Contador, Froome, Nibali, Quintana – die Tour de France ist das Gipfeltreffen der Alphatiere. Doch die Zweifel sind auch 2015 ein treuer Begleiter der Favoriten bei der Tour de France.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Utrecht - Rund um das Messezentrum Jaarbeurs im niederländischen Utrecht sieht es aus wie in einem Showroom der Lkw-Industrie. Unzählige Monster auf Rädern der neuesten Generation navigieren durch die Straßen, während sich andere so virtuos in Lücken auf den Parkplätzen quetschen, dass selbst ewig parkplatzsuchende und im Einparken gestählte Bewohner der Stuttgarter Innenstadt vor Neid erblassen würden, in welch kleine Löcher solche Monstren doch passen.

 

Die Tour de France ist eingefallen in Jaarbeurs, und mit ihr zum „Grand Départ“ am Samstag diese Stadt auf Rädern, deren komplexe Logistik Tag für Tag der Organisation des Chaos gleichkommt. Was, nebenbei, auch immer gelingt. Der offizielle Souvenirstand der Tour ist auch schon da. Die Geschäfte laufen in der brutalen Hitze auf dem Platz Jaarbeursplein schleppend, nur ein älterer Herr bekundet Interesse an einem gelben Trikot. Wer gewinnen werde, wird er gefragt: „Contador.“ Contador, Alberto. Spanier, 32.

Wenn an diesem Samstag in Utrecht die 102. Tour de France beginnt, steht er im Mittelpunkt. Der Mann vom Tinkoff-Saxo-Rennstall ist der beste Rundfahrer seiner Generation. Im Mai gewann er souverän den Giro d’Italia, 2007 und 2009 war er bei der Frankreichrundfahrt schon erfolgreich, und, nun ja, 2010 auch. Doch damals bekam ihm laut eigener Aussage ein spanisches Steak nicht. Die These vom mit Clenbuterol kontaminierten Fleisch als Erklärung für eine positive Probe zog aber nicht so recht. Er wurde rückwirkend gesperrt, und der Toursieg wurde ihm aberkannt. Soviel dazu.

Pantani gelang 1998 als bisher Letztem das Double

Jetzt schreiben wir 2015. Die Sperre hat er schon lange abgesessen, und nun peilt er nach seiner verletzungsbedingten Aufgabe 2014 einen weiteren Toursieg an – es wäre ein Erfolg für die Geschichtsbücher: „Wenn ich höre, dass Leute sagen, es sei unmöglich, den Giro und die Tour in einem Jahr zu gewinnen, dann motiviert mich das zusätzlich“, sagt Contador. Unmöglich ist es nicht, allerdings selten: nur sieben Fahrern ist das bisher gelungen, der letzte war Marco Pantani. 1998 gelang dem Italiener dieses Double, in der Folge gab es massive Dopingverdächtigungen. In Nachuntersuchungen von Proben der Tour 1998 fand sich später Epo. 2004 starb Pantani unter dubiosen Umständen an einer Überdosis.

Contador ist mit sieben Siegen bei den drei großen Landesrundfahrten der erfolgreichste Fahrer einer, rein sportlich betrachtet, außergewöhnlichen Ansammlung von Rundfahrern, die in Utrecht startet: Neben Contador gelten der Brite Christopher Froome (30/Sky), Toursieger 2013, Titelverteidiger Vincenzo Nibali aus Italien (30/Astana) und der Kolumbianer Nairo Quintana (25/Movistar) als Favoriten – es ist ein in dieser Konstellation seltenes Gipfeltreffen der Alphatiere, das die Radsportfans im Hinblick auf die erhofften Schlachten bei den Bergetappen elektrisiert.

Froome, sagt Contador, sei der Favorit, im Vorfeld gewann der Brite die Generalprobe, die Dauphiné. Dass im Profil ein langes Einzelzeitfahren fehlt, spielt dem mutmaßlich besten Kletterer Quintana in die Karten. Doch alle müssen erstmal verletzungsfrei über das Kopfsteinpflaster auf der Etappe am Dienstag kommen – was Froome und Contador im Vorjahr sehr suboptimal gelang. Der eine stürzte 2014 auf dem Pflaster schwer (Froome) und gab auf, der andere verlor viel Zeit (Contador) – und der lachende Überlebende war Nibali. Dahinter hofft bei der Ausgabe 2015 zum Beispiel Frankreichs Hoffnungsträger Thibaut Pinot (25 Jahre/Team FDJ), im Vorjahr Dritter, auf einen Platz auf dem Podium, ebenso der US-Amerikaner Tejay van Garderen (26/BMC) oder der Niederländer Bauke Mollema (28/Trek Factory Racing).

Ach ja, Doping. Natürlich ist das ein Thema angesichts der Protagonisten und angesichts der Geschichte dieses Rennens.

Manches mutet ja sauberer an als vor einigen Jahren, vieles funktioniert im Antidopingkampf des Radsports sogar besser als in praktisch allen anderen Sportarten, wenn man allein die Kontrolldichte nimmt. Nur ist es eben so, dass das nicht so viel heißt, zu vielfältig sind die Möglichkeiten der pharmazeutischen Kriegsführung.

Möglich ist, das inzwischen in Mikrodosen gedopt wird

Führende deutsche Antidopingexperten haben deshalb pünktlich zum Start ihre Zweifel an der Show zu Protokoll gegeben, so richtig glauben an die Läuterung wollen sie und viele andere nicht. Es wird, so der Tenor, weniger offensichtlich gedopt, aber dafür eben intelligenter, feiner dosiert, mit nicht nachweisbaren Mitteln. Mikrodosen Epo zum Beispiel, die in der kontrollfreien Zeit zwischen 23 Uhr abends und 6 Uhr morgens genommen werden, sind bei Kontrollen nicht mehr auffindbar. Dieses Problem mahnte auch die Kommission des Radsport-Weltverbandes UCI an, die vor einigen Monaten ihren spannenden Bericht über Doping im Radsport veröffentlichte.

Der Pharmakologe Fritz Sörgel sagt mit Blick auf die letzten Toursieger Bradley Wiggins, Chris Froome und Vincenzo Nibali: „Machen die einen weniger perfekten Eindruck als Lance Armstrong? Dass gedopt wurde, kam immer erst später heraus.“

Die Zweifel sind nachvollziehbar. Der Ruf von Nibalis Team Astana ist mies, Froomes Vorstellungen waren und sind manchem zu gut, Quintana wurde zuletzt wegen seiner Vorbereitung in Kolumbien von Konkurrent Nibali hinterfragt, und Contadors Team ist erst vor wenigen Tagen mächtig ins Gerede gekommen: Seit 2011 fährt er für die Équipe Tinkoff-Saxo, die unter dem Namen CSC mit Chef Bjarne Riis bekannt wurde. Der Däne gewann 1996 die Tour, gab später zu, gedopt zu haben, und vergangene Woche attestierte ihm eine Untersuchungskommission des dänischen Radsportverbandes, dass Riis in seinem Team Doping stillschweigend geduldet und teils sogar angeordnet habe. Es ging vor allem um ältere Vorgänge, dennoch hat dies gezeigt, wie nah die Vergangenheit noch immer an der Gegenwart ist. Riis, sagt Alberto Contador, sei eine sehr wichtige Person in seiner Karriere gewesen. Riis war übrigens bereits im März von seinem Chef Oleg Tinkoff entlassen worden – der Milliardär war unzufrieden mit den Leistungen.