Der frühere VfB-Profi Thomas Hitzlsperger spricht darüber, warum es mit seiner Einbindung in den Aufsichtsrat nicht geklappt hat – und über die aktuell handelnden Personen im Club.

Stuttgart - In dieser Woche hatte Thomas Hitzlsperger (33) die Handwerker im Haus. Deshalb war er ziemlich im Stress. Aber für dieses Interview nahm er sich dann Zeit, um ausführlich über die Lage beim VfB Stuttgart zu sprechen.

 
Herr Hitzlsperger, seit Ihrem Karriereende vor zwei Jahren sind Sie auch im Sportjournalismus tätig – beispielsweise mit einer regelmäßigen Bundesliga-Kolumne beim Bayerischen Rundfunk. Würde Ihnen da jetzt eine passende Überschrift zum bisherigen Saisonverlauf beim VfB einfallen?
Ich mache die Überschriften dort nicht selber. Dafür haben wir Fachleute. Ich schreibe nur die Texte und versuche, die Dinge in einen größeren Zusammenhang zu stellen und zu erklären.
Was würden Sie sagen, wenn Ihr Expertenteam als VfB-Schlagzeile „Pleiten, Pech und Pannen“ vorschlagen würde?
Pech ist natürlich schon auch mit dabei, wenn man sieht, wie viele Chancen die Mannschaft zuletzt vergeben hat. Aber das erklärt nicht alles, denn es zeugt auch von mangelnder Qualität. Auch da muss man den Hebel ansetzen.
Und was ist mit den Pleiten und Pannen?
Das geht mir alles zu schnell. Es sind doch erst acht Spiele absolviert, da muss man noch abwarten mit einem Urteil.
Ein bisschen einordnen kann man diese acht Partien aber schon?
Klar ist, dass sich der Saisonverlauf nicht mit den Eindrücken aus der Vorbereitungsphase deckt. Bevor die Liga losgegangen ist, herrschte beim VfB ja eine Menge Euphorie – erst recht nach dem 4:2-Sieg im letzten Testspiel gegen Manchester City. Aber als es dann um Punkte ging, folgten Niederlagen mit all ihren unangenehmen Begleiterscheinungen. Das hat viele Kritiker auf den Plan gerufen – und angesichts der Bilanz ist Kritik auch nachvollziehbar.
Überspitzt formuliert könnte es heißen, dass der VfB momentan nur vier Probleme hat – ein Torwartproblem, ein Abwehrproblem, ein Mittelfeldproblem und ein Sturmproblem. Wie sehen Sie das?
Anfangs war zu spüren, dass Alexander Zorniger neuen Schwung gebracht hat. Die Spieler schienen mit der Art, wie er Fußball spielen will, gut zurechtzukommen. Alle haben fest daran geglaubt, dass das funktioniert und dass sich so auch die nötigen Erfolge einstellen werden.
Und wie ist es heute?
Bekanntlich hat es zuletzt viele Veränderungen im Verein gegeben. Die Bereitschaft zu einer Kurskorrektur war auf den verschiedenen Ebenen vorhanden. Das war positiv. Und die Neuorientierung hat ja auch gut geklappt. Aber damit einhergegangen ist auf allen Ebenen auch die Hoffnung, dass diese Veränderungen sofort Erfolg bringen. Das war ein Trugschluss. Jetzt sind viele enttäuscht.
Was folgt daraus?
Es wird sich zeigen, wie lange der VfB an seiner Linie festhalten kann – und damit meine ich nicht in erster Linie an einzelnen Personen wie dem Trainer. Vielmehr lautet die Frage für mich, ob es beispielsweise das Spielsystem betreffend einen Plan B gibt, weil man ja von Plan A total überzeugt war. Aber vielleicht muss der Trainer da etwas ändern, denn inzwischen weiß fast jeder in der Liga, wie der VfB auftritt. Das Spiel der Mannschaft ist berechenbar.
Der Sportvorstand Robin Dutt hat Zorniger selbst im Fall einer Niederlage an diesem Sonntag gegen Ingolstadt eine Jobgarantie gegeben. Warum war das in dieser Situation die richtige Ansage?
Robin Dutt hat diesbezüglich im Frühjahr gute Erfahrungen mit Huub Stevens gemacht. Ich glaube, das ist jetzt der Grund dafür, dass er entgegen anderer Stimmen in der Öffentlichkeit an Alexander Zorniger festhält. Denn nach wenigen Monaten bereits wieder alles über den Haufen werfen – das hat der VfB in der Vergangenheit schon öfter gemacht und das will jetzt eigentlich keiner mehr. Stattdessen will man Konstanz. Aber entscheidend ist nun mal, was unten auf dem Platz passiert.
War es dann auch richtig, dass der Präsident Bernd Wahler am Sonntag auf der Mitgliederversammlung – also in einem öffentlichen Rahmen – seinem Trainer vorgeworfen hat, verbal zuletzt ein paar Mal über das Ziel hinausgeschossen zu sein?
Es ist doch klar, dass man sich nach diesem Saisonstart nicht in den Armen liegt. Da muss offensichtlich etwas falsch gelaufen sein, sonst wäre der VfB jetzt nicht Tabellenletzter. In dieser Situation ist es das Recht eines Präsidenten, einzuschreiten. Alexander Zorniger ist ein erfahrener Trainer, aber eben nicht in der Bundesliga. Auf dieser Ebene muss man genau aufpassen, was man sagt. Da muss man dann auf jedes Wort achten.
Zorniger hat einige Spieler öffentlich kritisiert. Wie riskant ist das?
Das ist auf jeden Fall ein schmaler Grat. Natürlich steht ihm das zu, aber er muss wissen, wie seine Spieler gerade ticken und welche Ansprache sie brauchen.
Vor der Mitgliederversammlung hat die Vereinsführung mit Ihnen gesprochen – mit dem Ziel, Sie in den Aufsichtsrat einzubinden. Warum ist das nicht gelungen?
Weil ich meine berufliche Zukunft schon anders geregelt hatte. Deshalb hätte ich nicht genügend Zeit gehabt für ein Mandat im Aufsichtsrat. Denn wenn ich so einen Posten annehme, will ich das vernünftig und gut machen.
Was wäre denn Ihre Aufgabe gewesen?
In erster Linie sollte ich meine Fußballkompetenz einbringen. Ich bin immer noch nah dran an diesem Geschäft.
Sollte Sie der VfB vor der nächsten Mitgliederversammlung im Juni 2016 noch einmal bitten, ein Amt im Aufsichtsrat zu übernehmen – würden Sie dann wieder ablehnen?
Das weiß ich heute noch nicht. Bis Sommer bin ich aber definitiv ausgelastet. Für die Zeit danach will ich jedoch nichts ausschließen. Denn ich bin dem VfB nach wie vor sehr verbunden.
Dieser VfB gehörte von 1977 ist 2010 fast ständig zur Spitze in der Liga. Seitdem kämpft er gegen den Abstieg. Was hat sich verändert?
Die kleineren Vereine haben sich verbessert. Das heißt, dass gute Spieler heute nicht mehr zwangsläufig zu den großen Clubs gehen, sondern auch nach Augsburg, Hoffenheim oder Mainz, wenn sie glauben, dass das förderlich für ihre Karriere ist. Da denken die Spieler heute viel pragmatischer als früher.
Nur die Spieler?
Nein, auch die Trainer betrachten einen kleineren Verein inzwischen häufig als Sprungbrett. Beispiele dafür sind Markus Weinzierl, André Breitenreiter oder Thomas Tuchel. Sie haben dort ein ruhiges Umfeld mit weniger Erwartungen seitens Fans und Presse. Den Verein verlassen sie erst dann, wenn ein Kandidat für die Champions League anfragt.
Der VfB hat den Anschluss an die Königsklasse verpasst. Um ihn vielleicht wiederherzustellen und mehr Geld einzunehmen, will er seine Profiabteilung ausgliedern. Ist das ein probates Mittel?
Das wäre eine gute Möglichkeit, aber es gibt auch Risiken. Und die kleinen Clubs zeigen, wie man auch aus wenig etwas machen kann – teilweise mit relativ bescheidenen finanziellen Mitteln.
Haben Sie noch eine andere Idee als die Ausgliederung, um an frisches Geld zu kommen?
Es geht immer auch um die Förderung von Talenten, was der VfB lange gut gemacht hat. Damit verbunden ist aber die Frage, ob der VfB jetzt ein Ausbildungsverein sein will. Das kratzt vielleicht am Selbstverständnis in und im Umfeld des Vereins. Viele Leute wollen eigentlich noch immer im Konzert der Großen mitmischen und kein Zulieferbetrieb sein.
Wie sehen Sie die Perspektiven des VfB bis zur Winterpause?
Ich befürchte, dass die Mannschaft nicht ganz schnell da unten rauskommen wird. Aber grundsätzlich finde ich es gut, die Ruhe zu bewahren – auch wenn man sich intern sicher eine Frist setzt, um ein Fazit zu ziehen. Vielleicht wäre die Winterpause dafür der geeignete Zeitpunkt.
Und welche Überschrift über einen VfB-Artikel würden Sie sich von Ihrem Expertenteam nach dem Saisonfinale am 14. Mai 2016 wünschen?
Geduld macht sich bezahlt.