Tom Rob Smiths Bestseller „Kind 44“ hat von einem Diener des Sowjetreichs erzählt, der in Konflikt mit dem System gerät. Die Verfilmung mit Tom Hardy ist düster, aber sehr fahrig geraten. Putins Lakaien reagieren trotzdem mit Aufführungsverbot.

Stuttgart - Leo Demidow (Tom Hardy) hat es in der UdSSR der frühen fünfziger Jahre vom ukrainischen Waisenkind zum Kriegshelden und versierten Geheimdienst-Ermittler gebracht. Unnachgiebig spürt er die Feinde des Sozialismus auf, aber vor der Paranoia des Stalinismus ist auch er nicht sicher. Als seine Frau Raisa (Noomi Rapace) ins Visier gerät, soll ausgerechnet Leo sie auf Befehl seines Vorgesetzten (Vincent Cassell) überführen und denunzieren. Aber Leo verweigert den ehelichen Verrat genauso wie die Vertuschung eines Kindermordes, der möglicherweise das Werk eines Serientäters war – und wird vom Verfolger zum Verfolgten des Regimes.

 

Als Kreuzung zwischen der historisch-epischen Breite eines „Dr. Schiwago“ und dem Nervenkitzel eines modernen Serienkiller-Thrillers hat Tom Rob Smith seinen Bestseller-Roman „Kind 44“ angelegt – eine durchaus gewagte Verbindung, die in einer filmischen Adaption schwer zu bändigen ist. Der Regisseur Daniel Espinosa („Safe House“) scheitert an der Aufgabe, das vielschichtige Handlungsgefüge in eine schlüssige Filmdramaturgie zu übersetzen.

Im komprimierten Kinoformat versandet so mancher vielversprechende Subplot im Nichts, bleiben die meisten Gefühle nur behauptet, verkümmern psychologische wie politische Implikationen zu oberflächlichen Andeutungen. Dabei ist die Wandlung des Protagonisten vom willigen Diener des totalitären Systems zum verfolgten Verbrechensbekämpfer mit moralischem Gewissen eine durchaus interessante Figurenentwicklung, gerade weil sie sich hier eher aus unterbewussten Impulsen denn aus plakativen Schlüsselerlebnissen speist.

Aber unter Espinosas fahriger Regie eröffnen sich selbst für einen Mann wie Tom Hardy („Mad Max: Fury Road“) zu wenig Handlungsspielräume. Allzu bruchlos schließt sich Espinosa in der düsteren Opulenz, mit der die Sowjetunion der fünfziger Jahre in Szene gesetzt wird, den Genretraditionen des Spionagethrillers der Kalten-Kriegs-Ära an. Das rechtfertigt natürlich noch lange nicht das Aufführungsverbot, das das russische Kulturministerium über „Kind 44“ verhängt hat. In einer Medienkampagne wurden dem Film russophobische Tendenzen unterstellt.

Die Überempfindlichkeit dürfte sich jedoch auch aus anderen Quellen speisen: In der Rahmenhandlung des Films wird auf den sogenannten „Holodomor“ verwiesen – eine Hungersnot, die Anfang der dreißiger Jahre Millionen Menschen in der Ukraine das Leben kostete und heute von der dortigen Regierung als gezielter Völkermord des Stalin-Regimes angesehen wird. Auf solche historischen Verweise reagiert man in Moskau angesichts der aktuellen Konfliktsituation äußerst pikiert, schießt medienwirksam mit Kanonen auf Spatzen – und beschwört gerade dadurch Vergleiche zwischen stalinistischer und putinesker Paranoia hervor.

Kind 44. USA 2014. Regie: Daniel Espinosa. Mit Tom Hardy, Noomi Rapace, Gary Oldman. 138 Minuten. Ab 16 Jahren.