Böblingen : Ulrich Stolte (uls)


Gerhard Halbritter schwieg sein Leben lang über die RAF-Masken.

Sein Leben lang? Mein Vater war 70 Jahre alt, als er die Masken machte, 94 Jahre ist er alt geworden. Mir gegenüber hat er erzählt, dass er die tote Gudrun Ensslin gezeichnet habe. Ich war zu der Zeit in der Schweiz. Sechs Jahre, nachdem mein Vater gestorben war, kam ich zurück nach Tübingen. Ich war die Einzige der Familie, die im imstande war, den Nachlass zu ordnen. Ich ging in sein Haus und fand alle Radierplatten, Negativformen der Medaillen und wunderschöne Kalligrafien. Ich machte mich ans Werksverzeichnis. Fast 400 Radierungen, Vorarbeiten, Bildhauerarbeit - und darunter zwölf Totenmasken.

Alle seine Arbeiten hatte er sorgfältig archiviert. Die Schachteln waren mit feinen kalligrafischen Buchstaben beschriftet in verschiedenen Sprachen: Ungarisch, Deutsch, Italienisch, Französisch und Dänisch. Er hatte wohl am Ende seines Lebens das Bedürfnis gehabt aufzuräumen.


Seitdem die Masken aufgetaucht sind, wird gerätselt, wie Gerhard Halbritter die Familie Ensslin kennenlernte.

Ich vermute über die Denkmalpflege, für die er über Jahrzehnte arbeitete. Als er die Masken machte, hat er gerade die drei Stifterfiguren an der Zwiefalter Klosterkirche neu gefasst. Ich weiß noch, wie wir über die Hände gesprochen haben. Die Hände waren abgefallen, und er musste herausfinden, wie die segnende Gebärde des Aurelius ausgesehen hatte.

Helmut Ensslin, Gudrun Ensslins Vater, hatte die Erlaubnis erteilt, seiner Tochter die Maske abzunehmen. Unklar ist, ob Halbritter auch eine Erlaubnis hatte, die beiden anderen Toten auf seine dreidimensionale Art zu porträtieren.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass mein Vater ohne Auftrag gehandelt hätte. Es konnte keine Nacht-und-Nebel-Aktion gewesen sein. Er musste ja das ganze Material mitnehmen, und man musste ihm Zeit geben und ihn einlassen.

Kunsthistoriker glauben, Gerhard Halbritter hätte die Totenmasken der Terroristen künstlerisch bearbeitet.

Auch das kann ich mir nicht vorstellen. Damals fand ich die Masken in einer Schachtel, ordentlich eingepackt, mit einer italienischen Aufschrift.

Als Loni Halbritter-Hansen die Masken entdeckte, wusste sie nicht, was sie damit tun sollte. Sie fragte Bekannte, die ihr rieten, sich an den Kunsthandel zu wenden. Sie versuchte damals, so viel wie möglich von dem umfangreichen Nachlass ihres Vaters zu verkaufen. So kamen sie in den Besitz des Zinnowitzer Kunsthändlers Andreas Albrecht, und die Diskussion entbrannte: Darf man die Masken zeigen, ist das Kunst? "Ja", findet Andreas Albrecht, der sie in einer Dauerausstellung zur RAF unterbringen möchte und gerade mit einem Interessenten in Stuttgart-Stammheim verhandelt.

In der Esslinger Villa Merkel sind die Masken erstmals öffentlich gezeigt worden. "Il tre delinquenti" hieß die Installation in einer Glasvitrine, den Titel hatte der Kunsthändler Andreas Albrecht gewählt.

Mein Vater hat nicht vorverurteilt, er war gerecht. Er hätte die drei Terroristen nicht als Delinquenten bezeichnet. Es war ein anderes Wort, das auf der Schachtel stand. Ich weiß nur noch, dass es auf Deutsch so etwas wie Übeltäter heißt. Aber ich kann mich nicht mehr an es erinnern. Nachdem Albrecht die Masken gekauft hatte, wollte er auch den originalen Karton mit der Aufschrift haben. Er ist aber bei der Post verloren gegangen.

Ausgerechnet dieser Karton. Er war nicht wiederzubekommen. Leonore Hansen hat noch bei der Post nachforschen lassen, aber ohne Ergebnis.

Das ist das einzige Mysterium bei der Sache. Ich weiß die Wörter nicht mehr, und die Post hat das Paket leider verloren. Können Sie sich das vorstellen? Ich kann dieses Wort nicht mehr finden!