Von Jahr zu Jahr fallen mehr Nashörner dem illegalen Handel mit ihren Hörnern zum Opfer. Südafrikanische Tierärzte haben eine Methode gefunden, die Nashörner von ihren begehrten Hörnern dauerhaft zu befreien, um ihr Leben zu schützen.

Stuttgart - Eigentlich ist Gerhard Steenkamp mit dem Gebiss eines narkotisierten Wildhunds beschäftigt. Der Tierarzt von der Tiermedizinischen Fakultät der Universität im südafrikanischen Pretoria zeigt seinen Studenten, wie die maroden Zähne des betagten Tiers aus dem benachbarten Zoo am besten behandelt werden. Das hält ihn jedoch nicht ab, zwischen der professionellen Zahnreinigung über ein Projekt zu berichten, das ihm besonders am Herzen liegt: den Schutz der heimischen Nashörner. Die hoch bedrohten Tiere werden nämlich immer häufiger das Opfer von Wilderern. Manchmal überleben sie die Attacken: Seit 2012 hat Steenkamp mehr als 60 verletzten Rhinozerossen mit seiner tierärztlichen Kunst geholfen, wieder auf die Beine zu kommen.

 

Um die Tiere vor ihren gnadenlosen menschlichen Verfolgern zu schützen, wird vielen Nashörner vorsorglich das Horn abgesägt – und zwar sowohl freilebenden Tieren als auch Nashörnern, die auf Wildfarmen sozusagen in Halbfreiheit leben. Nicht nur in Südafrika, auch in anderen Ländern wie dem benachbarten Simbabwe greifen sogar die Wildhüter in Nationalparks zu dieser drastischen Maßnahme, um die Dickhäuter zu schützen. Allerdings hilft das Absägen nur begrenzt: Wie Fingernägel wächst auch das Nashorn stetig nach. Und bei Schwarzmarktpreisen von 60 000 oder gar 65 000 Dollar je Kilo Horn ist für die Wilderer die Gewinnspanne offenbar groß genug, um ein Tier selbst wegen eines kleinen Hornstummels abzuschießen.

Daher hat Steenkamp eine Operationsmethode entwickelt, um auch die Wachstumszone des Horns zu entfernen und so dem Tier dauerhaft seine Attraktivität für Wilderer zu nehmen. Noch ist die Methode nicht offiziell zugelassen, aber Steenkamp ist optimistisch, dass dies bald geschehen wird. Denn die Zeit läuft den Nashornschützern davon – nach einer vorübergehenden Verbesserung der Situation steigen die Verluste inzwischen wieder rapide an.

Mehr als tausend Nashörner in einem Jahr gewildert

So wurden im vergangenen Jahr in Südafrika mehr als tausend Nashörner gewildert, 2011 waren es knapp 450. „Vietnam ist der Hauptabnehmer“, sagt Steenkamp. Und seine Stimme wird noch eine Spur bitterer, als er anfügt: „Die Reichen dort leisten sich das Horn als Statussymbol.“

Zu Pulver zerrieben soll es nicht nur erotisierend wirken und die sexuelle Leistungsfähigkeit steigern, sondern gegen alle mögliche Leiden helfen, etwa gegen Fieber oder allgemein „interne Hitze im Blut“, wie die Wildtierschutzorganisation Traffic in einer im Jahr 2012 veröffentlichten Studie berichtet. Zudem soll Nashornpulver nach exzessivem Alkoholgenuss und einem opulenten Essen vor den unangenehmen Folgen der Völlerei schützen – für die aufstrebende Klasse der jungen reichen Elite ein wichtiger Anreiz. Erschwerend kommt hinzu, dass Nashornpulver nach der Überzeugung vietnamesischer Mediziner gegen Krebs helfen soll.

Auch wenn offiziell der Handel mit Nashornprodukten in Vietnam verboten ist, so blüht doch der Schwarzmarkt. Und nachdem das letzte dort lebende Java-Nashorn im Jahr 2010 ohne Horn tot aufgefunden wurde, ist in den vergangenen Jahren der Druck gewachsen, den Markt mit südafrikanischen Nashörnern zu beliefern – schließlich leben dort weltweit mit großem Abstand die meisten Rhinozerosse (siehe Infokasten). Die Methoden der Wilderer sind dabei immer perfider geworden. Die gut organisierten Banden verfügen über Flugzeuge, bringen die Tiere lautlos mit Betäubungspfeilen zur Strecke und entfernen das Horn, ohne dass Parkwächter oder private Wildtierbesitzer darauf aufmerksam werden, berichten Kenner der Szene. Dabei erleiden die Tiere meist so schlimme Verletzungen, dass sie auf der Strecke bleiben. Im Falle des besonders gefährdeten Krüger-Nationalparks kommen die Wilderer oft über die offene Grenze aus dem benachbarten Mosambique und verschwinden mit der Beute auch wieder dorthin. Ob sie dort wegen ihrer Taten verfolgt werden? Davon habe man noch nie etwas gehört, klagen die Nashornschützer.

„Es ist so traurig“, sagt Steenkamps Kollegin Cindy Harper. Doch resignieren will die Wissenschaftlerin, die das genetische Labor der Veterinärmedizinischen Fakultät leitet, keineswegs. Sie ist fest entschlossen, der Wilderei etwas entgegenzusetzen: eine Datenbank namens eRhoDIS. Diese besteht aus DNA-Proben, mit denen die Tierärzte jedem, der mit dem Tod von Rhinozerossen und dem illegalen Handel von Nashornprodukten zu tun hat, dies nachweisen kann. „Inzwischen haben wir rund 500 Menschen geschult, damit sie vor Ort Proben nehmen können“, berichtet Harper. Tierärzte, Parkwächter und Privatpersonen können so bei einem betäubten Tier das Horn anbohren, Haare entfernen oder Gewebe entnehmen. Aus den Proben wird im Labor das genetische Profil des entsprechenden Tieres erstellt. Auch bei gewilderten Rhinozerossen wird das Genprofil gesichert. So lässt sich bei einem sichergestellten Horn klar nachweisen, zu welchem Tier es gehört hat – und ob dieses gewildert wurde. Dies war zum Beispiel bei einem in Singapur beschlagnahmten Horn der Fall: Das Tier wurde neun Tage zuvor gewildert.

Mit DNA-Proben sollen die Wilderer überführt werden

Immer wieder müssen Cindy Harper und ihre Kollegen bei Gerichtsverhandlungen gegen Wilderer aussagen und bezeugen, dass die belastenden DNA-Proben ordnungsgemäß genommen und wissenschaftlich exakt verarbeitet wurden. Derzeit befinden sich Proben von mehr als 14 000 Tieren in ihrer Datenbank, auch rund 3000 Proben von gewilderten Tieren gehören dazu. Und es wartet noch viel Arbeit auf die Gendetektive: Auch blutbefleckte Messer und Kleider von mutmaßlichen Wilderern müssen untersucht werden, um gerichtsfest nachzuweisen, zu welchem Tier das Blut gehört.

Die Frage bleibt, ob sich angesichts der anhaltenden Nachfrage und der deshalb stetig steigenden Nashorntötungen der ganze Aufwand lohnt. „Ich denke, es ist ein Prozess, der sich entwickelt“, meint Cindy Harper und fügt an: „Wir klären die Leute auf, wie wertvoll die Tiere und ihre Hörner sind.“ Zudem erhöhe jedes Gerichtsverfahren um illegale Tötungen von Nashörnern die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit – und das erzeuge wiederum mehr Druck auf Abnehmerländer wie China oder Vietnam, sich um das Problem zu kümmern. Für den Schutz der vom Aussterben bedrohter Nashörner jedenfalls wird es höchste Zeit.

Das Nashorn – eine weltweit bedrohte Tierart

Rhinozeros
Weltweit gibt es fünf lebende Nashornarten: in Afrika das Breitmaulnashorn (white rhino) und das Spitzmaulnashorn (black rhino), in Indien und Nepal das Panzernashorn sowie in Südostasien das Java- und das Sumatra-Nashorn. Hinzu kommen mehrere Unterarten, zum Beispiel in Afrika das Südliche und das Nördliche Breitmaulnashorn. Die Tiere sind reine Pflanzenfresser.

Bedrohung
Alle Nashornarten sind bedroht. Noch am besten geht es heute dem Südlichen Breitmaulnashorn, dessen Bestand im südlichen Afrika 2012 auf etwa 20 500 Tiere geschätzt wurde. Von den anderen Arten gibt es weitaus weniger Tiere. So starb laut der Umweltstiftung WWF 2014 in Kenia das wahrscheinlich weltweit vorletzte fortpflanzungsfähige Männchen des Nördlichen Breitmaulnashorns. Damit gibt es nur noch sechs Tiere dieser Unterart.

Südafrika
Das Land beherbergt laut einem 2012 von der Wildtierschutzorganisation Traffic veröffentlichten Studie rund drei Viertel aller wild lebenden Nashörner der Welt. Wichtig ist dabei auch die private Haltung in Tierfarmen: Sie beherbergen rund 22 Prozent der Spitzmaulnashörner.

Nashorn
Das weltweit begehrte Horn besteht aus demselben Eiweiß wie Haare und Nägel, nämlich Keratin. Es wächst zeitlebens nach. Eine heilende Wirkung konnte bisher nicht nachgewiesen werden, betonen Tierschützer.