Im Fahrradsattel lässt sich über die Vergänglichkeit sinnieren. Die Radtour streift ein ehemaliges Kloster, eine bedrohte Kirche und eine werdende Moschee.

Pause. Absteigen. Fahrräder abstellen. Die Beine ausschütteln – und noch wichtiger: die Seele baumeln lassen. Nichts eignet sich besser dafür als der kleine Teich im Hof des Klosters Denkendorf (Kreis Esslingen). Hier, im Schatten der sattgrünen Bäume, im Schatten von beinahe 1000 Jahren Kirchengeschichte.

 

Nicht, dass die im Leinfelden-Echterdinger Teilort Oberaichen begonnene Tour über den Botanischen Garten von Stuttgart-Hohenheim das Körschtal hinunter bisher besonders anstrengend gewesen wäre. Im Gegenteil: das sanfte Gefälle hat die Räder ohne große Kraftanstrengung rollen lassen, meist entlang des Bächleins, manchmal mit einem kleinen Schlenker.

Entschleunigung pur

Aber hier, im Klosterhof, lassen sich die Eindrücke der ersten 20 Kilometer noch einmal ins Gedächtnis rufen. Der Start am S-Bahnhof, unter den Gleisen hindurch über die Obstwiesen, auf asphaltierten Feldwegen vorbei an den Stuttgarter Fildervororten Fasanenhof und Steckfeld. Das entspannte Schlendern durch den Botanischen Garten in Hohenheim. Schlendern? Ja, Radfahren verboten, gebietet das Schild am Eingang. Schieben, Entschleunigung pur, nichts für Kilometerfresser. Dafür taucht der Fußgänger in eine andere Welt ein und hat Zeit, über die Idee des Botanischen Gartens zu philosophieren. Warum hat 1776 der württembergische Herzog Carl Eugen für seine Franziska hier die gezähmte Natur vors pompöse Schloss holen lassen? Wer schnell wieder in den Sattel will, beendet die tiefschürfenden Überlegungen beim Bummel durch den exotischen Garten. Wer noch weitergrübeln will, kann noch am Arzneigarten vorbei durch den Schlosspark schieben und kommt erst wieder nach dem Landschaftsgarten auf den rechten Radlerpfad zurück.

Der führt nun weiter abseits der Bebauung durch lichte Waldsäume und über saftig-grüne Auwiesen hinunter nach Denkendorf. Etwas holprig wird es unter der Körschtalbrücke bei Ostfildern-Nellingen. Dort muss die Baugrube der Kläranlagenerweiterung auf einem zum Glück nur 100 Meter langen Holperpfad umkurvt werden.

Der spezifische Duft, der den Radler vor Denkendorf noch einmal ein paar Meter begleitet, ruft angesichts der Idylle beinahe schon Verdrängtes in Erinnerung. Der Filderraum, mit den besten landwirtschaftlichen Böden gesegneter Gemüse-, Kraut- und Salatlieferant der Region, ist aufgrund seiner Standortgunst vor den Toren der Landeshauptstadt inzwischen einem erheblichen Siedlungsdruck ausgesetzt – mit all seinen Folgen.

Auf geheiligtem Boden

Das geht dem Radler durch den Kopf, hier auf dem ehemals geheiligten Boden, wo die Denkendorfer Krypta mit ihrer Nachbildung des leeren Grabes Christi schon fromme Pilger nach Denkendorf gelockt hat, lange bevor Ferdinand von Draiß das Fahrrad erfunden hatte. Hier ist der ideale Platz, um sich auf die zweite Hälfte der Tour zu freuen. Um gedanklich vorwegzunehmen, wie die Räder weiterrollen über den Buckel nach Köngen und erst wieder im Neckartal in Wendlingen haltmachen. Wieder Pause, Besinnung, vielleicht sogar eine Gedenkminute. Der evangelischen Johanneskirche neben dem Rathaus, gerade mal 50 Jahre alt, droht die Spitzhacke. Das Gotteshaus, so will es der Kirchengemeinderat, soll einem Gemeindezentrum weichen. Noch aber kämpfen Initiativen um die Erhaltung des zeittypischen Kirchenbaus.

15 Kilometer neckarabwärts – der Weg führt nun über den gut ausgeschilderten Neckartalradweg ins reichsstädtische Esslingen – wird nicht abgerissen, sondern aufgebaut. Die islamische Gemeinde der Stadt setzt seit Jahren Stein auf Stein, um eine Moschee zu errichten. Den Takt der Bauarbeiten gibt das Spendenbarometer vor. Weiter geht es nur, wenn wieder Geld da ist. Drei Millionen Euro sind bereits verbaut, rund fünfeinhalb Millionen werden es am Ende sein.

Lohnende Mühe

Der Glaube versetzt Berge. Davon wissen auch die Esslinger Christen eine Geschichte aus alter Zeit zu erzählen. Das Geld zum Bau der prächtigen, im Jahr 1516 nach einer zwei Jahrhunderte währenden Bauzeit vollendeten Frauenkirche haben sich die Bürger vom Mund abgespart. Allein der Blick auf die Fenstermalerei wird zeigen, dass sich die Mühe gelohnt hat – die der mittelalterlichen Baumeister ebenso wie die der nach knapp 40 Kilometern am Ziel angekommenen Radfahrer.
App
Eine detaillierte Karte der Tour findet sich auf der Smartphone-App VVS-Radroutenplaner unter dem Stichwort Touren.