Das Bundesgesundheitsministerium spricht von 40.000 bis 170.000 ärztlichen Behandlungsfehlern jedes Jahr in Deutschland. Jeder Fall ist nicht nur für den Patient, sondern auch den betroffenen Arzt eine Belastung.

Filderstadt/Stuttgart - Ein Routineeingriff, der tödlich endet. Was sich in der Filderklinik ereignet hat, ist der Albtraum jedes Patienten, aber auch jedes Operateurs: „Das ist das Horrorszenario, das einem vor dem geistigen Auge vortanzt. Aber es ist wie beim Seiltanzen. Wenn Sie denken, Sie stürzen ab, dann stürzen Sie ab“, sagt ein renommierter Stuttgarter Chefarzt, der nicht mit Namen genannt werden möchte. Will heißen: Man darf als Arzt nicht daran denken, was passieren könnte, wenn man, wie in dem Fall an der Filderklinik, die Bauchdecke eines Menschen durchsticht.

 

In der Klinik in Filderstadt-Bonlanden ist am Sonntag eine 21-Jährige nach einer Bauchspiegelung verstorben. In den nächsten Monaten werden Gutachter klären, ob ein ärztlicher Behandlungsfehler vorlag. „Jede Behandlung birgt Risiken, das ist die eine Seite. Die andere Seite ist, dass auch in der Medizin Fehler nicht zu vermeiden sind“, sagt Ulrich Clever, der Präsident der Landesärztekammer, und fügt hinzu: Jeder sei einer zu viel.

Zehntausende Behandlungsfehler jedes Jahr

Das Bundesgesundheitsministerium spricht von 40 000 bis 170 000 Behandlungsfehlern im Jahr. Bei den Gutachterkommissionen der Ärztekammern haben Patienten im Jahr 2013 bundesweit 12 173 Begutachtungsanträge gestellt, in 2243 Fällen wurde ein Fehler bejaht. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen hat 14 585 mal geprüft und in 3687 Fällen Behandlungsfehler bestätigt. Begutachtet wurden ambulante und stationäre Fälle quer durch alle Fachgebiete. Dem stehen 18,8 Millionen Menschen entgegen, die jedes Jahr in Kliniken behandelt werden und 540 Millionen Behandlungen im niedergelassenen Bereich. „Überlange Arbeitszeiten und ständig wachsender Druck können zu Behandlungsfehlern führen. Umso bemerkenswerter ist es, dass die Zahl der festgestellten Fehler in den vergangenen Jahren weitgehend konstant geblieben ist“, stellte Andreas Crusius von der Bundesärztekammer fest.

Viele Kliniken versuchen mit OP-Checklisten, Patientenarmbändern und Time-out-Regeln im OP das Risiko zu minimieren und fordern ihre Mitarbeiter auf, kritische Vorfälle anonym zu melden, die dann intern geprüft werden. Abhilfe schaffen soll auch ein Qualitätsinstitut auf Bundesebene, dessen Aufgabe es sein wird, medizinische Standards zu formulieren und damit auch Behandlungsfehlern vorzubeugen. Patientenschützern geht dies jedoch nicht weit genug. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz fordert eine zentrale Erfassung aller Behandlungsfehler und eine gesetzliche Verpflichtung der Krankenhäuser, die Zahl ihrer Kunstfehler zu veröffentlichen.

Wichtig aber ist aus Sicht von Ulrich Clever noch etwas anderes: „Wenn ein Fehler passiert, müssen die Ärzte gegenüber den Patienten dazu stehen – und das passiert in vielen Fällen auch.“ Der Gynäkologe weiß, wovon er spricht. Als junger Assistenzarzt wurde ihm nach einer Geburt im Krankenhaus vorgeworfen, den Chefarzt zu spät geholt zu haben. Das Kind wurde mit Saugglocke auf die Welt gebracht, erlitt eine Sauerstoffnot und musste beatmet werden. „Die Eltern warfen uns vor, dass ein Kaiserschnitt alles verhindert hätte.“ Auch im Fall von Clever war die Staatsanwaltschaft eingeschaltet, das Verfahren wurde eingestellt. „So eine Erfahrung ist furchtbar und prägt das gesamte Berufsleben“, sagt der 61-Jährige.

Was tun bei Behandlungsfehlern?

Gutachterausschuss
Patienten können sich an den Gutachterausschuss der Landesärztekammer wenden, wenn sie den Verdacht haben, dass ein Behandlungsfehler vorliegt. Der Ausschuss beauftragt einen Arzt desselben Fachgebietes mit einem Gutachten. Die Prüfung ist für den Patienten kostenfrei, allerdings muss der Arzt dem Verfahren zustimmen.

Krankenkassen
Seit 2013 sind die Krankenkassen dazu verpflichtet, Patienten bei der Aufklärung eines möglichen Behandlungsfehlers und der Durchsetzung daraus entstandener Schadensersatzansprüche zu unterstützen. Das heißt, Patienten können sich an ihre jeweilige Krankenkasse wenden.

Patientenberatung
Hilfestellung gibt die Unabhängige Patientenberatung, Telefon 0800/0 11 77 22.