. Stefanie Stroebele tut das Gegenteil. Sie will vom ersten Tag an alles korrekt machen, wälzt Fachliteratur über Welpenerziehung und findet ein Buch, das ihr tiefstes Inneres anspricht: „Die Kunst, mit dem Hund zu reden.“ Auf 188 Seiten erklärt die Verhaltensbiologin Gudrun Feltmann, wie der Canis lupus familiaris tickt. Stefanie Stroebele genügt die Lektüre nicht, sie beginnt im Bayreuther Institut Feltmann eine Ausbildung. Dreieinhalb Jahre später ist sie ein paar Tausend Euro ärmer und darf sich „lizenzierte Tierlehrerin“ nennen.

Die Verbindung zwischen den Tieren und dem Theater

Kürzlich ist Lucca gestorben, die Urne mit der Asche ihrer Hündin hat Stefanie Stroebele gleich neben der Terrasse im Blumenbeet vergraben. Im Gras döst Cora, ein Schäferhund-Podenco-Mischling, der die Lücke füllen soll, die Lucca in ihrem Herzen hinterlassen hat. Gibt es eine Verbindung zwischen ihren Tieren und dem Theater? „Das eine wirkt sich positiv auf das andere aus“, antwortet Stefanie Stroebele. „Ich habe von Natur aus etwas Berserkerhaftes. Durch die Arbeit mit den Hunden habe ich gelernt, entspannter zu sein. Andererseits hilft mir meine Erfahrung als Schauspielerin, über Körpersprache mit den Hunden zu kommunizieren.“

Das Gartentor geht auf, Anja Klozenbücher-Frim und Charlie erscheinen pünktlich zum wöchentlichen Training. Charlie ist ein sieben Monate altes Labradoodle-Mädchen, eine Kreuzung aus Labrador und Königspudel. Diese Hybridrasse gilt als besonders familientauglich, nichthaarend und weitgehend frei von Allergenen. Manieren muss freilich auch ein Labradoodle erst beigebracht bekommen, etwa nach der sanften Feltmann-Methode. „Basis für jede funktionierende Mensch-Hund-Beziehung ist gegenseitiges Vertrauen und gegenseitiger Respekt“, referiert Stefanie Stroebele den pädagogischen Ansatz.

Der Unterricht findet auf einer Wiese im nahen Ramsbachtal statt. An dieser Stelle ähnelt Stuttgart ein bisschen dem Voralpenland, allerdings sind in der Ferne keine hohen Berge zu sehen, sondern nur die Wohnklötze vom Asemwald. Zunächst will Stefanie Stroebele mit ihrer eigenen Hündin ein paar Kunststücke proben. Doch Cora, gebürtige Spanierin und entsprechend stolz, nimmt lieber ein Erfrischungsbad im Bach. „Sie merkt, dass ich gestresst bin“, analysiert ihr Fachfrauchen den Vorführeffekt. „Cora verträgt keinen Druck.“ Charlie ist weniger kapriziös. Die junge Labradoodelin läuft locker an der langen Leine, macht Sitz, Platz und bleibt sogar alleine auf einer Decke liegen. Fein!

Ihr Charakter im Lichte des Enneagramms

Dreißig Euro bekommt Stefanie Stroebele für die Trainingsstunde, das reicht für einen Rostbraten und eine Schorle in der Vereinsgaststätte des TSV Birkach. Dort sitzt die Schauspielerin nun, Cora zu ihren Füßen, und erzählt, was die nahe Zukunft bringt. Zunächst ist sie als Großmutter in der Bühnenfassung der „Blechtrommel“ am Alten Schauspielhaus zu sehen. Im April geht sie mit dem Münchner Argon-Theater auf Tournee, zwölf Vorstellungen in einem Monat. Das Engagement hat sie vor längerer Zeit vereinbart, jetzt ärgert sie sich, weil es das erste Halbjahr 2016 für andere Projekte blockiert. Aber zugesagt ist zugesagt. Auf ihr Wort ist Verlass.

Womit das Gespräch wieder dort landet, wo es begann: bei Stefanie Stroebeles Charakter im Lichte des Enneagramms. Einser, erklärt sie, seien Menschen, die immer alles richtig machen wollen, weil sie meinen, dass sie nur dann die Liebe ihrer Umwelt verdienen. Um sich aus diesem Verhaltensmuster zu befreien, müssten sie lernen, Pflicht und Ordnung auch mal links liegen zu lassen und stattdessen zu lachen, zu feiern, zu genießen.

„Alles, was ich mache, mache ich mit vollem Einsatz“, sagt Stefanie Stroebele mehrmals an diesem Tag – ein typischer Satz für eine Einser-Persönlichkeit. Schafft sie sich einen Border Collie an, lässt sie sich gleich zur Hundetrainerin ausbilden. Stößt sie zufällig auf eine psychologisch-spirituelle Lehre, ist sie einige Monate später bereits eine ausgewiesene Enneagramm-Expertin. Was für andere ein netter Freizeitspaß oder ein bloßes Gedankenspiel ist, macht sie zu einer zusätzlichen Profession.

Hund auf der Wiese: ein morphisches Feld

Hypothetische Frage: Was würde sie tun, wenn sie sich für eine Tätigkeit entscheiden müsste? „Ich bin eine gute Komödiantin, aber die Hunde sind für meine persönliche Entwicklung wichtiger“, antwortet Stefanie Stroebele. „Im Kontakt mit einer anderen Spezies komme ich in einen Bereich des Existenziellen: Was können wir von dem Gegenüber lernen, und wie wollen wir miteinander umgehen?“

Auf dem Heimweg durchs Ramsbachtal, dem Degerlocher Hunde-Hotspot, begegnet Cora vielen Artgenossen, kleinen und großen, ängstlichen und forschen, temperamentvollen und lethargischen. Stefanie Stroebele erkennt in dem Gewusel ein „morphisches Feld“, das Muster eines biologischen und gesellschaftlichen Systems. „Sind Sie mit Ken Wilbers Integraler Philosophie vertraut?“, fragt sie. „Damit sollten Sie sich unbedingt mal beschäftigen.“

Auf der Wiese toben die Hunde. Sie brauchen keine Komödien. Sie verstehen nichts von Sozialtheorie und Persönlichkeitsentwicklung. Sie leben unbeschwert.

Persönlichkeitsanalyse, Hundetraining, Schauspielkunst

Psychologie:
Das Enneagramm steht für neun grundlegende Persönlichkeitstypen, jeder Mensch lässt sich einem dieser Charaktere zuordnen. Im Gespräch findet Stefanie Stroebele heraus, welchen Charakter ihr Gegenüber verkörpert. Wer seinen Typus kennt, kann die eigenen Denk-, Fühl- und Verhaltensmuster besser begreifen. Die Muster der anderen Menschen besser zu verstehen soll leichtere Begegnungen und weniger Konflikte bewirken.

Tiere
: Die Sprache des Hundes, die scheinbar im Gegensatz zur menschlichen Ausdrucksweise steht, zu analysieren und im Umgang mit dem Tier anzuwenden ist das Anliegen der Verhaltensbiologin Gudrun Feltmann. Stefanie Stroebele zählt zu den bundesweit 22 von Feltmann lizenzierten Tierlehrerinnen. Das Training beruht auf der Annahme, dass Hunde effektiv und artgerecht durch Zuwendung und soziale Anerkennung lernen.

Stefanie Stroebele bei den Proben zur „Blechtrommel“ Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Theater:
Die Schauspielerin Stefanie Stroebele steht regelmäßig auf Stuttgarter Theaterbühnen. So ist sie vom 18. September bis 24. Oktober im Alten Schauspielhaus als Großmutter in Günter Grass’ „Blechtrommel“ zu sehen.


Stefanie Stroebele beim Hundetraining im Ramsbachtal Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth