Stuttgarts Animationsgipfel hat trotz ernster Themen viel Publikum gelockt. Die Veranstalter überlegen nun, wie das Festival wachsen kann, ohne dem familiären Charakter zu schaden.

Stuttgart - An lauen Abenden richtete sich eine friedliche Menschenmenge den Schlossplatz als Stuttgarts größte Mischung aus Kino und Gartenparty ein, an regnerisch-kühlen Tagen trieb die Witterung die Menschen zuhauf in die Kinosäle: die trotz Übermüdung strahlenden Leiter des Internationalen Trickfilmfestivals, der fürs Künstlerische zuständige Ulrich Wegenast und der fürs Kaufmännische verantwortliche Dittmar Lumpp, vermelden eine Win-win-Situation.

 

„Am Wochenende“, sagt Wegenast, „mussten wir Hunderte von Besuchern abweisen, weil die Kinosäle völlig ausverkauft waren. Das hatten wir in dieser Größenordnung noch nie.“ Lumpp zieht daraus die Schlussfolgerung: „Wir sind dort, wo wir immer hinwollten. Wir strahlen aus, die ganze Stadt nimmt für ein paar Tage Anteil an unserem Festival. Die Probleme, die daraus auch erwachsen, sind Luxusprobleme, sie zu lösen, ist unser Job.“

Wenn er von Problemen spricht, meint Lumpp nicht einfach die Frage, wo drin und draußen künftig mehr Sitzplätze herkommen sollen. „Wir überlegen“, präzisiert er, „wie wir wachsen können, ohne dem familiären Charakter des Festivals zu schaden. Der hat uns von Anfang an ausgezeichnet, ihn wollen wir unbedingt erhalten. Es darf kein Wachstum um jeden Preis geben.“

Kein Konflikt zwischen Unterhaltung und Kunst

Ein Problem hatte das 20. Internationale Trickfilmfestival Stuttgart jedenfalls sichtlich nicht, den Konflikt zwischen seinen Rollen als Amüsierangebot und als Bühne für Animationskunst (siehe auch unseren Preisträger-Kasten). Die Juroren haben sehr souverän und keinesfalls durchgängig zu Gunsten des barrierefrei Zugänglichen entschieden.

Ein Problem hatte das 20. Internationale Trickfilmfestival Stuttgart jedenfalls sichtlich nicht, den Konflikt zwischen seinen Rollen als Amüsierangebot und als Bühne für Animationskunst. Die Juroren haben sehr souverän und keinesfalls durchgängig zu Gunsten des barrierefrei Zugänglichen entschieden.

Die französische Produktion „Ernest & Célestine“, der vom Trio Benjamin Renner, Vincent Patar und Stephanie Aubier inszenierte Gewinner des Langfilmwettbewerbs Animovie, ist zwar ein Familienfilm. Die Geschichte einer bärenfreundlichen Maus und eines mäusefreundlichen Bären in einer Welt, in der Mäuse und Bären einander heftig misstrauen, bleibt für Kinder verständlich und bietet Erwachsenen jede Menge Anstöße zum Nachdenken, verpackt in einer frischen, stimmigen Optik.

Aber der zehnminütige „Kara no tamago – Ein Windei “ von Ryo Okawara aus Japan, der Gewinner des Lotte-Reiniger-Förderpreises, erzählt in flackernden Bildern, mit Tuschzeichnungen auf Papier, von einer bedrängten Kindheit in einem seltsamen Umfeld, zeigt Szenen eines Bauernhofs, die zwischen surrealer Komik und leisem Grauen schweben. Dieser Film hält die Zuschauer bewusst auf Distanz und zeigt Erinnerung an die Kindheit auch als fantastisches Konstrukt jenseits aller Faktentreue.

Bei der FMX wird über den zunehmenden Preisdruck diskutiert

Auch „Oh Willy . . .“ , eine belgisch-französisch-niederländische Produktion von Emma de Swaef und Marc James Roels, die den Grand Prix des Internationalen Wettbewerbs zugesprochen bekam, hat zwar knuddelig wirkende Puppenhelden zu bieten, aber wie der Titelheld dann zur Auseinandersetzung mit Tod, Einsamkeit und ungestillten Geborgenheitssehnsüchten gezwungen wird, ist alles andere als ein heiteres Erzählen entlang der Kurve der naheliegenden Erwartungen.

Das Publikum aber störte sich nicht daran, dass man in den Programmen des Trickfilmfestivals stets auch auf ernste, formal anspruchsvolle, manchmal gar verrätselte Filme trifft. Und während in den Kinosälen wieder Filme liefen, wie sie auch die Kulturschienen des Gebührenfernsehens das Jahr über selten bieten, traf sich die Branche sowohl beim Trickfilmfestival wie beim verzahnt stattfindenden Fachkongress FMX zur Erörterung existenzieller Fragen.

Bei der FMX diskutierten Firmenvertreter und Freiberufler der VFX-Gewerbes darüber, wie sie der wachsenden Preisdrückerei durch Produktionsgesellschaften besser widerstehen könnten. Denn auch wenn Popcornkino-Spektakel aus Hollywood oft mit ihren Spezialeffekten und Bildentwürfen aus dem Computer glänzen, die hohen Budgets werden nach wie vor von astronomischen Stargagen verschlungen. Kaum ein vortragender Effektkünstler bei der FMX, der als roten Faden seiner Präsentation nicht den Zeit- und Kostendruck gehabt hätte. „Wie wir Bilder hinbekommen haben, für die eigentlich das Geld nicht da war“, darf man da wohl als Generalmotto dieser FMX formulieren.

Am Rande des Trickfilmfestivals wurde derweil von der in Leipzig ansässigen Arbeitsgemeinschaft Animationsfilm ein „Stuttgarter Manifest“ verfasst. Das ist ein einziger Aufschrei der inländischen Trickkünstler und -studios gegen das Agieren der öffentlich-rechtlichen Sender. ARD und ZDF müssten sich ihrer Verantwortung bewusst werden, heißt es da unter anderem, eine 50-Prozent-Quote für deutsche Produktionen wird gefordert und der Rückzug der Sendervertreter aus den Vergabegremien der Filmförderungen.

Nichts davon hat auch nur die geringste Chance, bis zum nächsten (oder überübernächsten) Festival umgesetzt zu werden. Aber das Trickfilmfestival hat die Chance, von nun an die zentrale Bühne für Debatten über die Arbeitsbedingungen der deutschen Animationsszene zu sein. Dass diese Debatte lohnt, dass wir ein Interesse an ihr haben sollten, haben wieder einmal die Filme des Festivals bewiesen.

Die Preisträger des diesjährigen Wettbewerbs

Kurzfilm Begrenzten Ruhm und lokale Ehre bietet manches kleine Trickfilmfestival. Die Großveranstaltung in Stuttgart hat nicht nur mehr Ehre, sondern echtes Geld zu bieten. „Oh Willy . . .“ von Emma de Swaef und Marc James Roels erhielt den Grand Prix und damit 15 000 Euro. Der Lotte-Reiniger-Förderpreis mit 10 000 Euro ging an „Kara no tamago“ aus Japan. Den Wettbewerb Young Animation und ein Preisgeld von 2500 Euro gewann „Eine Murul“ aus Estland.

Kinderfilm Trotz der heiklen Grenzziehung hat das Festival Kinder- und Jugendfilme getrennt. Den Wettbewerb Tricks for Kids und 4000 Euro hat „Schrecken ohne Ende“ von Michael Sieber und Max Stöhr vom Ludwigsburger Studio Soi gewonnen. Als beste Kinderserie erhielt „Roy“ aus Irland 2500 Euro. In der ebenfalls mit 2500 Euro dotierten Sektion Cartoons for Teens setzte sich „Der Notfall“ von Stefan Müller durch.

Langfilm Das einstige Sorgenkind Animovie hat dieses Jahr etliche starke Wettbewerbsbeiträge geboten. Die französisch-belgisch-luxemburgische Produktion „Ernest & Célestine“ hat ihre 2500 Euro aber verdient gewonnen.