Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)
Jenseits der Jesiden: wie viele Geflüchtete sind traumatisiert?
Krieg macht nicht automatisch krank. Viele der Geflüchteten können dank ihrer Selbstheilungskräfte mit ihren Erfahrungen umgehen. 20 bis 30 Prozent der Flüchtlinge dürften aber tatsächlich unter einem klinischen Trauma leiden. Wenn man die bis zu 900 000 Flüchtlinge von 2015 heranzieht, dann sind wir bei rund 200 000 Menschen, die eine Behandlung benötigen.
Sind wir dieser Aufgabe gewachsen?
Wir brauchen mehr qualifiziertes Fachpersonal, finanzierte Traumazentren und Dolmetscher. Wenn wir aufgrund sprachlicher Probleme die falsche Diagnose stellen, ist keinem geholfen. Im Türkischen sind die Begriffe für Geräusche und Stimmen ähnlich. So kann es passieren, dass der Patient sagt, ich höre Geräusche, der Arzt versteht Stimmen, und schon wird aus einem Tinnitus Schizophrenie.
Wie weit sind wir aktuell mit der Integration der Geflüchteten in Ihren Augen?
Wir sind medial leider auf Einzelfälle und Krisen fixiert. Die Gruppe der Terroristen unter den Einwanderern liegt bei weniger als 0,5 Prozent. Leider fallen die aber auf.
Sie warnen in diesem Zusammenhang immer wieder vor jungen Männern im Alter zwischen 14 und 26. Wie schafft man es, Gefährder herauszufiltern, ohne junge männliche Flüchtlinge unter Generalverdacht zu stellen?
Das darf man sicher nicht. Diese Gruppe wird vom IS aber am heftigsten umworben, weil sie vom Alter her anfällig für Ideologien ist. Wir brauchen professionelle Interviewer, zuverlässige Dolmetscher, die die Lebensgeschichte der Geflüchteten überprüfen. Dabei geht es zum Beispiel darum, arabische Dialekte zu erkennen. Wenn jemand behauptet, er komme aus dem Irak, aber ein tunesisch gefärbtes Arabisch spricht, sollte man hellhörig werden.
Sie reisen regelmäßig in den Irak: Wie ist die Lage in dem Land aktuell?
Momentan sind die Kurden so inspiriert, dass sie ihren Volksentscheid am 25. September abhalten, indem sie über eine Unabhängigkeit der Kurden im Nordirak entscheiden. Ich gehe davon aus, dass die Mehrheit sich dafür entscheiden wird. Sollte dieser Schritt ernst genommen werden, haben wir eine Veränderung. Der Iran und die Türkei sehen das aber nicht so gerne.
Welche Rolle spielt die Türkei in der Region?
Erdogan ist einer der Hauptakteure, auch in Bezug auf den Bürgerkrieg in Syrien. 2011 hat er Assad zum Feind erklärt, davor war er noch mit ihm im Urlaub. Die Türkei hätte ein demokratisches Vorbild für den mittleren und Nahen Osten sein können, eine islamische Demokratie.