Das südafrikanische Team MTN-Qhubeka fährt bei seinem Tourdebüt auch für eine gute Sache.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Amiens - Jens Zemke schaut vor dem Teambus mal nach dem Rechten. Hier ein Griff an die Pedale der Räder, dort ein Test, wie die Kette so läuft nach diesem Härtetest fürs Material. Der deutsche sportliche Leiter des Teams MTN-Qhubeka hat ja etwas Zeit, seine besten Fahrer sind zwar schon da, aber bis der Rest hier sein wird, dauert es noch. Vor einigen Minuten ist die Kopfsteinpflasteretappe nach Cambrai zu Ende gegangen, und mit Zemke warten ein paar Fans auf die Stars des Teams, auf Daniel Teklehaimanot und Merhawi Kudus.

 

Am Ende werden sie mit mehr als 16 Minuten Rückstand auf den Sieger der vierten Etappe am Dienstag, Tony Martin, ins Ziel kommen. Abgekämpft und schmutzig nach der Fahrt über das Pflaster Nordfrankreichs. Es war Neuland für die Fahrer aus Eritrea, wie das alles hier Neuland ist.

Die beiden Radprofis haben Geschichte geschrieben. Sie sind die ersten Fahrer aus Schwarzafrika der Tourgeschichte, entsprechend viel Aufmerksamkeit bekommen sie. Beim Tourstart in Utrecht mussten sie ständig für Fotos posieren. Teklehaimanot hatte dort als erster Fahrer im Auftaktzeitfahren die 102. Tour de France eröffnet. „Für den afrikanischen Kontinent war das ein großer Augenblick“, sagt Zemke. Das Team mit Sitz in Johannesburg ist auch das erste afrikanische Profiteam bei der Tour, aber nicht nur deshalb besonders.

Rad fahren für eine bessere Welt

Die Equipe, dank einer Wildcard hier am Start, fährt seit 2011 unter dem Motto „Bicycles Change Life“ – Fahrräder verändern Leben. Rad fahren für eine bessere Welt. Es ist ein Team mit Rad und Tat.

Qhubeka ist der südafrikanische Ableger der Stiftung World Bicycle Relief und verteilt Räder in Townships. Mobilität ist in weiten Teilen Afrikas ein Luxus, das gilt auch für die infrastrukturell höher entwickelten Länder des südlichen Afrikas wie Südafrika, Namibia oder Botswana. In Südafrika müssen elf von 17 Millionen Kinder den Schulweg zu Fuß zurücklegen, 500 000 davon sind mehr als eine Stunde unterwegs. „Das führt zu Verspätungen, zu Fehlzeiten, zu Erschöpfung und oftmals zu einem vollständigen Rückzug aus dem Bildungssystem“, heißt es bei Qhubeka. Fehlende Mobilität verhindert so auch den sozialen Aufstieg der armen schwarzen Bevölkerung. Die Lösung? Das Rad. Um bis zu 75 Prozent verkürzt es die Dauer des Wegs.

Qhubeka, was so viel wie Fortschritt bedeutet, hat seit 2005 in Südafrika 44 000 seiner robusten gelben Fahrräder verteilt. Im Gegenzug mussten die Kinder zum Beispiel Bäume pflanzen oder eine große Menge Müll sammeln. Ersteres, um der Entwaldung vieler Regionen entgegenzuwirken. Letzteres, um das eklatante Müllproblem in vielen Siedlungen ein wenig zu lindern.

In Asien und Afrika sollen neue Märkte erschlossen werden

Qhubeka zahlt dem Radteam kein Geld, das tut der andere Namensgeber MTN, ein südafrikanisches Mobilfunkunternehmen, das die Organisation unterstützt. Fünf Prozent der Prämien und der Einnahmen aus dem Merchandising gehen an Qhubeka, dazu sorgt der Werbeeffekt für ein erhöhtes Spendenaufkommen. 5000 Räder sollen so während der Tour finanziert werden. Dass der norwegische Kapitän Edvald Boasson Hagen Fünfter in Cambrai war und viel im TV-Bild war, war „beste Werbung für unser Projekt“, sagt Zemke. Das Rad als Katalysator. „Die Verbindung hat uns einen Schub gegeben“, sagt Gründer der Qhubeka-Stiftung, Anthony Fitzhenry.

Der Radsport wiederum hat großes Interesse an Afrika. Neben dem Kernmarkt Europa sollen neue Räume erschlossen werden, in Asien, in Afrika. Die Tourorganisation Aso etwa leistet seit Jahren Entwicklungshilfe für Afrikas Radsport. Es wächst etwas heran, etwa in Eritrea oder Ruanda, wenn auch langsam. „Es war ein langer Weg zur Tour“, sagt Merhawi Kudus, mit 21 Jahren der jüngste Fahrer im Peloton.

Viele glauben, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis schwarzafrikanische Fahrer in diesem Ausdauersport groß rauskommen. Zu Fuß dominieren Athleten aus Kenia oder Äthiopien seit Jahrzehnten die Straßen, „warum also nicht auch Radfahren“, sagt der Teammanager Douglas Ryder. Auch wenn Radsport sehr komplex ist und vieler Lehrjahre bedarf: Vielleicht ist die Frage tatsächlich, wann der Toursieger aus Afrika kommt. Der britische Favorit Chris Froome wuchs übrigens in Kenia auf.

Ausnahmetalent Grmay fehlt bei der diesjährigen Tour

Der Äthiopier Tsgabu Grmay (23), der als Ausnahmetalent gilt und für das Team Lampre fährt, fehlt bei dieser Tour. „Wir haben viele starke Fahrer in Afrika“, sagt Daniel Teklehaimanot. Bei der Dauphiné sorgte der 26-Jährige selbst für Aufsehen, als er die Bergwertung gewann. Bei der Tour spielt er bisher keine Rolle, aber die Berge kommen ja erst nächste Woche.

Frankreichs Radlegende Bernard Hinault sagt: „Diese Burschen haben noch etwas anderes, das sie antreibt: die Gier nach Erfolg. Sie wollen raus aus ihren Problemen zu Hause.“ Ohne Räder geht das aber nicht, und hier schließt sich der Kreis. Qhubeka verteilt sie zwar nicht, um einem möglichen Toursieger Starthilfe zu geben, aber es könnte der Nebeneffekt sein.