Ist nicht genau das die Hoffnung von Mutter und Tochter in diesem Kammerspiel?
Ja, denn ihr ständiges Reden ist nichts anderes als ein unaufhörliches Ringen um Wahrheit. Aber letztlich blicken beide Frauen dann doch mit unglaublicher Härte auf die Vergeblichkeit ihres Tuns. In ihrer Rolle als Tochter sagt Fritzi Haberlandt zu Corinna Harfouch, der Mutter: „Deine Worte gelten in deiner Wirklichkeit und meine Worte in meiner. Wenn wir anfangen, unsere Worte auszutauschen, werden sie sinnlos“ – dieser typisch analytische Bergman-Satz führt mit seiner Eiseskälte schnurstracks in die absolute Desillusion: Kommunikation als Tauschgeschäft, ohne jegliche Konsequenz im Handeln.
Unter Menschen ist also eine Verständigung im Grunde nicht möglich?
Sagen wir es so: Gespräche zwischen Menschen sind der lebenslängliche Versuch, einander zu verstehen. Man kennt die Gesprächssituationen der „Herbstsonate“ ja aus eigener Erfahrung: Die eine Wahrheit steht gegen die andere, dabei handelt es sich in beiden Fällen nur um subjektive Erinnerungen, die zu Sätzen geronnen sind und nun wie Ungetüme zwischen den Menschen stehen. Es gibt kein schlimmeres Gefühl, als von jemandem schuldig gesprochen zu werden, obwohl man zutiefst von seiner eigenen Unschuld überzeugt ist. Aber der Vorwurf ist da und mit nichts aus der Welt zu schaffen. In dieser existenziellen Fremdheit der Menschen liegt das abgrundtief Traurige der „Herbstsonate“.
Schlägt sich diese Fremdheit auch wieder in einem überraschenden Bühnenbild nieder, ähnlich wie in den „Szenen einer Ehe“?
Da beide Inszenierungen miteinander zu tun haben, wird auch in der „Herbstsonate“ tatsächlich wieder eine große Drehbühne zu sehen sein: Das Haus, das man sich als Kleinfamilie in aller Überschaubarkeit gebaut hat, wird sich abermals in einem labyrinthischen Gewirr der Räume auflösen. Und vielleicht können wir, ans Rätselhafte dieser Räume anknüpfend, mit Ausflügen ins Horror-Genre den Horizont des Stücks ausdehnen. Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, umspielt in seinem Essay „Über das Unheimliche“ auf originelle Weise sein Thema: Das Zuhause, das Heim, wird über das Heimelige zum Heimlichen. Es wird also, so Freud, etwas Verdrängtes darin verborgen, was schließlich als Unheimliches wiederkehrt: Nicht das Fremde, das von außen kommt, bedroht uns, sondern das uns innigst Vertraute. Darum wird unsere Inszenierung womöglich auch wieder von Gespenstern bevölkert sein . . .
Sind Sie denn sicher, dass die „Herbstsonate“ mehr wird als bloß das Remake Ihres letztjährigen Erfolgs, der „Szenen einer Ehe“ ?
Das hoffe ich doch sehr. Ganz andere Themen, ganz andere Schauspieler: Haberlandt und Harfouch bilden das Duo im Zentrum des Stücks, in dem noch Natalia Belitski und Andreas Leupold in sehr wichtigen Nebenrollen mitspielen. Und ich hoffe, dass wir aus der „Herbstsonate“ auch noch eine düstere Groteske rauskitzeln können: Hinter der obsessiven Überspitztheit der Selbst- und Fremdwahrnehmung von Mutter und Tochter liegt auch eine grässliche Komik, die sehr anders aussehen wird als in den „Szenen einer Ehe“.
Trotzdem eine weitere Parallele: Beide Stücke waren ursprünglich Filme  . . .
. . . aber mit Dialogen, die derart sensationell sind, dass sie sich bestens zur Adaption für die Bühne eignen. „Im Sommer drehe ich Filme, im Winter mache ich Theater“, hat Bergman gesagt. Und dieses Arbeitsprogramm hat er eisern durchgezogen. Der Output dieses Mannes, der eben auch ein absoluter Theatermann war, ist heute kaum noch vorstellbar.