Zehn Jahre nach der Entdeckung des ersten Falles ist BSE in Deutschland kein Thema mehr. Laut Foodwatch hat BSE Gammelfleisch die Tür geöffnet.

Stuttgart - Der Vertrauensverlust war das Schlimmste: Wem sollte man glauben, was durfte man noch essen, waren gar lebensnotwendige Medikamente verseucht? Vor zehn Jahren stürzte die Tierseuche mit dem wenig vertrauenserweckenden Namen Rinderwahnsinn Verbraucher, Bauern und Lebensmittelindustrie in eine tiefe Krise. Keiner wusste so richtig Bescheid, als am 24. November 2000 bei dem Landwirt Peter Lorenzen im schleswig-holsteinischen Dorf Hörsten das erste infizierte Rind in Deutschland entdeckt wurde. Die Folgen sind bekannt: Alle Rinder des Hofes mussten getötet werden - wie später auf vielen anderen Höfen auch.

Die Tierseuche BSE (Bovine Spongiforme Enzephalopathie) hatte, von Großbritannien kommend, die Bundesrepublik erreicht. Weil es auch eine menschliche Form dieses Hirnleidens, die sogenannte Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJD) gibt, fürchteten sich viele Menschen vor einer Ansteckung. Das Rindfleisch blieb im Kühlregal liegen. Es nützte auch nichts, dass ein britischer Landwirtschaftsminister vor versammelter Presse zusammen mit seiner vierjährigen Tochter öffentlich in einen deftigen Rindfleisch-Hamburger biss.

Die Situation heute


Es ist glimpflich ausgegangen. Nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums in Berlin gelang es, BSE einzudämmen. In den vergangenen zehn Jahren wurden in Deutschland mehr als 20 Millionen Rinder auf BSE untersucht. 406 infizierte Tiere wurden entdeckt. In den Jahren 2008 und 2009 gab es je zwei Fälle, 2010 bisher keinen. Diesen Erfolg führen Experten auf umfangreiche Kontrollen zurück. Es gab Massenschlachtungen. Risikogewebe - dazu zählen Hirn, Augen und Rückenmark - muss beim Schlachten vorsorglich entfernt werden. Seit 2001 gibt es einen zuverlässigen Test, der erlaubt, Schlachtrinder von einem Alter von zwei Jahren an routinemäßig zu testen. Weil man annahm, dass der Erreger über verseuchtes Tiermehl in das Futter gelangte, wurde dieses verboten.

Kritik am Krisenmanagement


Die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch kritisiert, dass durch die umfangreichen EU-Maßnahmen gegen BSE die Tierseuche zwar erfolgreich bekämpft werden konnte, doch statt strengerer Regeln für die Fleischindustrie habe dies zu einer Liberalisierung des Marktes für Schlachtabfälle geführt. Viele der Gammelfleischskandale wären dadurch erst möglich geworden. Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse der europäischen BSE-Politik, die Foodwatch jetzt veröffentlicht hat.

Vor BSE wurden Schlachtabfälle industriell entsorgt. Im Jahr 2002 hat die EU verordnet, dass BSE-Risikomaterial, wie beispielsweise das Gehirn, getrennt vernichtet werden muss. Dies macht etwa 20 Prozent der Schlachtabfälle aus. Die übrigen 80 Prozent seien gewissermaßen zu frei handelbarer Ware erklärt worden, ist in dem Bericht zu lesen. Heute seien in der EU jährlich etwa 16 Millionen Tonnen Schlachtabfälle, etwa Euter oder Hühnerfüße, weitgehend der staatlichen Kontrolle entzogen. Deshalb, so meint der Vizegeschäftsführer von Foodwatch, Matthias Wolfschmidt, sei nicht auszuschließen, dass Abfälle in die Lebensmittelkette kämen, die hierzulande früher konsequent entsorgt worden seien. So habe BSE einen Weg für Gammelfleisch geebnet.

Der übertragbare Erreger


Bis jetzt kennen wir nur die Spitze des Eisbergs. Die Hintergründe des Rinderwahnsinns und damit verwandter Hirnerkrankungen seien immer noch nicht klar, sagt Stanley Prusiner. Der Wissenschaftler erhielt 1997 den Medizin-Nobelpreis für seine Theorie über den BSE-Erreger, die sogenannten Prionen. Dies sind heimtückische Krankheitserreger. Sie kommen überall in der Natur vor, bei Mensch und Tier reichern sie sich vor allem im Gehirn, in den Nervenbahnen und in der Rückenmarksflüssigkeit an. Normalerweise sind sie ungefährlich. Erst wenn das winzige Protein seine Form verändert und sich eine völlig verdrehte Variante im Gehirn ablagert, kommt es zu einem der tödlichen Hirnleiden. BSE beim Rind, Scrapie beim Schaf, CJD beim Mensch sind nur drei Beispiele der vielfältigen tödlichen Krankheiten, die durch diese Eiweißstrukturen ausgelöst werden können.

Erkrankungen beim Menschen


Eine besondere Form der Prionen-Erkrankung ist die neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJD). Sie wird vom Rind direkt auf den Menschen übertragen. Etwa 200 Fälle wurden vor allem in Großbritannien und Frankreich publik. Allerdings hat diese Erkrankung sehr lange Inkubationszeiten. Es wird damit gerechnet, dass der Erreger bis zu fünfzig Jahre im Körper schlummern kann. Auch bei Alzheimer und anderen degenerativen Hirnkrankheiten findet man veränderte Eiweißstrukturen, die schließlich dazu führen, dass Nervenzellen absterben.