Jan Bosse gehört zu den erfolgreichsten Theaterregisseuren der Republik. Trotzdem will er nicht zur „Cashcow des Systems“ werden. Am Samstag zeigt er im Stuttgarter Schauspielhaus die „Herbstsonate“ von Ingmar Bergman mit Corinna Harfouch und Fritzi Haberlandt.

Stuttgart – - Er ist einer der begehrtesten, aber auch zögerlichsten und nachdenklichsten Regisseure unserer Tage. Während andere Kollegen ihre Inszenierungen mit hoher Schlagzahl herausbringen, legt er zwischen seinen Projekten immer eine Orientierungspause ein. „Ich will mich nicht vom Theater verschlucken lassen“, sagt der 45-jährige Jan Bosse, der im Stuttgarter Schauspiel derzeit mit zwei Arbeiten vertreten ist, mit Kleist „Zerbrochnem Krug“ und mit „Szenen einer Ehe“ nach Ingmar Bergman. Am Samstag folgt, ebenfalls nach Bergman, die dritte: „Herbstsonate“ mit Corinna Harfouch und Fritzi Haberlandt als Mutter und Tochter.
Herr Bosse, die vor einem Jahr herausgekommenen „Szenen einer Ehe“ sind zum Publikumsrenner geworden. Sind Sie von diesem Erfolg so berauscht, dass Sie jetzt den zweiten Bergman nachlegen?
Ich habe damals zumindest Blut geleckt. Während der Arbeit an den „Szenen einer Ehe“ merkte ich, dass mich der düstere Bergman-Kosmos stärker fasziniert, als ich zuvor erwartet hatte. Zeitgleich kam von Fritzi Haberlandt der Vorschlag, die „Herbstsonate“ zu inszenieren. Gedankenübertragung – und fertig war das Projekt.
Was fesselt Sie denn am Kosmos von Ingmar Bergman?
Die Art, wie er mittels privater Konstellationen immer auch viel über die Gesellschaft erzählt, reizt mich sehr. In den „Szenen einer Ehe“ untersucht Bergman die Keimzelle der Gesellschaft, die Mann-Frau-Beziehung, in der „Herbstsonate“ das Mutter-Tochter-Verhältnis – er dringt hier also noch tiefer ins intim Innerfamiliäre ein und wirft dabei doch wieder Schlaglichter auf die Gesamtgesellschaft, nämlich auf die gravierende Beschädigung der Menschen, die darin leben.
Wie stellen Sie diese Ausweitung des Themas in der „Herbstsonate“ her?
Wenn die Inszenierung gelingt, wird sie mehr als nur die schreckliche Auseinandersetzung irgendeiner schrecklichen Mutter mit ihrer schrecklichen Tochter zeigen. Sie weist dann über das Privatpsychologische hinaus, auch wenn damit natürlich alles anfängt: Nach sieben märchenhaft symbolischen Jahren der Trennung treffen beide Frauen zum ersten Mal wieder zusammen. Im Laufe einer Nacht hauen sie sich ihre Lebenslügen derart um die Ohren, dass wirklich nichts mehr übrig bleibt. Und Liebe existiert nicht. Das Stück zeigt die Entfremdung unter den Menschen und ist durch und durch fatalistisch – es sei denn, man glaubt an die utopische Kraft der Kommunikation: Wenn man ein Problem ausspricht, hat man es schon halb gelöst.