Weil es in afrikanischen Wäldern nur wenige Berggorillas gibt, bleibt dort Inzucht nicht aus. Doch genetische Analysen zeigen, dass das kein Schaden ist. Eine Gefahr für die großen Menschenaffen ist hingegen der Mensch.

Stuttgart - Entspannt sitzt der Berggorilla im Regenwald an den Hängen der Virunga-Vulkane im Herzen Afrikas und kaut sichtlich zufrieden seine Blättermahlzeit. Auch die Familie des vielleicht 200 Kilogramm schweren Silberrückens lässt sich von der Handvoll Naturtouristen nicht stören, die nur ein paar Meter entfernt an den Auslösern ihrer Kameras hantieren. Schließlich treffen auch die Zweibeiner nicht alle Tage die extrem seltenen Vertreter ihrer Verwandtschaft unter den Menschenaffen: Berggorillas und alle drei anderen Gorilla-Unterarten werden von der Welt-Naturschutzorganisation IUCN als „vom Aussterben bedroht“ eingestuft.

 

Für die sanften Riesen aber gibt es durchaus Hoffnung auf ein Weiterleben. So ist der Naturtourismus in der Heimat der Berggorillas inzwischen ein zentraler Wirtschaftsfaktor – einen solchen Devisengaranten setzt niemand leichtfertig aufs Spiel. Und auch im Erbgut der Menschenaffen sehen Chris Tylor-Smith vom Wellcome Trust Sanger Institute im britischen Hinxton, Aylwyn Scally von der Universität Cambridge und ihre Kollegen einen Hoffnungsschimmer, berichten sie im Wissenschaftsmagazin „Science“.

Dabei hatten sich Naturschützer wie Christof Schenck von der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt gerade wegen des Erbguts der Berggorillas Sorgen gemacht. „Von dieser Unterart gibt es ja gerade noch 800 Tiere, die sich auf mehrere Gruppen aufteilen, die untereinander kaum noch Kontakt haben“, fasst der Zoologe die Situation zusammen. Bei so wenigen Tieren lässt sich Inzucht kaum vermeiden, und nahe Verwandte paaren sich. Während in großen Gruppen von Tieren das Erbgut der Individuen vielfältig ist, wird das Genom bei kleinen Populationen einheitlicher. Ist die Vielfalt groß, werden ein paar Tiere vermutlich mit einer neu auftretenden Krankheit oder einer raschen Änderung ihrer Umwelt zurechtkommen und so der Art das Überleben sichern. Sinkt die Vielfalt im Erbgut, steigt also das Aussterberisiko.

Berggorillas waren schon früher selten

Als Chris Tylor-Smith und seine Kollegen jetzt das Erbgut von sieben Berggorillas von den Virunga-Vulkanen und sechs Grauer-Gorillas aus dem benachbarten Kongo-Regenwald genau analysierten, fanden sie dort erwartungsgemäß eine geringere Vielfalt als bei den weiter im Westen Zentralafrikas lebenden und viel häufigeren Flachlandgorillas. Außerdem entdeckten sie im Genom der im Herzen Afrikas lebenden Gorillas Spuren von Inzucht.

Bei den Berggorillas waren Paarungen unter nahen Verwandten sogar häufiger als bei den Neandertalern. Bei diesen wiederum hatten Kay Prüfer vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und seine Kollegen im vergangenen Jahr festgestellt, dass die Eltern eines Individuums miteinander so nahe verwandt wie Halbgeschwister waren.

„Aus dem Erbgut konnten wir auch ermitteln, dass mehrere Zehntausend Jahre lang nur sehr wenige Neandertaler Nachkommen hinterließen“, schildert Kay Prüfer diese Ergebnisse. Bei den Berggorillas ist die Situation ähnlich: In den letzten hunderttausend Jahren lebten von dieser Unterart anscheinend die meiste Zeit nur relativ wenige Tiere. In jüngerer Zeit haben dann laut Statistik nur 273 Gorillas ihr Erbgut weitergegeben. Viele Berggorillas haben keine eigenen Nachkommen.

Problematische Mutationen verschwinden wieder

Das Erbgut der Gorillas im Herzen Afrikas zeigt auch, dass sich die Tiere dort bereits vor mindestens 150 000 Jahren von ihrer Verwandtschaft weiter im Westen getrennt haben. Trotzdem aber kam es danach wohl noch in Einzelfällen zu Paarungen zwischen Ost- und West-Gorillas, zeigen Feinanalysen des Genoms. Vor 20 000 Jahren war aber auch damit Schluss. Damals erreichte im Norden gerade die letzte Eiszeit ihren Höhepunkt. Dadurch wurde in großen Teilen des Kongobeckens wohl der Regenwald durch eine trockenere Savanne ersetzt, welche die beiden auf Wald angewiesenen Gorilla-Populationen in Ost und West endgültig voneinander trennte.

In kleinen Populationen mit viel Inzucht häufen sich normalerweise problematische Veränderungen im Erbgut. Viele solcher riskanten Mutationen aber verschwinden aus dem Genom der Berggorillas wieder, stellen Chris Tylor-Smith und seine Kollegen fest. Offensichtlich passt sich die Population also an eine langfristig niedrige Bevölkerung an und überlebt damit die häufige Inzucht. „Ähnliches erwartet man auch bei den Neandertalern“, ergänzt Kay Prüfer.

Kleine Populationen und häufige Inzucht können Tierarten offenbar überstehen. Erst wenn noch weitere Faktoren dazu kommen, droht das Aussterben. Bei den Gorillas heißt dieser Faktor „Mensch“. Und der muss nicht einmal die Tiere direkt ausrotten, oft genügt bereits seine Anwesenheit. Um die Virunga-Vulkane herum aber leben viele Menschen: „Dort bringen die nährstoffreichen Vulkanböden gute Ernten“, sagt Christof Schenck. Daher leben dort auf jedem Quadratkilometer ähnlich wie in den mitteleuropäischen Ballungsgebieten 400 oder 500 Menschen. Die Wälder sind auf großen Flächen abgeholzt, und die Gorillas wurden auf die schroffen Vulkanhänge zurückgedrängt, an denen man kaum Äcker anlegen kann.

Die Wälder, in denen die Affen leben, werden abgeholzt

Dort gibt es zwar seit 1925 den ältesten Nationalpark Afrikas, aus dem mit der Selbstständigkeit der Länder Kongo, Ruanda und Uganda drei Reservate wurden, ganz sicher sind die Gorillas dort aber trotzdem nicht. So brauchen die Menschen in der Umgebung Brennmaterial und holen daher Holz aus den Reservaten, um daraus Holzkohle herzustellen, auf der sie Essen kochen. Wird der Wald abgeholzt, verlieren aber nicht nur die letzten Berggorillas ihre Heimat. Auch die große Artenvielfalt der Regenwälder leidet, die von 800 bis mehr als 4000 Meter über dem Meeresspiegel wachsen. „Allein in den Virunga-Bergen leben 32 Amphibien-, 30 Vogel- und 25 Säugetier-Arten, die nur dort und nirgends sonst auf der Welt vorkommen“, erklärt Christof Schenck. Daher unterrichtet die Zoologische Gesellschaft Frankfurt gemeinsam mit anderen Organisationen die für die Holzbeschaffung normalerweise zuständigen Frauen der Region über andere Brennstoffe: In einfach hergestellten Pressen können sie Abfälle aus dem Garten und von den Feldern zu Briketts formen, die ähnlich gut wie Holzkohle brennen.

Mit solchen Techniken für nachhaltige Energie, den reichen Ackerböden, den wertvollen Bodenschätzen von Gold und Diamanten bis hin zum für die Mikroelektronik benötigten Coltan und der sprudelnde Devisenquelle des Gorilla-Tourismus könnten die Menschen in der Umgebung der Virunga-Vulkane daher wie im Paradies leben. „Tatsächlich aber haben sie eher die Hölle“, sagt Christof Schenck und schüttelt nachdenklich den Kopf: Seit dem Völkermord 1994 in Ruanda und Burundi flackern in der Region ganz im Osten des Kongo immer wieder Kämpfe auf, bewaffnete Banden drangsalieren das Land und vor allem die Menschen dort.

Wie auf Inseln leben die letzten Berggorillas inmitten dieser gefährlichen Umwelt. Die Natur gibt ihnen immer noch die Chance zum Überleben. Zumindest, wenn die Menschen die Reservate weiter respektieren – so wie sie es bisher meist getan haben.

Die vier Unterarten der Gorillas

Evolution
Gorillas entwickeln sich seit mehr als acht Millionen Jahren getrennt von Schimpansen, Bonobos und Menschen. Sie haben sich längst in zwei Arten aufgespalten: den Westlichen Gorilla (Gorilla gorilla) und den Östlichen Gorilla (Gorilla beringei), die mehr als tausend Kilometer auseinander leben. Jede dieser Arten hat sich dann später in zwei Unterarten aufgespalten.

Westlicher Gorilla
Der Flachlandgorilla im Westen Zentralafrikas war 1996 mit vielleicht 95 000 Tieren die häufigste Unterart. Allerdings haben Ebola-Epidemien und die Jagd auf Bushmeat die Bestände seither zusammenbrechen lassen. Der nächste Verwandte ist der Cross-River-Gorilla, der an der Grenze zwischen Nigeria und Kamerun lebt. Von dieser Unterart gibt es noch 300 Tiere.

Östlicher Gorilla
Diese Art hat mit den Berggorillas in der Demokratischen Republik Kongo, in Uganda und Ruanda sowie mit dem auch als Grauer-Gorilla bekannten Östlichen Flachlandgorilla im Osten der Demokratischen Republik Kongo zwei Unterarten. Der Bestand der Berggorillas stieg trotz Krieg dank Schutzmaßnahmen in den letzten Jahren ein wenig auf heute rund 800 Tiere an.